Hymne auf alte Badeanstalt in Hürth„Die Reaktionen auf den Song waren echt heftig“

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Ein musikalisches Denkmal hat der Musiker Gero Kuntermann dem alten Schwimmbad in Alt-Hürth gesetzt.

Ein musikalisches Denkmal hat der Musiker Gero Kuntermann dem alten Schwimmbad in Alt-Hürth gesetzt.

  • Eine Hymne auf die verfallene alte Badeanstalt in Alt-Hürth hat Gero Kuntermann geschrieben.
  • Darüber, über Corona und die Hürther Kulturszene sprach der Musiker im Interview.

Eine Hymne auf die verfallene alte Badeanstalt in Alt-Hürth hat Gero Kuntermann geschrieben. Darüber, über Corona und die Hürther Kulturszene sprach der Musiker im Interview.

Herr Kuntermann, können Sie sich daran erinnern, wann Sie das letzte Mal in der alten Badeanstalt in Alt-Hürth schwimmen gegangen sind?

Gero Kuntermann: Hey, das ist schwierig. Das muss Anfang der 2000er-Jahre gewesen sein, zum Bahnen schwimmen und fit bleiben. Davor oft zum Spaß haben.

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Welche Erinnerungen verbinden Sie mit dem Bad?

Jugenderinnerungen. Wir sind da für 1,50 Mark schwimmen gegangen. Ich erinnere mich daran, dass man – wenn der Bademeister nicht guckte – oben von der Galerie gesprungen und mit einer Arschbombe im Wasser gelandet ist.

Sie haben mit Ihrem Bandprojekt Halvlang einen Song über das Schwimmbad geschrieben. Wie kam es dazu?

Ein Freund hat den Innenbereich fotografiert und das Bild in vier mal drei Metern als Tapete bei seinem Sohn im Kinderzimmer gehabt. Er lebt in Bergheim. Ich war bei ihm, hab’ das Bild gesehen und gedacht, ey, das ist doch das Alt-Hürther Schwimmbad. Das Foto hat mich inspiriert, einen Song zu machen.

Gero Kuntermann

Gero Kuntermann vor dem Schwimmbad in Alt-Hürth

Worum geht es in dem Song?

Das ist der Versuch, die Geschichte des Bads einzufangen. Das Bad ist ja seit fast 100 Jahren mitten im Ort, der damals eigentlich viel zu klein war für so ein modernes Schwimmbad. Über Jahrzehnte hat ganz Hürth hier schwimmen gelernt. Dann aber auch der Verfall. Das Gebäude ist aber immer noch etwas Besonderes, so dass sogar Netflix auf die Idee kam, hier zu drehen. Die haben sich, glaube ich, sehr gefreut, so ein tolles verfallenes Gebäude zu finden.

Sie nehmen in dem Text eine besondere Perspektive ein...

Die Idee ist, dass ich auf dem Drei-Meterbrett sitze und mir das ganze Spiel so von oben angucke.

Was wollten Sie mit Ihrer musikalischen Würdigung erreichen?

Ich wollte wachrütteln und deutlich machen, dass es wichtig wäre, dass das Gebäude wieder der Öffentlichkeit zur Verfügung steht. Die andere Idee war, die Erinnerung einzufangen und zu bewahren.

Zu dem Song gibt es ein Video, das man sich bei Youtube anschauen kann. Durften Sie dafür ins Bad?

Nein. Wir haben das erwähnte Foto als Plakat vor das Schwimmbad gestellt und dann davor gefilmt. Aber wir durften im Eingangsbereich filmen. Und tatsächlich gibt es ein paar Szenen aus dem Inneren. Die sind aber nicht von mir, sondern von Jugendlichen, die irgendwann mal da eingebrochen sind. Die hab’ ich angeschrieben.

Wie war die Resonanz?

Die Reaktionen auf den Song waren zum Teil echt heftig. Mir haben Leute geschrieben, dass sie Tränen in den Augen hatten, gerade die Leute aus dem Hürther Schwimmclub, die da früher täglich waren.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Bades?

Meine Idee war, dass man daraus so eine Art Kulturzentrum macht und dort die großen Vereine eine Heimat finden. Aber ich glaube, das ist illusorisch. An erster Stelle wünsche ich mir, dass es renoviert und zumindest wieder ein Teil für die Öffentlichkeit zugänglich wird.

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Mit Ihrer neuen Band Halvlang spielen Sie „rheinisch Folk“. Wie hört sich das an?

Das ist ein Wortspiel in Anspielung auf „Irish Folk“, also irischen Folk. Die Idee ist, so eine Mischung aus Flogging Molly, The Pogues und BAP zu machen. Also Folk und Rock. Auf Kölsch, jenseits vom Karneval.

Bevor Sie mit Halvlang so richtig durchstarten konnten, kam Ihnen die Pandemie dazwischen. Wie schwer haben Sie die Folgen getroffen?

Halvlang ist eigentlich erst in der Pandemie entstanden. Wir hatten mit den Clerks 2019 eine neue CD und für 2020 auch schon 25 Shows gebucht. Die sind natürlich alle ausgefallen. Durch die Pandemie hatte ich dann auf einmal Zeit. Ich hatte dann die Idee, Lieder auf Kölsch zu schreiben. Der erste Song, den ich mal auf Kölsch geschrieben hab, war für „Ein Lied für Hürth“, das war ein Wettbewerb zum 40-jährigen Stadtjubiläum. Das hat gut funktioniert. Dann hat sich eins zum anderen gefügt, und jetzt gibt es das neue Projekt.

Hat die Pandemie Sie wirtschaftlich getroffen?

Ja, die ganzen Einnahmen durch Livemusik sind weggefallen. Ich konnte das ganz gut kompensieren durch meinen Job als Sounddesigner beim WDR.

Sie haben auch auf der Bürgerhaus-Bühne gestanden und Streaming-Konzerte gespielt. Wie fühlte sich das für Sie an?

Das war schwierig im ersten Moment. Viele, die mich kennen, sagen, ich sei eine Rampensau. Ich kann sehr gut mit Publikum interagieren, und das hat natürlich total gefehlt. Wir haben das probiert, es war auch super, dass es diese Initiative gab vom Bürgerhaus. Aber die Interaktion, die fehlt mir doch sehr. Ich war sehr froh, als es dann zumindest wieder Konzerte auf Abstand gab mit Publikum an Tischen.

Am 27. August spielen Sie mit Halvlang ein Benefizkonzert im Kulturbiergarten am Hürther Bürgerhaus. Wie groß ist die Vorfreude auf ein Konzert vor echtem Publikum?

Die Vorfreude ist riesig, aber auch das Lampenfieber. Wir haben mit Halvlang bisher als Duo gespielt, jetzt spielen wir zum ersten Mal zu fünft.

Der Erlös aus dem Ticketverkauf soll einem gutem Zweck zukommen. Welchem?

Das geht an die Fluthilfe für Erftstadt. Es ist schön, dass ich ein kleines bisschen beitragen kann, auch wenn es nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist.

Benefizkonzert

Für die Betroffenen der Hochwasserkatastrophe in Erftstadt spielt Gero Kuntermann mit seiner Band Halvlang ein Benefizkonzert am Freitag, 27. August, 19 Uhr, im Kulturbiergarten am Hürther Bürgerhaus. Karten gibt es bei Kölnticket.

Sie wohnen in Alt-Hürth, auch dort hat es Überschwemmungen gegeben, auch wenn das Ausmaß nicht mit dem in den benachbarten Katastrophengebieten vergleichbar ist. Waren Sie selbst vom Hochwasser betroffen?

Ich hab’ meinen Heizungskeller zum Studio umgebaut. Da stand das Wasser drin. Aber viele Freunde und Bekannte waren stärker betroffen.

Sie engagieren sich als Sachkundiger Bürger für die Grünen im Hürther Kulturausschuss und fordern mehr Kultur für Hürth.

Ich glaub’, dass es gut wäre, in Hürth selbstbewusster Kultur zu betreiben. Ich sehe schon einige gute Ansätze im Bürgerhaus, zum Beispiel die Reihe „Hürth im Sommer“. Ich würde mir wünschen, dass es regelmäßig ein Stadtfest gibt, vielleicht alle zwei Jahre. Das Fest zum 40-jährigen Stadtjubiläum im Jahr 2018 hat mir sehr gut gefallen und ich glaub’, auch sehr vielen anderen. Wichtig ist aber auch, dass man sich mehr vernetzt und mitkriegt, was überhaupt alles läuft: erstklassiger Jazz in Gleuel oder im Löhrerhof. Veranstaltungen im Berli, der gelben Villa, der Galerie ohne Namen oder der Böhm-Chapel. „Rock am Teich“ von Hürth Rockt oder auch „Musik im Park“ von Blau-Weiß Fischenich.

Zur Person

Gero Kuntermann (43) wurde in Köln geboren, wuchs aber in Hürth-Gleuel auf. Nach dem Abitur am Albert-Schweitzer-Gymnasium studierte er in Düsseldorf Ton- und Bildtechnik; er arbeitet als Toningenieur und Sounddesigner beim WDR und hat auch ein eigenes Studio in Alt-Hürth.

Die Musikinitative Hürth Rockt und das Festival „Rock am Teich“ hat Kuntermann mit ins Leben gerufen. Seit 20 Jahren ist er als Sänger und Gitarrist mit der Ska- und Reggae-Band The Clerks unterwegs. Kuntermann ist verheiratet und hat drei Töchter im Alter von zehn, sechs und drei Jahren. (aen)

Bekannt geworden sind Sie als Frontmann der Ska-Band The Clerks, die in 20 Jahren durch halb Europa getourt ist. Ein Grund zum Feiern?

Ja, auf jeden Fall. Wir haben ein großes Jubiläum am 20. September im Gebäude 9 in Köln, da spielen wir zusammen mit anderen Kölner Ska-Bands. Vorher wird es einen neuen Song geben und ein neues Video, das auch ein engagiertes Thema hat. Er heißt „Make racism wrong again“. Also, Rassismus wieder falsch zu machen, zu ächten.

Zum Schluss noch ein Blick in die Glaskugel: Wie lange, denken Sie, wird der Kulturbetrieb noch unter den Folgen der Pandemie leiden?

Ich war eigentlich sehr optimistisch jetzt im Sommer. Aber wenn man sich die Lage so anguckt, bin ich wieder etwas pessimistischer. Ich vermute, dass es noch ein halbes Jahr dauert und wahrscheinlich erst nächstes Jahr im Frühling wieder so richtig losgeht.

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