Getötetes Baby in KerpenVater sieht sich für „tragisches Geschehen“ mitverantwortlich

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Prozessauftakt Kerpenerin Neugeborenes

Seit Dienstag steht eine Kerpenerin wegen der Tötung ihres Neugeborenen vor Gericht.

Kerpen/Köln – Wäre die Tragödie um das getötete Neugeborene in Kerpen vermeidbar gewesen? Mit dieser Frage beschäftigt sich derzeit das Kölner Landgericht, vor dem sich die 22-jährige Mutter wegen Totschlags verantworten muss. „Nein“, lautete die entschiedene Antwort, als der Vater der Angeklagten gehört wurde. Seine Tochter hatte ihr Kind im April im Haus ihrer Eltern heimlich zur Welt gebracht, es geschlagen und erdrosselt, die Leiche in einen Pullover gehüllt und im Bettkasten versteckt.

Als Beleg für seine Ahnungslosigkeit beschrieb der 54-jährige Mechaniker eine Szene, die sich keine drei Wochen vor der Tat abspielte. Die Familie hatte sich im Badezimmer versammelt: „Wir wollten uns messen und wiegen, um dann die Corona bedingten Pfunde mit einem Sportprogramm wieder abzutrainieren.“

„Ich habe nie und nimmer an eine Schwangerschaft gedacht“

Den Zettel mit den Messdaten hatte der Vater zur Hand, er datiert vom 1. April 2021. Aber auch als er Bauchumfang und Gewicht der Tochter notiert habe (89 Zentimeter, 62 Kilogramm), sei er nicht stutzig geworden. „Ich habe nie und nimmer an eine Schwangerschaft gedacht.“ Die Familie habe sich auch gleich darauf zu einer körperlich anstrengenden Wanderung aufgemacht. Da war die Tochter im neunten Monat.

Am Morgen des 19. April fanden die Eltern die junge Frau blutüberströmt in ihrem Zimmer. „Es sah aus wie auf einem Schlachtfeld“, schilderte der Vater. Er habe geglaubt, die Tochter habe „extreme Probleme mit der Periode“. Auf Nachhaken des Gerichts, ob er das viele Blut vielleicht doch mit einer Geburt in Verbindung gebracht habe, antwortete der 54-Jährige mit Bestimmtheit: „Niemals wäre mir der Gedanke gekommen, dass in dem Zimmer ein Kind geboren worden war.“

Kerpen: Vater gibt sich Mitverantwortung an der Tragödie

Allerdings gibt er sich eine Mitverantwortung an dem tragischen Geschehen: „Ich habe sicher meinen Teil dazu beigetragen, dass es dazu gekommen ist.“ Denn er habe eine mehr als kritische Haltung gegenüber den Freunden der Tochter gehabt, die ihm alle nicht gut genug gewesen seien. Dies habe er auch deutlich zum Ausdruck gebracht, etwa mit den Worten: „Den will ich hier nicht mehr im Haus haben.“

Als die Tochter im Alter von 18 Jahren das erste Mal schwanger gewesen sei, habe man im Familienrat das Thema Abtreibung diskutiert. Allerdings habe er der Tochter deutlich zu verstehen gegeben: „Du entscheidest letztlich. Wenn du das Kind willst, dann bist du aber auch dafür verantwortlich.“ Die junge Frau hatte schließlich einen Schwangerschaftsabbruch gewählt.

Staatsanwältin: „Ihre angegebenen diffusen Ängste sind völlig unbegründet“

Im Prozess wird deutlich, wie sehr sich die Tochter dem Elternhaus zugehörig fühlt. Ein Auszug Jahre zuvor zu ihrer ersten großen Liebe endete nach sechs Monaten mit der Rückkehr.

Nach ihrem Realschulabschluss habe er ihr wiederholt einen Ausbildungsplatz im kaufmännischen Bereich vermittelt, berichtete der Vater. Jedes Mal habe die Tochter abgebrochen: „Sie konnte sich nicht fügen, geriet mit dem Personal aneinander.“ Schon in der Schule sei das Mädchen aufgefallen: „Mal mobbte sie eine Klassenkameradin, verprügelte einen Schulkameraden oder fälschte die Unterschrift der Mutter.“

Das Bild eines ängstlichen, unsicheren und verzweifelten Menschen, das die 22-Jährige auf der Anklagebank von sich zeichnete, nahm Staatsanwältin Margarete Heymann ihr angesichts dieser Schilderungen nicht ab: „Ihre angegebenen diffusen Ängste sind völlig unbegründet. Sie sind eine taffe, junge Frau und hier nicht ehrlich!“

Staatsanwältin wirft Kerpenerin vor, die Tat geplant zu haben

Die Anklägerin, eine erfahrene Mordermittlerin, stellte fest: „Sie haben ihr Kind auf eine ziemlich brutale Art und Weise getötet, wie es selten der Fall ist.“ In der Regel töteten Mütter ihre Neugeborenen, indem sie sie unversorgt ließen, manche erstickten sie auch.

Nach Überzeugung der Anklägerin hatte die junge Frau die Tat geplant, was diese mit Nachdruck bestreitet. Vielmehr habe sie an eine anonyme Geburt oder eine Babyklappe gedacht. Von der Geburt sei sie „überrascht“ worden, da sie erst zwei Monate später damit gerechnet habe. Dies steht aber im Widerspruch zu den Suchanfragen, die die 22-Jährige gezielt zu Stichworten wie Geburt und Babyklappe im Internet eingegeben hatte.

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Den Kindsvater kannte die junge Frau aus der Schule. Irgendwann habe sich eine „Freundschaft plus“ entwickelt, sagte der 22-jährige Bauarbeiter im Zeugenstand. Man habe sich in der Clique getroffen. Unternehmungen zu zweit habe es nicht gegeben. Der Sex sei „ohne Beziehung oder Gefühle, nur Spaß“ gewesen. Über Verhütung habe er nicht nachgedacht. Er habe geglaubt, sie nehme die Pille. Dass es sein Kind war, erfuhr der junge Mann erst von der Polizei.

Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.

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