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Liblarer See bei ErftstadtMit Eisweste im kalten Liblarer See tauchen

Lesezeit 4 Minuten

Rhein-Erft-Kreis – Was mache ich hier? Leise Zweifel steigen auf. Sonst tauche ich nur in kristallklarem Blau in tropischen Meeren bei Wassertemperaturen von bis zu 28 Grad. Jetzt aber – es ist Sonntag, kurz nach 8 Uhr, sieben Grad Luft- und 16 Grad Wassertemperatur – sehe ich unter Wasser kaum die Hand vor Augen.

Rings um den Steg des Segelclubs Ville wabern noch letzte Frühnebelschwaden bis zum gegenüberliegenden Ufer des Liblarer Sees. Im Herbst hat die Hochsaison für das Kaltwasser-Tauchen begonnen. Je kälter das Wasser, desto besser die Sicht und je tiefer man taucht, desto kälter wird es – bis zu drei Grad in tieferen Schichten des Sees. Es drohen aber auch umso mehr Risiken wie Orientierungsverlust, Panik oder Tiefenrausch. Doch hier gilt: „Wer friert, ist entweder arm oder dumm.“ Vorbereitung ist alles.

Trüb und schlammig

Als bekennende Warmwasser-Taucherin will ich es das erste Mal versuchen: ins trübe kalte Wasser springen, abtauchen bis zum Grund des schlammigen Sees, wo sich Hechte, Aale und ein 1,80-Meter-Wels in wogenden Algenwäldern verstecken.

Ich will mich überzeugen lassen von der Faszination der Unterwasserwelt eines Tümpels im Vergleich zu den unendlichen azurblauen Weiten in entfernten Regionen dieser Welt, „wo es warm und bunt ist“, wie Axel Januschek vom SSI Divecenter Königsdorf es ausdrückt.

Er ist Kaltwassertaucher aus Überzeugung, 500 Tauchgänge. und „schon in jede Pfütze in Deutschland gehüpft“. Der 45-Jährige hat die Herausforderung angenommen, mir den Zauber des Tümpeltauchens zu offenbaren.

Selbst mit dem sieben Millimeter dicken Neopren-Anzug samt Eiswüste „fürs Kuschelrock-Tauchen“, wie Axel kommentiert, fühlt sich die kühle Herbstluft nicht wirklich kuschelig an. Der Rebreather, ein Sauerstoffgerät, das – vereinfacht gesagt – keine Luftblasen produziert, wiegt immerhin 40 Kilogramm.

Die Einführung in die Dive-Site, die bei den Korallenriffen vor Thailand so lang wie ein ganzer Tauchgang dauern kann wegen der vielen Unterwasser-Wesen und Besonderheiten der submarinen Landschaft, fällt hier kurz aus: „Wir gehen neben dem Steg rein, tauchen durch den Algen-Dschungel und machen einen Schlenker zum linken Ufer. Vielleicht stoßen wir da auf etwas Interessantes.“ Mit viel Glück den sagenumwobenen 1,80-Meter-Wels, der angeblich auch mal eine Ente frisst.

Die Sicht lässt zu wünschen übrig. Oder mit den Worten von Stephan Kuck, der eine Gruppe Taucher anführt: „Ein guter Polizeitaucher hat zehn Augen, an jeder Hand fünf.“ Der 50-Jährige, 900 Tauchgänge, muss es wissen. Immerhin hat er schon zwei Tresore im Fühlinger See gefunden. „Man weiß nie, was einen da unten erwartet. Das macht es so spannend.“ Nur auf eine Wasserleiche möchte er niemals stoßen, sagt er, und der Rest der Truppe nickt.

Nach den ersten Schritten im Wasser flutet das kalte Nass das Innere des Anzugs. Nicht daran zu denken, 45 Minuten darin zu verbringen und dabei noch entspannte Taucheerfahrungen zu sammeln. Aber es hilft nichts. Der erste Trupp taucht schon ab. Die Luftblasen hinterlassen sich ausbreitende Ringe auf der sonst spiegelglatten Wasseroberfläche.

„Ist doch pisswarm“, bemerkt dagegen Axel. Aber er ist wohl abgehärtet, denn er taucht auch gern noch im Winter, wenn er sich erst ein Loch ins Eis schlagen muss. Runter geht es ins dunstige, von Algenpartikeln nebelig grüne Wasser. Schon nach einem halben Meter ist die Wasseroberfläche nicht mehr zu taxieren. Das ist ein merklicher Unterschied zu den glasklaren Gewässern des Indo-Pazifiks, durch die man bis zum sandig weißen Grund blickt, über den Manta-Rochen huschen wie fliegende Fledermäuse.

Die Warnung im Kopf, dass es mehr ein Ertasten als ein Sehen von Hindernissen wird, lasse ich mich mit ausgestreckten Armen kopfüber sinken. Gleichzeitig kämpfe ich mich durch den Unterwasser-Dschungel, wische die Schlingpflanzen ringsherum zur Seite, die beharrlich am Rebreather-Mundstück zerren und sich in den Flossen verheddern.

Der Blickradius verengt sich im grünen Dunst auf das unmittelbare Gesichtsumfeld. Doch kaum hat man sich an die veränderte Perspektive gewöhnt, eröffnet sich eine zauberhafte, lautlose Welt. Der Algen-Dschungel mutiert zu einem märchenhaften Dickicht, das Geheimnisvolles, vielleicht noch Unentdecktes bergen könnte. Unwillkürlich nimmt einen diese Welt gefangen.

Und auf einmal ist da der Moment, in dem man alles um sich herum ausblendet und die Kälte nicht mehr spürt. Alles oberhalb der Wasseroberfläche ist vergessen. Ich versinke in der Betrachtung der Unterwasserwelt. Selbstvergessen schwebe ich über einer zänkische Flusskrabbe mit drohend erhobenen Zangen hinweg und beobachte fasziniert die mutigen Angriffsversuche des Handteller großen Kerlchens gegen ein 50 Mal größeres Gegenüber.

Wenige Meter weiter steht ein Hecht regungslos über dem Algen-Dschungel. Auch er bleibt völlig unbeeindruckt, denn im Unterschied zum Flaschentauchen blubbern um mich herum keine Luftblasen, die ihn alarmieren könnten.

Auch wenn der gerade mal unterarmlange Hecht kaum mit einem Hammerhai mithalten kann – übt dieser See plötzlich einen ähnlichen Zauber wie die Tiefsee aus, der gleichzeitig Demut und Faszination erzeugt.

Axel wird später sagen: „Du hast dich ganz gut geschlagen und austariert fürs erste Mal.“ Beinahe ein Ritterschlag von einem Kaltwassertaucher.