Die Stadt am Rhein wehrte sich vor 50 Jahren erfolgreich vor Gericht gegen die Eingemeindung nach Köln.
Kampf gegen EingemeindungAls in Wesseling die Freudentränen flossen

Schüler demonstrierten mit Bürgermeister Martin Reglin gegen die Eingemeindung nach Köln.
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Wesseling ist die Stadt am Rhein, die sich nicht schlucken ließ und darauf ist man hier bis heute stolz. Als 1975 in Nordrhein-Westfalen die kommunale Neuordnung in Kraft trat, schien das Schicksal des Ortes besiegelt. Gegen den Willen der Bewohner wurde die Industriestadt zum südlichsten Stadtteil Kölns erklärt – ein Verwaltungsakt, der für politische und emotionale Erschütterungen sorgte. Wesseling, wirtschaftlich geprägt von Chemieindustrie und Hafenanlagen, schien für Köln ein attraktiver Zugewinn. Aber nicht für die Einwohner. Ihnen drohten höhere Kosten. Während zum Beispiel die Straßenreinigungsgebühren pro laufendem Meter in Wesseling bei 40 Pfennig lagen, betrugen sie in Köln 3,90 Deutsche Mark. Ein Hundebesitzer wurde in Wesseling mit 36 und in Köln mit 60 Mark zur Steuerkasse gebeten.

Bürgermeister Martin Reglin verliest am Abend des 6. Dezember 1975 das Urteil, das das „Köln-Gesetz“ für verfassungswidrig erklärte.
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In der Bevölkerung formierte sich Widerstand. Bürgerinitiativen, Stadtrat und Gewerbetreibende kritisierten nicht nur den Verlust lokaler Entscheidungshoheit, sondern auch die Befürchtung, in der Millionenmetropole politisch unterzugehen. Erst recht vor dem Hintergrund, dass Wesseling 1972 die Stadtrechte verliehen worden waren. Dafür hatte die Stadt gut investiert, unter anderem in das neue Rathaus, das Schulzentrum, in Sportanlagen, in die neue Feuerwache, in den Straßen- und Kanalbau. Das Ringen um die Selbstständigkeit der Stadt begann auf allen Ebenen. So wurde im Januar 1974 im Hauptausschuss einstimmig die Gründung der „Aktion Bürgerwillen Wesseling“ und zugleich der Beitritt zur landesweiten „Aktion Bürgerwille“ beschlossen.
Änderung der Gemeindeordnung
Das Ziel der landesweiten Initiative war eine Änderung der Gemeindeordnung zugunsten der Beteiligung der Bürger bei kommunalen Gebietsreformen. Dazu organisierte eine Arbeitsgruppe in Wesseling unter der Regie des ersten Beigeordneten Reinhard Konda ein Volksbegehren. Eine zweite Arbeitsgruppe „Neugliederung“ suchte vor allem „Argumente gegen eine Eingemeindung“, erinnert sich der Beigeordnete und Jurist Ulfried Schwencke, der sie leitete. „Wir waren voller Tatendrang“, so der heute 87-Jährige. Der damalige Bürgermeister Martin Reglin entwarf eigenhändig kritische Karikaturen, die auf Flugblättern zur Stimmabgabe bei dem Volksbegehren aufriefen. Tausende Plakate und Aufkleber mit dem Slogan „Wesseling muss Wesseling bleiben“ wurden verteilt. Das Ergebnis in der Stadt war eindeutig. 83 Prozent der Wahlberechtigten votierten im Februar 1974 dagegen. Landesweit erreichte die „Aktion Bürgerwille“ aber nicht die erforderliche Mindestbeteiligung der Bürger.
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Am Abend des 6. Dezembers 1975 feierten tausende Wesselinger am Neuen Rathaus ihre neue Selbstständigkeit.
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Der Landtag von NRW beschloss am 27. September 1974 das „Köln-Gesetz“, das die Eingemeindung Wesselings nach Köln besiegelte. „Wir waren alle sehr enttäuscht“, sagt Schwencke. Die Flaggen am Rathaus wehten auf halbmast. Jetzt blieb nur noch der Gang vor das Landesverfassungsgericht nach Münster. „Hier konnten wir dem Bonner Anwalt Dieter Sellner aufgrund unserer gesammelten Daten und Unterlagen gut zuarbeiten“, erklärt Schwencke. „Wir hatten Hoffnung, waren aber nicht überzeugt, dass wir gewinnen.“ Umso größer war die Freude über das Urteil am Nikolaustag 1975, das das „Köln-Gesetz“ für verfassungswidrig erklärte. „Ich weiß noch“, so Schwencke, der mit in Münster war, „dass ich im vollen Gerichtssaal neben dem Ausgang stand und mir gemerkt hatte, wo das nächste Münztelefon war.“ Nach der Urteilsverkündung rief er sofort in Wesseling an, um die freudige Botschaft zu verkünden. Am Abend versammelten sich dann 10.000 Menschen auf dem Alfons-Müller-Platz.
Selbst politische Gegner lagen sich in den Armen
Vor Freude flossen Tränen und selbst politische Gegner lagen sich in den Armen. Außerplanmäßig läuteten die Glocken. Bürgermeister Martin Reglin hatte dem Anwalt Wesselings, Dieter Sellner, die Verdienstmedaille der Stadt noch im Gerichtssaal übergeben. „Es herrschte eine unglaublich tolle Stimmung“, berichtet auch Stadtarchivarin Martina Zech, die die Geschichte aus den Dokumenten sehr gut kennt, und damals als Zehnjährige mit ihrer Großmutter auf dem Rathausplatz war. „Die Freude hatte alle ergriffen, so wie zuvor der Protest“, erzählt Zech. Nach einem halben Jahr als Kölner Stadtteil wurde Wesseling am 1. Juli 1976 offiziell wieder selbstständig. Deshalb wird das Stadtfest immer am ersten Juli-Wochenende gefeiert.
Kleine Feier im Rathaus
Zum 50. Jubiläum des Urteils zur Selbstständigkeit lädt Bürgermeister Ralph Manzke alle Wesselingerinnen und Wesselinger zu einer Feierstunde als Stehempfang am Samstag, 6. Dezember, um 17 Uhr ins Foyer des Neuen Rathauses, Alfons-Müller-Platz ein. „Zwar erlaubt die aktuelle Haushaltslage der Stadt keine opulente Feier, aber das Ereignis ist so bedeutsam für Wesseling, dass es einfach - wenn auch in kleinem Rahmen - gefeiert werden muss“, so Manzke. Mit Filmbeiträgen, Fotos und dem Wesselinger Heimatlied wird daran erinnert.
