Schlagzeuger Hans Dekker aus Much„Jedes Arrangement ist ein Fahrplan“

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Much – Der Holländer Hans Dekker (Jahrgang 1969) ist fest angestellter Schlagzeuger der WDR-Bigband Köln. Der Vater zweier Kinder (18 und 16 ) lebt seit 2005 mit seiner Frau Miett in Much-Heckhaus. Annette Schroeder sprach mit dem international bekannten Musiker.

Wie haben Sie zum Schlagzeug gefunden?

Mein Vater war ein begeisterter Amateur-Schlagzeuger. Ich wollte immer mitfahren, wenn er am Wochenende mit seinem Trio auftrat. Irgendwann bekam ich ein eigenes Zimmer auf dem Dachboden; dort wurde auch das Schlagzeug aufgebaut. Vater hat mir gezeigt, wie man mit Besen spielt, und dann ging es los.

Gab es ein musikalisches Schlüsselerlebnis?

Ja, als ich neun war, hat mich mein Vater mit zu einem Auftritt von Art Blakey genommen. Ich durfte auf die Bühne, wo ich ein Autogramm von Blakey bekam und eine Schallplatte kaufen konnte. Das war ein besonderes Erlebnis, zumal wir zu Hause damals nur ganz wenige Platten hatten.

Sie haben sich das Schlagzeugspielen also mehr oder weniger selbst beigebracht?

Ja. Ein paar Jahre später bin ich Mitglied der örtlichen Leihbibliothek geworden, habe mir dort eine Platte nach der anderen ausgeliehen, zu Hause Kopfhörer aufgesetzt und gecheckt, wie die berühmten Kollegen spielen. Als Jugendlicher habe ich die Trommel in einer Marching Band bedient und hatte auch ein bisschen Unterricht. Und mit 18 habe ich dann die Aufnahmeprüfung am Konservatorium in Hilversum gemacht – ganz allein, unvorbereitet und ohne Theoriekenntnisse. Aber dafür konnte ich sehr viele Stücke spielen. Ich war zuversichtlich, dass es klappt, und so war es.

Haben Sie auch in kleinen Clubs gespielt?

Ich meinem ersten Jahr in Hilversum bin ich bei einer Popband eingestiegen. Drei- bis viermal in der Woche spielten wir auf Partys und Hochzeiten und verdienten richtig viel Geld; da konnte ich mir auf einmal ein Auto leisten. Ich traute mich nicht, das den Jazzkollegen zu erzählen, denn wir traten im Smoking auf. Ein richtiger Clubspieler, der für 50 Euro auftritt, bin ich nicht geworden. Mein Ziel war es immer, von der Musik gut leben zu können.

Was in den Big Bands der großen Rundfunksender schon eher möglich ist.

Nach dem Studium wurde ich für eine Produktion in der NDR Big Band engagiert, das war mein Einstieg. Ich war erst 23, es war eine aufregende Zeit. In der Band saßen ein paar Urgesteine, die erst mal gar nicht mit mir geredet haben. Irgendwann, nach ein paar Tagen, schaute ein Kollege zu mir herüber und meinte: Heute ist Donnerstag, oder?

Wie kamen Sie zur Big Band des WDR?

Ich hatte mir eigentlich keine Hoffnungen gemacht, weil die immer nur mit Stars spielten. Aber 1994 erhielt ich einen Anruf, ob ich für eine Probe den Drummer Jeff Hamilton vertreten könnte, der in Japan feststeckte. So fing es an. Zunächst habe ich viel als Freelancer gespielt, und 2005 wurde eine feste Stelle für mich geschaffen.

Was ist das Besondere daran, in dieser Formation zu spielen?

Für mich war das so, als ob ich in einen Rolls Royce eingestiegen wäre. Besser geht es nicht.

In einer Big Band ist viel durcharrangiert und wenig Raum zum Improvisieren. Stört das?

Nein. Ein Arrangement ist für mich ein Fahrplan: Wie komme ich von A nach B? Ich muss zwar das Timing und den Groove berücksichtigen, aber da ich als Schlagzeuger allein bin, darf ich entscheiden, wie ich fahre. Ich trage große Verantwortung für Timing, Lautstärke und Tempo; vergleichbar mit der Rolle des Dirigenten.

Sind Sie schon mal aus der Form geflogen?

Man haut schon mal daneben, das ist wie ein Räuspern im Gespräch, das dann einfach weiter geht. Das Publikum merkt meist nichts davon. Aber das alles zusammenbricht und man nicht mehr weiterweiß – das passiert ganz selten, und nur bei einer Probe. Zum Beispiel bei indischer Musik mit ungewöhnlichen Taktarten. Das müssen wir alle in der Band proben, so was kann man nicht vom Blatt spielen.

Haben Sie einen Lieblings-Schlagzeuger?

Ja, den 1990 gestorbenen US-Amerikaner Mel Lewis. Er spielte mit großem Selbstbewusstsein, aber ohne Ego. Da war nichts zu viel und nichts zu wenig. Es passte alles, was er spielte.

Inzwischen sind Sie selbst eine Referenzgröße für junge Drummer.

Vielleicht. Ich habe zehn Jahre am Konservatorium in Enschede unterrichtet, bis ich 2005 nach Much-Heckhaus zog. Hier unterrichte ich nicht; weil es zu schwierig zu finden ist. Die Schüler würden nie rechtzeitig ankommen. Ich lade aber gern Leute zu Proben im WDR ein, damit sie sich was abgucken können. Erklären kann man Schlagzeugspielen in fünf Minuten. Aber es dauert ein Leben lang, bis es wirklich gut klingt.

Sie sind Dozent beim Bergischen Jazz-Workshop in Neunkirchen-Seelscheid. Haben Sie einen Übe-Tipp für Amateure?

Üben ist wichtig, aber nicht nur am Drum Set. Man muss gute Leute hören und viel mit anderen zusammenspielen. Manchmal sitze ich im Auto, höre etwas und singe den Groove dazu. Dann schlafe ich drüber, und am nächsten Tag setze ich mich ans Set und es funktioniert. Ich höre auch ständig Musik, bis zu 14 Stunden am Tag. Das ist nicht immer schön für die Mitwelt, aber so ist das bei Musikern.

Sie wirken im Konzert sehr cool und ausgeglichen. Ist das Ihr tatsächlicher Gemütszustand?

Ja. Herumzappeln am Drum Set geht gar nicht, damit macht man alle verrückt.

Ihre Frau Miett ist Sängerin. Treten Sie gemeinsam auf?

Selten. Ich finde das schwierig. Abends steht man zusammen auf der Bühne, und am nächsten Tag sitzt man zusammen beim Mittagessen und kritisiert sich gegenseitig. Das geht nicht.

Haben Sie noch Zeit für ein Hobby?

Ich segle gern, damit bin ich aufgewachsen. Meine Eltern hatten ein Plattbodenschiff, das ich verkauft habe, als ich nach Much zog. Und jetzt lerne ich für den Segelschein, denn ohne Führerschein kann man in Deutschland kein Boot leihen.

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