Um zwei jungen Männern mit geistiger Behinderung eine Chance zu geben, hängt Friedhelm Funken an seinen Arbeitstag gern zwei Stunden dran.
„Ich will Chancen geben“Mucher Bäcker beschäftigt junge Männer mit geistiger Behinderung

„Man braucht Ruhe und Geduld“: Friedhelm Funken (Mitte) hängt zwei Stunden dran an seinen Arbeitstag, um seine Mitarbeiter Leonard (r.) und Robert weiterzubringen.
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Leonhard Simon kann sich jedes Rezept im Detail merken, jedoch nicht rechnen. Robert Monschau ist extrem ordentlich, braucht aber Hilfe für eine feste Tagesstruktur. Eine Ausbildung würden die beiden zwar praktisch schaffen, sagt Friedhelm Funken, theoretisch aber nie – aufgrund ihrer geistigen Behinderung. Den jungen Männern eine Chance zu geben auf dem ersten Arbeitsmarkt, „das treibt mich um“, sagt der Bäckermeister aus Much.
Insgesamt vier Mitarbeiter gehören zu seinem Team: außer Leonhard (31) und Robert (26) sind das Bäckerin Bianca und Azubi Marcel – man duzt sich im Handwerk. Dass die Zusammenarbeit funktioniert, ohne Berührungsängste, sei nicht selbstverständlich, sagt der 63-Jährige. Es laufe ebenso gut mit den Verkäuferinnen vorn im Laden, bestätigt Gesellin Christina Holz und lobt das gut gelaunte Duo: „Sie sind die Besten.“
Brötchen, Rührkuchen, Bienenstich: Das haben sie alles in der Backstube in Much gelernt
Die beiden tragen das graue Poloshirt mit dem gestickten Funken-Emblem mit Stolz und posieren mit ihren „Lausbua“-Kappen breit grinsend vor dem Ofen, der ideale Platz fürs Foto, wie sie finden. Danach formen sie aus Milchbrötchenteig Mäuse, Schildkröten, Weckmänner.
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Und Brezel. Leonard rollt die glatte Masse mit Hingabe, dreht die Enden mit Akribie. „Perfekt“, lobt der Chef und dreht den Teigling: „Schaut mal, so herum ist es ein schwäbischer und andersrum eine bayerische Brezel.“ Sie können auch Brötchen produzieren, Rührkuchen, Bienenstich. Alles hier gelernt. Große Freude.

Leonard Simon (r.) und Robert Monschau freuen sich über die Arbeit in der Backstube. Hier sei es viel abwechslungsreicher als in der Werkstatt.
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So viel Begeisterung sei selten, sagt Funken. „Sie sagen nie Nein.“ Das habe er bei früheren Mitarbeitern schon anders erlebt. Um den jungen Männern noch mehr zu vermitteln, hänge er gern zwei Stunden dran. Wenn Leonard und Robert an vier Tagen in der Woche um 6 Uhr gebracht werden, sind der Chef und die Kollegen schon seit 2 Uhr zugange, wenn sie um 12 Uhr abgeholt werden, haben Bianca und Marcel längst Feierabend.
Die Bäckerei in Marienfeld fungiert quasi als Außendienststelle der Lebenshilfe, erläutert der Meister die Kooperation. Leonard Simon und Robert Monschau sind Angestellte des gemeinnützigen Vereins, der sie entlohnt. Friedhelm Funken sieht sich als Förderer. Er investiere Zeit und Mühe in die Anleitung und erhalte dafür etwa zwei halbe Kräfte.
Wichtig sei aber auch das Drumherum, er nehme die beiden mit in die Metro, zum Schrottplatz, interessiere sich dafür, wie sie lebten (in einer Wohngruppe, in der Familie), für ihre Talente und Hobbys, „ich spiele Fußball im inklusiven Team des SV Menden, als Verteidiger“, erzählt der schlaksige Leonard, „ich mache Fitness“, erzählt der breitschultrige Robert, mit dem imposanten Bizeps.
Sie waren zuvor in einer Lebenshilfe-Werkstatt in der Küche beschäftigt. Es sei zu eintönig gewesen, Spülmaschine einräumen, ausräumen, abtrocknen, schildern die Kumpel. „Bei Friedhelm ist es abwechslungsreicher“, sagt Wortführer Leonard. „Und hier sind die hübscheren Mädels.“ Nun grinsen alle drei.
Selbst dem Putzen am Freitag widmen sie sich mit Fleiß und Eifer. „Das muss alles sehr gründlich sein“, erklärt Robert und schildert detailliert, wie er den Kneter einweicht. Auch der Ofen schreckt ihn nicht, erzählt der 26-Jährige: „Die Hitze macht mir nichts aus“.

Weckmänner, Mäuse, Schildkröten formen die Mitarbeiter aus Milchbrötchenteig. Eine Fertigkeit, die sie erst bei Funken erlernten.
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Wie lange arbeitet er schon in Marienfeld? „Ein paar Wochen oder Monate“, sagt er. Der Chef korrigiert: „Seit einem Jahr.“ Nicht jeder ist geblieben in der Vergangenheit, neben dem Geschick musste die Chemie stimmen, auch zwischen Robert und Leonard, in der Backstube schon ein alter Hase. Friedhelm Funken hatte ihn bei einer Plätzchen-Backaktion in der Lebenshilfe vor fünf Jahren kennengelernt und gemerkt: „Der kann mehr.“ Ein vierwöchiges Praktikum folgte.
Das Duo bringe eine Menge mit, habe vielen Azubis etwas voraus, lobt der Meister. Würde er auch einen dritten Mitarbeiter mit Handikap beschäftigen? „Das wäre nicht zu schaffen“, sagt Funken, der sich nach dem langen Arbeitstag und dem Pressetermin sichtlich nach seinem Bett sehnt. Man müsse schon „viel Ruhe und Geduld“ mitbringen, damit der Betrieb läuft: „Denn am Ende zählt das, was wir als Team gemeinsam schaffen.“
Ziel ist die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt
Die Lebenshilfe Rhein-Sieg mit Sitz in Troisdorf hat knapp 1000 Beschäftigte mit körperlicher und geistiger Behinderung. Etwa 50 von ihnen haben „betriebsintegrierte Arbeitsplätze“ (biA) in regulären Unternehmen. Dazu zählten Handwerker, Gnadenhöfe, Einzelhändler und größere Betriebe wie das Zentrallager eines großen Discounters, berichtet Norbert Pollklesener, der bei der Lebenshilfe Rhein-Sieg für den Geschäftsbereich Übergang allgemeiner Arbeitsmarkt und Berufliche Integration zuständig ist.
Die Unternehmen zahlten einen Betrag an die Lebenshilfe zahlen, dessen Höhe sich nach dem Aufwand und den geleisteten Arbeitsstunden richte. Die Beschäftigten verdienten in der Regel etwas mehr als in den Werkstätten, würden in der höchsten Stufe eingruppiert und erhielten zudem einen Zuschlag. Die Abteilung für die Akquise und Betreuung habe die Aufgabe, die Menschen möglichst in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. Ein erster Schritt sei die biA.