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Fallzahl steigtWie Ordnungsämter in Rhein-Sieg nach Angehörigen von einsam Verstorbenen suchen

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Auf dem Siegburger Nordfriedhof gibt es ein Gräberfeld für Unbedachte, auf dem symbolische Holzkreuze stehen.

Auf dem Siegburger Nordfriedhof gibt es ein „Gräberfeld für Unbedachte“, auf dem symbolische Holzkreuze stehen.

Stirbt ein Mensch einsam, beginnt für das Ordnungsamt die Suche nach Angehörigen. Findet sich keiner, gibt es meist eine anonyme Bestattung.

Die Erinnerungen sind im Troisdorfer Ordnungsamt von A bis Z geordnet. In großen, braunen Umschlägen stecken Fotos, Briefe, Dokumente von Menschen, die einsam gestorben sind. Diese Dinge von emotionalem Wert werden viele Jahre aufbewahrt, wie Christian Marosvary schildert: „Vielleicht taucht ja doch noch ein verschollener Sohn aus Südafrika auf.“ Es ist oft das Einzige, was bleibt, denn zumeist findet eine anonyme Beisetzung statt. Deren Zahl nimmt im Rhein-Sieg-Kreis zu.

Im Jahr 2024 zählte Troisdorf 47 ordnungsbehördliche Bestattungen, so lautet die etwas sperrige Bezeichnung; im Jahr 2020 waren es 16. Auch in Lohmar zeigt der Trend seit Jahren nach oben, so die Pressestelle: Sieben waren es im Jahr 2023, neun im Jahr 2024.

In Sankt Augustin hat sich die Zahl verdoppelt

In Sankt Augustin hat sich die Zahl laut Pressesprecher Benedikt Bungarten in den vergangenen zwölf Jahren verdoppelt, auf ein Dutzend in den Jahren 2023 und 2024, das könne aber auch dem Zufall geschuldet sein.

In Siegburg sei hingegen keine Tendenz erkennbar, berichtet Stadtsprecher Jan Gerull. 2012 zählte man 36, 2024 nur 17 und im laufenden Jahr bislang 25 Beerdigungen, von Amts wegen in die Wege geleitet und bezahlt.

Auffallend ist, dass in der Kreisstadt mit rund 40.000 Einwohnern mehr registriert werden als im wesentlich größeren Sankt Augustin (knapp 60.000 Einwohner). Dies liege sicherlich an den Todesfällen in den Krankenhäusern – in Siegburg gibt es eine Klinik, in Troisdorf zwei -, vermutet Bungarten: „Wir haben ja lediglich eine Kinderklinik.“      

Ein Ordnungsamtsmitarbeiter mit Hinterlassenschaften von einsam Verstorbenen.

Ein Jahr lang werden Hinterlassenschaften, wie diese Handtasche, verschlossen aufbewahrt, danach landen emotionale Werte, wie Fotos und Briefe, in einem Umschlag, erzählt Christian Marosvary.

Nicht jeder, der einsam stirbt, hat keine Familie. Marosvary, der in Troisdorf seit neun Jahren mit diesem Thema betraut ist, schätzt den Anteil auf lediglich zehn bis zwanzig Prozent. Das könne er recht schnell einschätzen, wenn er von Amts wegen die Wohnung des Verstorbenen untersuche. Er schaut in Regale, Ordner, Schubladen: Gibt es ein Testament, ein Stammbuch, Geburtsurkunden? Ein Telefonverzeichnis, Notizen, Briefe?

Im Privaten herumzustöbern, sei „keine angenehme Aufgabe“, räumt der Ordnungsamtsmitarbeiter ein. Doch das müsse sein, denn die Verwaltung setze nicht nur Verwandte über den Tod in Kenntnis, sondern verpflichte auch die engsten Angehörigen zur Kostenübernahme. Nur falls diese nicht zahlen könnten, helfe auf Antrag das Sozialamt des Wohnorts. Als Balanceakt zwischen behördlicher Pflicht und Anteilnahme beschreibt der 52-Jährige diese Situation.

Nicht immer ist die Suche nach einem Ehepartner, nach Kindern, Eltern oder Geschwistern einfach. Stamme der Verstorbene zum Beispiel aus Schlesien, existiere in der Regel keine Geburtsurkunde, weiß Marosvary.  Auch mehrfache Wohnortwechsel bärgen Komplikationen. Im verheerenden Hochwasser im Ahrtal verschwanden ganze Archive. Stets drängt die Zeit: Nach dem Bestattungsgesetz muss der Tote innerhalb von zehn Tagen kremiert sein, das heißt im Krematorium verbrannt, die Urne darf höchstens sechs Wochen stehen.   

Ich habe menschliche Abgründe erlebt, Hauen und Stechen
Christian Marosvary ist im Troisdorfer Ordnungsamt für die Suche nach Angehörigen von einsam Verstorbenen zuständig

Wenn die Behörde Angehörige ausfindig macht, wollten diese oft nicht zahlen, kann auch Jan Gerull berichten. Es gebe ja in der Regel Gründe, dass die Verbindung zu Lebzeiten abriss. Schwelende Familienkriege erlebte Christian Marosvary, „menschliche Abgründe, Hauen und Stechen“.

Nicht jeder, der einsam stirbt, sei am Ende ein armer Schlucker gewesen. In einem Fall habe er 250.000 Euro in bar und reichlich Goldschmuck dem Nachlassgericht übergeben. Derjenige wurde, ohne eine Vorsorge zu Lebzeiten oder ohne einen schriftlich fixierten letzten Willen, indes genau wie der Mittellose so schlicht wie möglich, das heißt in jedem Fall anonym, unter die Erde gebracht.

Anderenfalls hätten Familienmitglieder, die später das Erbe antreten wollten, von der Behörde eine Kostenerstattung verlangen können. Wegen Nachlassverschwendung.         

Grob gesagt, verschlinge eine einfache Beerdigung zwischen 1700 und 2500 Euro, teilten die angefragten Kommunen mit. Kosten, die in der Regel die öffentliche Hand trage – und somit die Allgemeinheit. Der schlichte Sarg wird davon bezahlt, der Transport zum Krematorium, die Urne, die Beisetzung, die in der Regel die Friedhofsverwaltung vornimmt. Keine Feier, keine Trauerrede, kein Gesang, keine Kerzen, keine Blumen.

Wo die Asche verbleibt, ist unterschiedlich. Sankt Augustin lässt diese ins linksrheinische Mechernich bringen, wegen der niedrigeren Gebühren, Troisdorf nach Rheinland-Pfalz. In Siegburg gibt es auf dem Nordfriedhof ein Gräberfeld für „Unbedachte“, reserviert für diejenigen, die lange in der Stadt lebten. Habe der Verstorbene keinen Bezug zu Siegburg gehabt, finde die Urnenbeisetzung am Krematorium Braubach am Rhein in Rheinland-Pfalz statt, weiß Bestatter Peter Esser.    

Er und seine Kollegen werden laut Stadtverwaltung reihum mit den ordnungsbehördlichen Bestattungen beauftragt. Es sei ein „schmaler Grat zwischen Wirtschaftlichkeit und Würde“, so empfindet es der 57-jährige Esser, der vor 32 Jahren ins Familienunternehmen einstieg und es in dritter Generation führt.     

Peter Esser ist seit 32 Jahren Bestatter, er führt das Familienunternehmen in der dritten Generation.

„Ich bin oft der Letzte, der Tschüss sagt.“ Peter Esser (57) ist seit 32 Jahren Bestatter, er führt das Siegburger Familienunternehmen in der dritten Generation.

Er sieht vor allem in größeren Städten immer mehr anonyme Bestattungen, nicht nur vom Ordnungsamt verfügte. In Siegburg gebe es mit den pflegefreien Gräbern seit einiger Zeit eine Alternative. Dann könnten Besucher zumindest den Namen des Verstorbenen noch lesen. Und sich vielleicht erinnern – an eine Begegnung, an ein Gespräch. Was am Ende des Weges bleibt von einem Menschen, das beschäftige ihn schon, bei aller Professionalität. „Ich bin oft der Letzte, der Tschüss sagt.“

Wenn auch nicht auf dem Friedhof, wird der Toten im Rhein-Sieg-Kreis, für die es keine Trauerfeier gab, seit fast 20 Jahren einmal im Vierteljahr öffentlich gedacht. Die ökumenischen Gottesdienste in der Kapelle am Siegburger Helios-Klinikum kündigen die Veranstalter per Zeitungsannonce an, in der die Namen der Verstorbenen genannt werden.

Eine Nachricht, die manchmal frühere Nachbarn, Bekannte, Freunde, auch Verwandte erreicht. Nicht selten, berichteten die Pfarrer beider Konfessionen, flössen bei diesem zentralen Abschied die Tränen.           


Streit mit der Mistgabel

In der Regel werden die Verstorbenen kremiert, doch es gibt Ausnahmen. Ein letzter Wille, der die Verbrennung ausschließe, werde respektiert, heißt es aus dem Troisdorfer Ordnungsamt. Für Menschen jüdischen Glaubens ist eine Erdbestattung Pflicht, der nächste Friedhof befindet sich in Bonn. Bei Muslimen hat Christian Marosvary noch keine ordnungsbehördliche Bestattung anordnen müssen, auch wenn keine nahen Angehörigen vorhanden waren: „Darum hat sich immer die Familie gekümmert.“       

Er kann skurrile Geschichten erzählen, zum Beispiel von einem Hausmeister, der mehr als bescheiden lebte. „Seine Nichte in Amerika, die ihn gar nicht kannte, wurde zur Millionärin.“ Schlagzeilen in einem Boulevardblatt machte eine frühere Rotlichtgröße, die in einem Troisdorfer Seniorenheim starb. Im Streit zwischen den Angehörigen und zwei Bestattern um Kosten und Verantwortlichkeiten soll eine Mistgabel zum Einsatz gekommen sein. Die Stadt Köln habe für die Sicherheit bei der Promi-Beerdigung, zu der mehr als 1000 Leute erwartet wurden, um Amtshilfe aus Troisdorf gebeten. „Das“, sagt Marosvary, „war dann nicht mehr unsere Baustelle.“