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Drachenfels im Stahlkorsett„Der Berg dort sieht aus wie Schweizer Käse“

Lesezeit 7 Minuten
  1. Im Jahr 2014 ergaben Messungen, dass sich die Zugkräfte im Stein kontinuierlich erhöht hatten. Ohne die Sanierung würde der Fels allmählich wegbröckeln.
  2. Nun wird der Trachyt-Felsen von einem 60 Meter hohen Gerüst stabilisiert.
  3. Ein Besuch bei Roland Strauß und Martin Fischer, die die Arbeiten leiten.

Von einem  60 Meter hohen Gerüst aus wird der poröse Trachyt-Fels stabilisiert.

Dass mit dem Drachenfels etwas nicht stimmt, das sieht man schon von weitem: Ein sagenhaftes technisches Korsett umfasst seit Monaten die Spitze des 321 Meter hohen Wahrzeichens ganz oben, da wo die Ruine der Burg Drachenfels steht. Als habe man ein Hochhaus in den Berg getrieben: Ein Baugerüst mit 18 Etagen, 60 Meter hoch, fünf Meter tief und ein Aufzug befördert Material und Menschen mit Schutzhelmen hoch und runter. 220 Tonnen Material sind hier verbaut und von der Talstation Königswinter aus über den rheinwärts gelegenen, schmalen Wanderpfad transportiert worden. Eine logistische Meisterleistung, keine Frage. Aber warum das alles? Darum: „Ich bin unruhig geworden“, sagt Roland Strauß, „ich habe angefangen, schlecht zu schlafen.“

Strauß ist Professor für Ingenieur-Geologie beim Geologischen Dienst in Krefeld – er ist das wissenschaftliche Gewissen der Arbeiten am Drachenfels; seine Behörde ist seit den 70er Jahren mit dem Drachenfels befasst, Strauß bereits seit 1999 – „da liegt also eine gewisse Kontinuität vor“, sagt er. Und wenn er anfängt schlecht zu schlafen, dann liegt das zum Beispiel daran: Es ist Gefahr im Verzug.

Auch Kölner Dom besteht aus Trachyt

Das Problem lässt sich eindringlich demonstrieren: „Alle 50 Jahre springen vom Trachyt etwa fünf Millimeter Gestein ab“, sagt er , ein leichter Schlag mit dem Geologenhammer an eine der felsigen Wände – und eine Scheibe Trachytgestein schält sich ab. Diese Eigenschaft ist altbekannt und hat das Material als Baustoff so populär gemacht. Trachyt ist nicht zu hart, lässt sich gut bearbeiten und bildet relativ glatte Bruchflächen.

Seit Römerzeiten wird der Drachenfels als Steinbruch genutzt. Auch weil der Transport so einfach war: Die Steinbrocken rutschten nach dem Prinzip der schiefen Ebene den Berg hinunter beinahe bis hinein in die Lastkähne unten am Fluss. Wenn das Wasser im Rhein niedrig ist, lassen sich die alten Hafenanlagen noch erahnen. Drachenfels-Trachyt ist geologisch einzigartig, seine Verwendung konnte deshalb nachgewiesen werden bis runter nach Lothringen und hinauf nach Norwegen. Und auch in der Nähe natürlich: Das untere, statisch höchst belastete Drittel des Kölner Doms besteht aus diesem Trachyt.

Ungeheure Kräfte am Werk: Roland Strauß (r.) und Manfred Fischer diskutieren, wie man den Fels stabilisiert bekommt.

Der Drachenfels ist vulkanischen Ursprungs und mit 22 Millionen Jahren deutlich jünger als die umliegenden Gipfel im Siebengebirge. Ein paar Kilometer nördlich, bei Ittenbach, gibt es noch ein ähnliches Gestein. Dort ist ein ganzer Berg ausgehöhlt, beziehungsweise, so der Fachbegriff: ausgekault worden – Trachyt für den Ofenbau wurde abgebaut. Strauß sagt: „Der Berg dort sieht aus wie Schweizer Käse.“

Am Drachenfels steht am Fuße des gewaltigen Gerüsts Manfred Fischer vor einem steinernen Unterstand. „Hier sieht man die Haken, an denen die Esel befestigt waren…“, sagt er. „Eselsweg“ heißt dieser Pfad, weil Kinder hier normalerweise auf den kleinen Lasttieren talwärts reiten können. Fischer ist Ingenieur beim Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW, zuständig für Denkmalpflege und kümmert sich, wenn er nicht gerade hoch über Königswinter herumturnt, um den Erhalt solcher Kleinode wie Brühler Schloss oder Altenberger Dom.

Der Eselsweg musste gesperrt werden, klar – „aber was machen wir mit der Restauration oben am Berg und mit den Touristen?“, beschreibt Fischer eine der frühen Entscheidungen . Die asphaltierte Versorgungsstraße zum Gipfel – der sogenannte Kutschenweg – musste vom Baubetrieb freigehalten werden – das Restaurant im gläsernen Kubus und die Aussichtsplattformen sind nach wie vor in Betrieb und nutzbar.

Der Eselsweg ist nicht zum ersten Mal gesperrt. Gleich gegenüber der Eselstation liegen zwei kleinwagengroße Brocken, die sich Ende der 60er Jahre aus dem Fels gelöst hatten und auf den Weg gestürzt waren. Es ist damals niemand zu Schaden gekommen. Allerdings: „Ob da noch einer drunter liegt, lässt sich gar nicht mit Sicherheit sagen“, scherzt Fischer, „hochgehoben hat die Brocken seither sicher niemand.“ Für Strauß ist dieser Zwischenfall im Nachhinein keine Überraschung: „Ein Steinbruch, der stillsteht, wird kriminell.“

„Dass sich Felsblöcke ein bisschen verschoben haben, sieht man erst, wenn man direkt davor steht.“ Manfred Fischer, Dipl.-Ingenieur, u.a. für Denkmalpflege

Was er meint: Gegen 1830 lief der Steinbruch am Drachenfels aus. Und da man weiß, wie Trachyt arbeitet – es bilden sich Rissfugen; Feuchtigkeit, Baumwurzeln und Efeu beschleunigen und verschärfen das Problem – gehen Geologen davon aus, dass nach knapp 100 Jahren die Brocken runterkommen. „Pünktlich ab 1950 hatten wir hier dann die Steinschlag-Ereignisse“, sagt Strauß, „insofern passt das.“ Heute werden Steinbrüche nach ihrem Auslaufen abgesichert und nach klaren Kriterien gewartet. Daran hat früher natürlich niemand gedacht.

Auf der Baustelle, mitten im Fels, arbeiten jeweils vier bis sechs Leute, jenachdem was gemacht werden muss. Auffällig sind die zahlreichen bunten Zeichen und Markierungen. „Wir haben hier das größte Graffiti nördlich der Alpen“, sagt Fischer. Und das sogar von Amts wegen.

Schon seit den 70er Jahren halten Anker, massive Nägel und Dübel den Fels einigermaßen in Form. Die Bewegungen des Steins rund um diese Befestigungen lassen sich messen. „Seit 1972 überwachen wir die Ankerkräfte“, sagt Strauß. Das ist der Druck, den der Berg auf die künstlichen Befestigungen und Halterungen ausübt. „Es war aufgefallen, dass diese Kräfte gestiegen waren.“ 2014 wurden die Messungen wiederholt, es wurden geodätische Messspiegel angebracht, mit denen nun auch Verschiebungen und Bewegungen im Millimeterbereich bestimmt werden konnten. Die Ergebnisse waren eindeutig: „Der Fels bewegt sich.“

Kosten liegen bei drei Millionen Euro

Es musste reagiert werden. Die Bezirksregierung war schnell überzeugt. „Und da kommen dann wir ins Spiel“, sagt Fischer, Wissenschaftler und Techniker beraten gemeinsam, was es zu tun gilt und was man dafür braucht. Die Kosten wurden auf drei Millionen Euro taxiert, das Geld wurde bereitgestellt. Und dann wird es bunt – jede der notwendigen Maßnahmen wird mit einer eigenen Farbe markiert. Orange bedeutet, dass zwecks Stabilisierung die Spalten im Fels mit Spritzbeton abgedeckt und schließlich – blau! – mit Spezialmörtel verfüllt werden. Der Einsatz von Nägeln wird in neonrosa angezeigt – „rosa N 6“ bedeutet: hier kommt ein sechs Meter langer Nagel hin. Schließlich werden die Spannglieder ausgetauscht, die den Fels wie ein Gürtel umgeben und mit vielen Hunderten Kilo Tragkraft die Betonfassungen um den Gipfel zusammen halten.

„Kollegen in den 70ern haben Pionierarbeit geleistet. Das ist Champions League, was wir hier machen." Roland Strauß, Professor für Ingenieur-Geologie

Die Arbeit in 300 Metern Höhe hat eine Reihe von Vorteilen. Der Ausblick reicht im Norden über Bonn hinweg bis nach Köln, im Westen bis tief in die Eifel hinein und trifft im Süden auf die Rheininseln Grafenwerth und Nonnenwerth mit der alten Klosteranlage – „der schönste Arbeitsplatz Deutschlands“, sagt Fischer. Und nützlich ist es auch: „Manche Steinblöcke, die sich ein bisschen verschoben haben, die sieht man erst, wenn man davor steht.“

Vom Gerüst aus lassen sich die Wände besser untersuchen. Eine Ecke weiter steht zum Beispiel eine Felsnase, nicht ganz unähnlich der Langen Anna von Helgoland, und ist komplett zerrissen. „Die steht nur noch aus Gewohnheit“, sagt Strauß, „wenn der jemand ihre Statik erklären würde, würde sie sofort umfallen.“

Viele Tonnen sind das, die sich hier talwärts bewegen wollen und die mit zwei Netzen aus Acht-Millimeter-Stahl daran gehindert werden. Diese Gefahrenstelle hatte man lange nicht sehen können, weil der komplette Fels von Efeu vollständig überwuchert war. Erst als der Efeu vor einem Jahr einfach so abstarb, wurde der Blick frei auf den Trachytbrei. Das war der richtige Moment, um Alarm zu schlagen.

Warum bricht der Dom dann nicht zusammen?

Oder hier: Schon um 1850 hatten die Vorgänger von Fischer und Strauß eine Stützwand in den Fels unter der Ruine der Burg Drachenfels gebaut. Massives Mauerwerk, mehrere Meter dick. „Das haben sie gut gemacht“, sagt Strauß mit ehrlicher Anerkennung, „ohne diese Stützwand wäre die ganze Flanke schon lange eingestürzt.“ Die Mauer sieht eigentlich immer noch gut und stabil aus, aber aufgrund ihrer Erfahrungen hatten Strauß und Fischer ein paar Probebohrungen veranlasst – und sie hatten recht: Die Mauer ist im Inneren komplett porös. Umfangreiche Stützarbeiten sind auch hier notwendig.

„Die Kollegen in den 70ern haben hier absolute Pionierarbeit geleistet“, sagt Strauß mit Blick auf die Baustelle, „und wir sammeln neue Erfahrungen. Das ist Champions League, was wir hier machen. Aber trotzdem: Einen Effekt wie die Steinverwitterung können wir natürlich auch nicht stoppen, nur vielleicht verlangsamen…“

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Bleibt eine Frage zum Thema Verwitterung und Erosion: Warum bricht der Kölner Dom eigentlich nicht zusammen? Täte er, sagt Strauß, wenn er nicht kontinuierlich gepflegt würde: „Einmal rundherum sanieren dauert 50 Jahre, sagen die Dombaumeister. Dann fängt man wieder von vorne an.“

Die Arbeiten sollen – vernünftiges Wetter vorausgesetzt – Ende des Jahres abgeschlossen werden. Anfang 2019 sollen das Gerüst abgebaut und der Schutt weggeräumt werden. Zur Saison 2019 sollte alles soweit sein und der Drachenfels in strahlendem Hell erscheinen. „Wie frisch geputzt“, sagt Strauß.

Er könnte dann wieder ruhig schlafen.