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KneipeEin Leben für die Gaststube – 60 Jahre „Em Wingert“ in Hennef

Lesezeit 4 Minuten

Hennef – „Dat weed nie ene Weet.“ Die alteingesessenen Bauern sagten Franz Müßgen keine große Zukunft voraus, als der die Gaststätte seiner Eltern in Lanzenbach übernahm.

Das war 1969. „Und heute bin ich der Letzte, der übrig geblieben ist“, muss Müßgen mit Blick auf das Kneipensterben im Hanftal feststellen. „Em Wingert“ heißt sein Gasthof, der eine 60-jährige Geschichte hat.

Nach dem Krieg bauten Josef und Margarethe Müßgen ihr Haus, in dem sie am 8. Dezember 1956 eine kleine Gaststube eröffneten. „Ich war vom ersten Tag an dabei“, erzählt der Sohn, Jahrgang 1949, und erinnert sich, wie man am Bahnhof in Kuchenbach die erste Bestuhlung abholte.

Vater bestimmte den Beruf

Dafür, dass Franz eines Tages die Nachfolge hinter der Theke antreten sollte und nicht einer der beiden Brüder Hans-Gerd und Josef, stellte der Vater die Weichen.

„Jung, du wirst Koch“, habe der bestimmt. „Damit“, so Franz Müßgen, „war die Berufswahl für mich erledigt. Ich stehe seit 54 Jahren am Herd.“

1963 trat der „Jung“ seine Lehre bei der Familie Kranz im Siegburger Hotel Reichenstein an und legte damit den Grundstein für den späteren Erfolg.

Die Küche „Em Wingert“ hat einen hervorragenden Ruf. „Wir versuchen, das, was wir machen, gut zu machen“, beschreibt der Gastronom kurz und knapp sein Konzept. Das komme an. Wer gern etwa Ochsenbrust, Schweinebraten, Wild aus der Region oder eine frische Forelle aus dem Hanfbach auf dem Teller haben will, wird auf Müßgens Speisenkarte fündig.

Im Laufe der Jahre ließ es sich auch so mancher Promi in Lanzenbach schmecken.

Auf gerahmten Fotografien zwischen den Fachwerkbalken sind zum Beispiel Schlagerstar Karel Gott, Eishockey-Legende Erich Kühnhackl, „Hobbythekler“ Jean Pütz und der Komiker Wigald Boning zu sehen. Ein besonderes Erinnerungsstück ist das Bild, das den jungen Franz Müßgen mit dem „Schängela“, dem Eitorfer Original Johann Schneller, an einem Rosenmontag zeigt – beide Akkordeon spielend.

„Sie wollen doch nicht an meiner Wirtschaft vorbeigehen, wo ich jetzt zum ersten Mal CDU gewählt habe“, sprach der Wirt einmal einen Ex-Minister an. Es war Norbert Blüm, der prompt einkehrte und lange blieb. „Es wurde ein schöner, lustiger Abend.“

Aus den Anfangsjahren: Franz Müßgen (links) mit seinen Eltern und einem Bruder vor der Gaststätte in Lanzenbach.

Einen weiteren Prominenten, der erst Nachbar und dann ein guter Freund wurde, vermisst Franz Müßgen regelrecht: Radio- und TV-Moderator Hans Meiser, der für den Gasthof eine Internetseite gestaltet hat, ist inzwischen wieder weggezogen.

Die kleine Gaststube von einst ist in 60 Jahren ständig gewachsen. Mehrfach haben die Müßgens angebaut, umgebaut und modernisiert. Heute finden bis zu 60 Gäste Platz im Restaurant. Es gibt einen weiteres Zimmer mit einem ovalen Tisch, den Schankraum mit der Theke und einen Biergarten.

Schon 1969 kamen zwei Kegelbahnen und ein Campingplatz dazu, 1990 Gästezimmer mit zwölf Betten. Früh änderte Franz Müßgen den Namen. „Zur Weinbergschenke“, wie die Eltern die Gaststätte getauft hatten, klang ihm „zu provinziell“.

Für die Zukunft überlegt er, die Kegelbahnen im Souterrain zu Appartements umzubauen. Klubs wie die „Stabilen Männer“ oder „Bliev om Brett“, die über Jahrzehnte treu „Em Wingert“ die Kugel schoben, gehören der Vergangenheit an. Auch an Müßgen selbst ist die Zeit nicht spurlos vorbeigegangen.

Bart und Haupthaar des Gastwirts, der das offene Wort schätzt, wechseln in der Farbe mittlerweile von Grau nach Weiß. Ruhestand ist für den 67-Jährigen, der von seiner Frau Christina tatkräftig unterstützt wird, indes noch kein Thema. Wer auch könnte neuer Chef in Küche und am Zappes sein? Sohn Max nicht. Zum einen ist der erst 13, zum anderen soll der „was Anständiges“ lernen.

„Der wird Briefträger“, sagt Franz Müßgen lachend, um ganz ernst hinzuzufügen: „Wenn ich aufhöre, dann, glaube ich, schließen sich hier die Pforten.“ So will sich der Wirt weiter abrackern. Morgens um 6.30 Uhr beginnt die Arbeit, wird das Frühstück für die Zimmergäste bereitet. Mittwochs, freitags und sonntags hat der Gasthof „Em Wingert“ auch mittags geöffnet.

Ab 17 Uhr werden Besucher an allen Tagen – außer montags – bedient. „Bis vor einem Jahr haben wir noch ohne Ruhetag gearbeitet“, berichtet Müßgen, für den an einem „normalen Tag“ um 22.30 Uhr Feierabend ist und der sich kaum eine Auszeit gönnt. „Urlaub ist für mich das Unwort des Jahres.“ Allenfalls für drei Tage im Jahr fahre er weg.

Wer nun glaubt, der in Lanzenbach Geborene, Arbeitende und Wohnende träume zumindest von Reisen in die weite Welt, täuscht sich. „Mein Traum? Mal in Ruhe an der Theke sitzen und mit Freunden ein Glas Rotwein trinken, das ist mein Traum.“ Mit ihrer Prognose über die Eignung Franz Müßgens als Wirt lagen die alteingesessenen Bauern offenbar falsch.