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Kinder- und JugendhilfeWenn die Eltern überfordert sind

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Seit 37 Jahren in der Heimerziehung: Leiterin Maria Mertens vor der Verwaltung am Hollenberg.

Lohmar – Das kleine Schmuckstück ist aus Ton gefertigt und ziert eine Ecke im Kinderheim Hollenberg. Es ist ein Schiff voller Tiere, große und kleine, sie tummeln sich an Deck, lugen über die Reling und durch die Bullaugen. Das Kinderheim als Arche Noah. Seit 50 Jahren existiert die Einrichtung in der Aggerstadt, und die Arbeit für Leiterin Maria Mertens und ihre 45 Mitarbeiter wird nicht weniger. Auch Mertens versteht ihr Haus als Arche, als Zuflucht. Seit 1992 ist die Pädagogin in Lohmar als Leiterin im Boot. Dass Institutionen wie Jugendämter oder Kinderheime noch heute vielfach als Staatsgewalt verstanden werden, die Eltern willkürlich ihren Nachwuchs entzieht, entspringt nach Mertens’ Auffassung einem reichlich veralteten Bild: „Früher war eine Zusammenarbeit mit den Eltern gar nicht unbedingt vorgesehen. Kinder wurden in Obhut genommen und gut“, erinnert sie sich. Heute werde bei allen Maßnahmen zunächst einmal eine Rückkehr von Kindern zu ihren leiblichen Eltern angestrebt. Die Zusammenarbeit mit Vätern und Müttern und deren Akzeptanz von amtlicher Hilfe und Unterstützung sind stete Ziele. Die Kinder- und Jugendhilfe Hollenberg ist eine Einrichtung der Jugendhilfe in katholischer Trägerschaft mit stationären, teilstationären und ambulanten Angeboten. Es gibt Außenwohngruppen in Lohmar und Siegburg, eine sozialpädagogische Lebensgemeinschaft für Kinder in Donrath, es gibt Intensivplätze, zwei Plätze in so genannten Erziehungsfamilien plus eine Tagesgruppe und eine Fünf-Tagesgruppe in Sankt Augustin-Menden. Insgesamt 79 Plätze werden für junge Gäste aller Altersgruppen vorgehalten, vom Säugling bis zum Jugendlichen. Alle 79 Plätze sind ständig belegt. „Ich komme gar nicht dazu, Plätze frei zu melden“, sagt Mertens. Im Gegenteil: Sie könne sofort noch eine neue Gruppe gründen. Allein, die Mittel fehlten. Und die Mitarbeiter. „Es ist schwierig, Leute zu finden, die im Kinderheim arbeiten wollen. Der Job ist sehr herausfordernd.“ Dass viele Pädagogen sich heute auf andere Stellen zurückzögen, führt Mertens auf mehrere Gründe zurück: Schlechte Bezahlung, Nacht- und Wochenend-Dienste, weniger einschlägige Ausbildungsgänge an Fachschulen. Auch die Anforderungen seien gewachsen: „Arztbesuche, Hygieneerziehung, alles muss heute dokumentiert werden.“ Oftmals müssten die Mitarbeiter auch auffangen, was Eltern versäumten. Mit Grausen erinnert sich die Heimleiterin und Geschäftsführerin an den Fall einer Fünfjährigen, der in Vollnarkose das komplette – weil verfaulte – Milchgebiss entfernt werden musste. „Sie wusste gar nicht, was eine Zahnbürste ist.“ Wütend sei sie dann nicht, sagt Mertens nachdenklich. „Eher entsetzt, dass so etwas in Deutschland heute noch möglich ist.“ Andererseits freuten sie und die Kollegen sich auch, wenn sich zum Beispiel zwei einstige Raufbolde irgendwann doch noch zu umgänglichen jungen Männern mauserten – wie jüngst bei der 50-Jahr-Feier geschehen. „Die zwei haben toll mitgeholfen. Dann wissen wir: Der Stress hat sich gelohnt!“ www.hollenberg-online.de