Klaus Kleintjes ist unheilbar an Krebs erkrankt. Niemand weiß, wie lange ihm noch bleibt. Er blickt nun auf sein Leben zurück.
Der letzte SommerKlaus Kleintjes lebt im Hospiz in Lohmar und wird bald sterben – Ein Blick aufs Leben

Klaus Kleintjes lebt im Elisabeth-Hospiz in Lohmar.
Copyright: Marius Fuhrmann
Ab und zu plätschert es im Gartenteich, dann ist einer von den Zierfischen an die Wasseroberfläche gekommen. Klaus Kleintjes geht jeden Tag auf die kleine Brücke, die über den Teich führt. „Der Dicke da sieht aus, als würde er Ärger machen“, sagt er und deutet auf ein besonders großes Exemplar mit grauen Schuppen und goldenen Sprenkeln. „Wenn man hier steht, tummeln die sich, weil sie glauben, dass es was zu fressen gibt“, erzählt Kleintjes und geht die wenigen Schritte zurück zu seinem Zimmer, gestützt auf den Rollator.
Im Lohmarer Hospiz ist die Brücke ein Symbol
Kleintjes lebt seit Anfang Juni im Elisabeth-Hospiz in Lohmar-Deesem. Er ist 64 Jahre alt, hat metastasierenden Krebs. Die Brücke über den Teich ist mehr als eine Dekoration, sie ist ein Symbol. Klaus Kleintjes wird bald sterben. Wie blickt so jemand auf den letzten Abschnitt in seinem Leben?
Geboren wurde er in Bonn, sein Zuhause war lange Bad Honnef. „Ich habe eine Ausbildung zum Tankwart gemacht, dann in einer Firma für Rollladenbau, aber die wollten mich nicht übernehmen. Dann habe ich sieben Jahre in Königswinter in der Felgenfabrik gearbeitet.“ Er stieß auf eine Anzeige der Stadtwerke Bonn – und wurde Busfahrer, blieb es 25 Jahre lang.
Niemand weiß, wie viel Zeit ihm noch bleibt
„Bis 2013, da hatte ich eine Gehirnblutung. Dann einen Herzinfarkt und drei Bypässe, seitdem bin ich Rentner.“ Er lebte, so gut es ging, zuletzt in Rösrath, bekam Unterstützung von einer Nachbarin. „Bis die Krankheit zugeschlagen hat: Krebs an Wirbelsäule und Prostata. Da kann man nix mehr dran machen, das ist unheilbar.“ Kleintjes hat das akzeptiert. „Man muss sich damit abfinden. Wie viele Tage genau bleiben, ist unklar. Eine Woche, ein Jahr, vielleicht zwei. Aber der Tag wird wohl schneller kommen als gedacht.“

Von der Brücke aus beobachtet Klaus Kleintjes gerne die Zierfische im Gartenteich.
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Viele Menschen, die in ein Hospiz kommen, haben ihren Frieden gefunden. Andere hoffen noch. Doch wer in Deutschland in einem Hospiz aufgenommen wird, hat nur noch wenige Monate oder auch Tage vor sich, das ist so geregelt. Keine Hoffnung mehr, von Rechts wegen. Und trotzdem kein Ort der Hoffnungslosigkeit.
Das Elisabeth-Hospiz empfängt seine Gäste, so nennen sie die Sterbenskranken hier, in einer warmen, freundlichen Atmosphäre. Viel Licht in den Räumen, Orte zum Einkehren und Innehalten – auch für Angehörige. Der „Raum der Stille“ steht allen offen, die einen Platz suchen, um an eine oder einen Verstorbenen zu denken. Der Garten blüht, die Ruhe umschließt die Gäste mit ihrer sanften Hand. Kein Verkehr, keine Sorgen, keine Nachrichtenflut, alles weit weg. Wer hier lebt, könnte vergessen, warum er oder sie hier ist. Und tut es vielleicht sogar.
Kleintjes, graue Haare, rundliche Figur, spricht offen, lacht aber nicht. Seine Krankheit ist nicht sichtbar, dennoch ist sein Körper gezeichnet. Und doch versprüht er Lebensenergie. „Seit ich hier bin, kann ich wieder laufen“, berichtet er. Kleine Runden mit dem Rollator, das macht er gern. Vor das Haus, in den Garten hat er es sowieso nicht weit. „Und ich kann an den Ausflügen teilnehmen: Das schätze ich so an dem Hospiz. In einem Pflegeheim wird man eher abgeschoben, da haben die gar keine Zeit für sowas.“ In Linz war die Gruppe schon, im Zoo, morgen geht es zum Schokoladenmuseum, wo auch ein Riesenrad steht. „Ich genieße jeden Tag, der mir bleibt“, sagt Kleintjes und blinzelt in die Sonne.
Zurzeit kommt jeden Morgen eine Katze zu ihm, legt sich vor die Tür zu seinem Zimmer. „Die gehört jemandem aus dem Dorf. Ich gebe ihr Futter, den Eichhörnchen auch.“ Schlafen kann er im Hospiz, solange er will, Frühstück gibt es dann trotzdem noch. „Die Pflegekräfte sind total nett, lesen einem jeden Wunsch von den Augen ab. Ich kann mich gut unterhalten mit anderen Gästen und fühle mich hier pudelwohl – das entschädigt mich für vieles.“
Am Schichtdienst scheiterte die zweite Ehe
Nach Hamburg würde er gern nochmal kommen, und nach Ameland. „Da war ich vor meiner Ehe als Betreuer von Jugendfreizeiten“, erzählt er. Zweimal war Kleintjes verheiratet, hat einen Sohn aus erster Ehe, drei aus der zweiten. „Die erste Frau habe ich nach zweieinhalb Jahren mit einem anderen im Bett erwischt, wie im Film war das.“ Mit der zweiten war er 29 Jahre verheiratet. Auch das ging in die Brüche, schuld waren die Nachtschichten.
„Ich musste die Wohnung abbezahlen, und die Nachtdienste gaben halt mehr Geld, steuerfrei“, schildert Kleintjes. Also fuhr er Bus, jede Nacht, ab dem späten Nachmittag bis in den frühen Morgen. Die großen Fahrzeuge, die waren sein Ding: „Ich habe Belobigungen bekommen, weil ich manchmal extra auf Rentner gewartet habe. Oder wenn die Jugendlichen hinten im Bus geraucht haben, dann bin ich einfach stehen geblieben, bis sie die Zigarette ausgemacht haben.“
So war das 25 Jahre lang. „Aber mit meiner Frau war ich in der Zeit nur ein einziges Mal in Urlaub. Sie hatte Frühschichten, wir haben uns kaum gesehen“, sagt er nicht ohne Reue. Immerhin, zu seiner Ex-Frau besteht seit der Trennung vor 14 Jahren noch freundschaftlicher Kontakt. „Vor Kurzem habe ich sie besucht, bei meinem Sohn übernachtet, und sie hat mich zurückgefahren.“

Kerzen erinnern im Raum der Stille an Verstorbene.
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Im Sommer waren er und die vier Söhne oft in einem Schrebergarten in Beuel, dort gab es einen aufblasbaren Pool. Mit dem Ältesten hat er sich mal wegen Lappalien gestritten, ein Jahr sprachen sie nicht miteinander. „Seit ich hier bin, besucht er mich wieder regelmäßig.“ Manchmal fahren sie mit dem Bus durch Bonn. Die Straßennamen kennt Kleintjes nicht, außer die großen, Adenauer-Allee und Reuterstraße. Aber die Linienwege, die weiß er noch.
Der jüngste Sohn arbeite bei einer Sicherheitsfirma, der zweite suche nach einer Arbeit. „Nur zum dritten habe ich keinen Kontakt, der hatte nie Lust auf Schule, begann mit Drogen und Klauen. Ich will nicht, dass er weiß, dass ich hier bin“, sagt Kleintjes und fügt hinzu: „Zur Beerdigung kann er kommen, dann ist es mir egal.“
Man träumt von vielen Sachen, die nicht wahr geworden sind, aber vielleicht später
Über die macht er sich kaum Gedanken. „Mein Wunsch wäre, in Bad Godesberg im Mausoleum begraben zu werden, wo auch der Mann meiner Ex-Frau liegt. Oder in Dollendorf, da kann Gras drüber wachsen, das mein Bruder mähen kann.“ Den nahenden Tod sieht Kleintjes locker. „Der neue Mann ist gestorben, meine Eltern, neulich der Hund von meinem Sohn. Der war zwar alt, aber man hängt ja schon dran. Viele in meinem Alter sind auch an Krebs gestorben. Vielleicht deswegen. Irgendwann trifft es uns ja alle.“
Und danach? „Ob es ein Leben nach dem Tod gibt? Momentan tendiere ich zu Ja. Man träumt von vielen Sachen, die nicht wahr geworden sind, aber vielleicht später.“ Durch den Grand Canyon zu fliegen, die Pyramiden in Ägypten zu sehen, all das hat er nicht geschafft. „Dann wird man aus den Träumen gerissen, aber man weiß ja nicht, ob man nicht als reicher Scheich neu geboren wird.“
Er habe ein schönes Leben gehabt, das schon. Aber etwas Angst schwingt in Kleintjes’ Worten mit: „Ich hoffe, dass ich einfach einschlafe und morgens nicht mehr aufwache“, sagt er. Dann wird jemand anderes die Katze vor seiner Tür füttern, und die Fische werden sich weiter im Wasser tummeln, wenn jemand über die Brücke gegangen ist.