SchlossherrinTatjana von La Valette St. George über das „Wunder von Auel“ in Lohmar

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Eine Frau sitzt auf einem Stuhl in einem Kirchenraum

Schlossherrin Tatjana von La Valette in der Kapelle.

Sie scheut Prunk und Pomp. Wir sprachen mit der Lohmarer Schlossherrin über die Stadt Valletta, Barfußlaufen und das „Wunder von Auel“.   

„Trägst du nachmittags lange Kleider und Krönchen?“ Wie im Märchen stellten sich die Mitschüler in der Grundschule das Zuhause von Tatjana von La Valette St. George vor. Gehört doch der Familie mit dem großen Namen seit Jahrhunderten ein Schloss. Sagenhaft! Doch Prunk und Pomp scheut die Besitzerin von Auel, sie läuft lieber mit ihrem Hund durch den Wald, als in bunten Blättern aufzutauchen.      

Wir nehmen Platz in einem Raum, der Geschichte atmet mit seiner  Holztäfelung und dem Mobiliar. „Neu eingebaut mit antiken Elementen“, verrät die 60-Jährige schmunzelnd. Die Wandverkleidung besteht aus alten Stalltüren, die ebenfalls zartgrün gestrichenen Säulen wurden nachträglich installiert, die Kassettenfenster mit Holzrahmen sind wärmegedämmt. „Diese Bibliothek war mal das 70er-Jahre-Büro meines Vaters.“    

Industrieller Richard Oetker stemmte die Kernsanierung des Lohmarer Schlosses

Das denkmalgeschützte Barockschloss mit den malerisch-abgeschabten Böden bietet den Komfort eines modernen Hotels; Wasserleitungen, Stromversorgung, Heizung, Blockheizkraftwerk und Brandschutz - alles neu. „Wir hatten ja vorher permanent Rohrbrüche.“ Allein das Dach zu decken, verschlang trotz der Zuschüsse eine hohe sechsstellige Summe, wie Tatjana von la Valette erzählt. Solche Beträge könnten Gastronomie und Herbergsbetrieb niemals einspielen.

„Das Wunder von Auel“ nennt sie die Kernsanierung des Gebäudes durch ihren zweiten Mann, der ebenfalls einen bekannten Namen trägt: Richard Oetker aus der legendären Bielefelder Pudding-Dynastie, ein unkomplizierter Mann,  „eine Frohnatur“, zupackend. Schlagzeilen machte seine Entführung als 25-Jähriger. Viel später erst lernte sich das Paar kennen.

Wahlscheiderin Tatjana von La Valette kehrte aus Bielefeld und Hamburg ins Schloss zurück

Es war die zweite Ehe für den gelernten Bierbrauer, Jahrgang 1951, und die 13 Jahre jüngere Hotelfachfrau. Vor allem für die nächste Generation  habe der Industrielle die Renovierung gestemmt, man blieb auch nach der Trennung freundschaftlich verbunden, bis heute.         

Neun Jahre lebte sie in Bielefeld, 2008 kehrte sie zurück. Wie schon einmal, 1987. Tatjana von la Valette, die so verwurzelt scheint mit ihrer Heimat, verbrachte nur ihre frühere Kindheit in Wahlscheid. Als Neunjährige schickten die Eltern sie und ihre Schwestern ins Internat Kloster Wald an den Bodensee, von Benediktinerinnen streng geführt. „Ich habe mich da wohl gefühlt.“

Ich wusste immer, dass ich mich um Auel kümmern sollte.
Die Wahlscheider Schlossherrin, mittlerere von drei Töchtern, über den Herzenswunsch ihres Vaters

Fünf Jahre blieb sie dort, als die Eltern sich 1980 trennten, ging ihre Mutter mit den drei Töchtern nach Hamburg. Tatjana von la Valette machte in der Großstadt Abitur, gründete eine Familie, absolvierte ihre Ausbildung. „Ich wusste immer, dass ich mich um Auel kümmern sollte.“ Der Fortbestand des Besitzes war der Herzenswunsch ihres Vaters. 

Mehr Lust als Last, das sei das historische Anwesen für sie, 1818 durch Heirat in den Besitz der Adelsfamilie gelangt, seit 1952 ein Hotel. „Ich habe immer viel Glück gehabt, und mir stehen und standen stets hilfreiche Menschen zur Seite, ohne die ich diese Aufgabe nicht bewältigen könnte.“  Gewohnt hat Tatjana von la Valette übrigens nur ganz kurz in dem schmucken Gemäuer, aber meistens auf dem Areal.

Die Engländer bauten in Schloss Auel für jeden Offizier ein eigenes Bad ein

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten Engländer Auel besetzt, sie brachten das Schloss in Schuss, bauten zahlreiche Bäder ein, eines für jeden Offizier, deckten das Dach, forderten später die Investitionen vom Vater zurück – vergeblich. Er schlug dem britischen Hochkommissar vor, alles zurückzubauen. Die Familie lebte in einem Bungalow an den Teichen. Die Kinder wuchsen dort unbekümmert auf, spielten im Wald und gingen auch schon mal barfuß ins Dorf. 

Nicht selten kamen prominente Gäste. Auf dem 150 Hektar großen Grundstück gab es einen Hubschrauberlandeplatz, ein Foto in der Bibliothek zeigt den damaligen Bundeskanzler Georg Kiesinger, ein tiefschwarzer Christdemokrat, nach der Landung, umgeben von der Familie la Valette.  Die Töchter in blauen Nicky-Kleidchen, selbstgenäht von der Mutter, wie auch deren Etuikleid in Knallrot. Zufall oder Provokation? 

Ein großes Ölgemälde an einer Wand

In einem Saal hängt ein Ölgemälde, das die Urgroßmutter Gabriele, damals 18 Jahre alt, im Hochzeitskleid zeigt.

Ihre Kinder sollten nicht in der Stadt aufwachsen, das beschloss Tatjana von la Valette und verließ Hamburg. Nur zweieinhalb Jahre nach ihrer Rückkehr starb der Vater 1990. Die beiden Schwestern leben heute in New York und in Hamburg. Der 1998 eröffnete Golfplatz sei ein Segen. Die Pacht half dem Betrieb über die Coronazeit, die Gäste belebten das Areal.

Wer wird Auel einmal übernehmen? Vermutlich wird es ihr ältester Sohn (39) sein, der heute in der Schweiz arbeitet. Auel sei für die ganze Familie, auch für die Tochter und den jüngsten Sohn, für Nichten und Neffen, ein Fixpunkt. Sie ließen sich in der Schlosskapelle trauen und ihre Kinder taufen.

Die Lohmarerin besuchte erst spät die Hauptstadt, die ihr Vorfahren gründeten

Eine katholische Enklave im evangelischen Wahlscheid. Als die Gemeinde wuchs, wurde die Pfarrkirche in Neuhonrath gebaut, bis heute gilt das an die Familie übertragene Patronat. 

Eine Geschichte kann Tatjana von la Valette St. George auch zu jedem Ölgemälde im Schloss erzählen, eines zeigt überlebensgroß die Urgroßmutter Gabriele in ihrem Hochzeitskleid aus schwarzer Spitze, eine schmale, schöne Frau mit dunklen Augen. Die Ähnlichkeit ist unverkennbar. Die Schwarz-Weiß-Fotos zeigen Festgesellschaften, Damen in eleganter Robe, Herren mit Pickelhaube.     

Ihres verantwortungsvollen Auftrags sei sie sich bewusst, sagt die Schlossherrin. Herkunft sei kein Kriterium für sie, sie lege mehr Wert darauf, was den einzelnen Menschen ausmache. Sie pflegt den Kontakt zu einer palästinensischen Flüchtlingsfamilie, die sie einst betreute; sie tauscht Rezepte aus mit einem Koch aus Sansibar; sie parliert mit Taxifahrern im Ausland.

Ein Raum mit Bücherregalen und Lesesesseln

Die Bibliothek atmet Geschichte. Vor dem Umbau war hier das 70er-Jahre-Büro des Vaters.

Überhaupt: Unterwegs zu sein, Menschen kennenzulernen, das sei ihre Leidenschaft. Damals, in ihrem Kinderzimmer, erstreckte sich eine große Landkarte über die ganze Wand. Einmal wollte sie in ihrem Leben jedes Land der Erde bereist haben, so ihr Traum.

Für Valletta, die Hauptstadt von Malta, interessierte sie sich zunächst kaum, obwohl die Ansiedlung nach einem Vorfahren der Wahlscheiderin  benannt wurde. Der Großmeister des Johanniter- und späteren Mateserordens, Jean Parisot de la Valette, hatte im Jahr 1565 mit seiner Ritterschar die Festung von St. Elmo gegen den Angriff der Osmanen unter Suleiman dem Prächtigen verteidigt.

1566 durfte er als Dank und ihm zu Ehren den Grundstein der Stadt legen und ihr seinen Namen geben. Bei ihrem ersten Aufenthalt habe sie die Geschichte doch überraschend berührt: „Plötzlich habe ich fremden Leuten erzählt, wie ich heiße.“    


Eine barocke Schlossanlage

Ursprünglich eine geschlossene Anlage, erhielt der Rittersitz 1755 sein heutiges Aussehen.

Der Rittersitz war ursprünglich eine geschlossene Anlage mit Wassergraben und Zollstation der Herren von Berg, 1755 erhielt das Barockschloss seine heutige Form. Peter van me Auel, 1391 urkundlich erwähnt, war möglicherweise der erste Besitzer eines festen Hauses an diesem Ort.

Ende des 15. Jahrhunderts war das Anwesen im Besitz der Familie von Meuchen, seit Mitte des 17. Jahrhunderts der Familie von Reven, 1702 wurde Johann Caspar von Proff zu Menden Eigentümer, später wurden es durch Heirat die Familien von Doetsch und von Broe. Franziska von Broe heiratete 1818 Philipp von la Valette St. George, ein Lieutenant in Diensten der Herren von Berg.

Deren Sohn Adolf Johann Hubert war Biologieprofessor und Rektor der Universität. Ihm wurde durch Kaiser Wilhelm von Preußen der deutsche Freiherrentitel verliehen. Der Kaiser nächtigte nachweislich in Auel. Nach ihm ist ein Zimmer benannt, ebenso eines nach Napoleon. Dessen Aufenthalt 1815 in Auel, damals Teil der französischen Provinz, ist allerdings nicht zweifelsfrei belegt.

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