Tafel in LohmarShekr Allah Akrayem aus Syrien findet über das Ehrenamt Anschluss

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Über einen Kontakt seines Nachbarn kam Shekr Allah Akrayem zur Lohmarer Tafel. 

Lohmar – Essen ausgeben, Spenden sammeln, Lebensmittel einkaufen: Shekr Allah Akrayem will für die Menschen da sein, egal wo sie herkommen oder was sie glauben. „Bei uns in Syrien helfen Muslime eigentlich nur Muslimen, und Christen nur den Christen“, sagt der 27-Jährige, der für die Lohmarer Tafel Essen ausgibt. „Das ist schade.“ Bei der Tafel hilft er jedem. Der damalige Lohmarer Bürgermeister Horst Krybus zeichnete ihn dafür schon im Februar 2020 in der Aktion „Ehrenamt des Monats“ aus.

Shekr Allah Akrayem war vor wenigen Jahren noch selbst bedürftig, ein Geflüchteter. Er hatte in Damaskus gerade die Schule beendet, als der Krieg kam. 2015 floh er allein nach Deutschland und landete in einem Auffanglager in Bielefeld. Dann teilte der Heimleiter ihm und anderen Einwohnern mit, dass sie auf andere Kommunen in NRW verteilt würden. Fünf kamen nach Overath, fünf nach Siegburg. Und fünf – unter ihnen Akrayem – nach Lohmar.

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Bei der Auszeichnung als „Ehrenamt des Monats“ mit dem damaligen Bürgermeister Horst Krybus.  

Sein neues Zuhause sollte fortan die alte Schule in Ellhausen sein. „Das war anfangs wie das Ende der Welt für mich“, erinnert sich Akrayem. „Ein winziges Dorf, keine Geschäfte, nur alte Leute.“ Auch die Ellhausener seien nicht gerade begeistert gewesen, dass in ihrem Dorf jetzt Syrer, Afghanen und Georgier wohnten, die kaum ein Wort Deutsch sprachen. Akrayem dagegen war sich damals schon sicher: „In einem neuen Land gibt es zwei Schlüssel – die Sprache und die Menschen.“

Akrayem half Nachbar bei der Teichpumpe – und sie wurden Freunde

Das mit der Sprache ging er an, weil er Ingenieur werden und studieren wollte. Er belegte einen Deutschkurs und suchte sich in einem Hotel in der Nähe einen Job. Und das mit den Menschen passierte einfach – wegen der Teichwasserpumpe eines Nachbarn.

Eines Nachmittags sah Akrayem, dass ein Ellhausener sich in seinem Garten mit dem Gerät abmühte, das offenbar nicht funktionierte. „Ich hab’ gleich gesehen, dass bei der Pumpe einfach nur ein Gummi fehlte“, sagt Akrayem. Also versuchte er, dem Mann das zu erklären: mit Händen und Füßen. Irgendwann kapierte der Nachbar tatsächlich, die beiden fuhren gemeinsam zum Baumarkt und besorgten das fehlende Teil.

Der Bürgerkrieg in Syrien

Seit 2011 herrscht in Syrien Krieg zwischen dem autoritären Assad-Regime und bewaffneten Oppositionellen. Mittlerweile sind weitere Gruppen beteiligt, die meisten sind islamistisch, einige gelten als Terroristen.

Auch andere Staaten, die teils eigene Interessen verfolgen, kämpfen in Syrien. Russland, Iran und die Hisbollah-Miliz unterstützen Assad. Die USA, die Türkei, Saudi-Arabien und Katar unterstützen die Opposition.

Mindestens elf Millionen Menschen sind auf der Flucht, mehr als die Hälfte davon innerhalb des Landes. Bislang sind etwa 500.000 Menschen bei den Auseinandersetzungen in Syrien gestorben. (EB)

Heute sind Akrayem und sein Nachbar gute Freunde und treffen sich regelmäßig auf ein alkoholfreies Bier. Über ihn hat Akrayem andere Nachbarn kennengelernt, einer davon ist der Gründer der Lohmarer Tafel, Wilhelm Thommes.

„Willi hat mir angeboten, dass ich ihn zur Tafel begleite“, erzählt Akrayem. Bald darauf gehörte er zum festen Ehrenamtler-Team. Noch heute staunt er über manche seiner Kollegen: „Die tragen mit 80 Jahren noch 30-Kilogramm-Kisten, während Menschen in Syrien oft mit 70 sterben.“

Die Stimmung sei allerdings nicht immer so entspannt gewesen wie heute: „Da waren anfangs große Fragezeichen in den Gesichtern“, berichtet er von seinem ersten Tag. „Die dachten, ich müsse Sozialstunden machen.“ Hin und wieder müsse er sich immer noch den einen oder anderen rassistischen Kommentar anhören. „Manche sagen ja gerne: Ihr kriegt eine Wohnung umsonst, ihr kriegt Geld vom Staat, und wir müssen dafür Steuern zahlen?“, erzählt Akrayem. „Dann sage ich: Das steht in eurem Gesetz.“

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Inzwischen spricht Akrayem viel besser Deutsch, hat das Sprachlevel „C1“ erreicht, und solche Vorfälle sind seltener geworden. Er begleitet andere Araber bei Arztbesuchen, übersetzt für sie. Und: Er ist seinem Berufsziel ein gutes Stück nähergekommen. „Mein Lebensweg hat sich geändert, aber mein Wunsch, Ingenieur zu werden, ist gleich geblieben.“

Akrayem studiert nachhaltige Ingenieurswissenschaft an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg in Sankt Augustin. Er hat eine eigene Wohnung in Lohmar und viele Freunde. Ein neues Leben in Deutschland – so etwas hatte er eigentlich nicht geplant. „Wir hatten in Syrien ja alles, uns ging es gut“, sagt er.

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Seine Familie – hier seine Geschwister – vermisst Shekr Allah Akrayem (links) sehr. Sie ist in Damaskus geblieben. 

Auch wenn er Anschluss gefunden hat, vermisst er die Heimat und seine Familie. Zu seinen Eltern und Geschwistern, die noch in Syrien leben, hat Akrayem nur über Whatsapp Kontakt. Jeden Tag telefoniert er über den Kurznachrichtendienst mit seiner Mutter in Damaskus. „Wir haben uns seit acht Jahren nicht gesehen. Mir tut das leid, aber sie hat Verständnis“, sagt Akrayem. „Sie sagt immer: »Wenn es dir gut geht, geht es mir gut.«“

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