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Massenhochzeit 1982Lohmarerin ließ sich in New York von Sekten-Messias trauen

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2000 Paare wurde bei der Massenhochzeit im Madison Square Garden getraut. Doris Stobbe war Braut Nr. 718.

Lohmar – Der „Messias“ höchstpersönlich vollzog die Massenhochzeit im Madison Square Garden in New York, die Bilder mit den 2000 Paaren gingen um die Welt. Doris Nietzard-Stobbe war die 718. Braut, ein Foto zeigt eine zarte, dunkelhaarige, junge Frau, das Gesicht des Mannes an ihrer Seite ist verpixelt. 40 Jahre ist das nun her – und doch ganz nah. Die Lohmarer Künstlerin hat ihre Zeit als „Moonie“ in einem eindrucksvollen Buch verarbeitet, das sie beim Lohmarer Kulturtag vorstellen wird.

„Es soll eine Mahnung sein“, sagt die 68-Jährige in ihrem hellen Wohnzimmer in Ellhausen. Eine Warnung vor schleichender Manipulation, vor blindem Gehorsam, vor der Verherrlichung eines Menschen. Sie hat sich schrittweise von diesem Leben frei gemacht, mit ihrem Erstling will sie das Kapitel schließen.

„Moon-Sekte“: Lohmarerin musste für Miete, Strom und Essen betteln

Kaum jemand aus ihrem heutigem Umkreis kennt ihre Geschichte, „Die 718. Braut – Kein Himmel auf Erden“ hat sie unter ihrem Mädchennamen Stobbe geschrieben, Dory wurde sie als Teenager genannt. In der Zeitung darf ihr voller Name stehen.

Mit gerade mal 16 Jahren geht sie allein nach Berlin, macht eine Erzieherausbildung, wohnt in einem möblierten Zimmer. Es ist die Zeit der Bhagwan-Jünger, der Hare Krishna, der Kinder Gottes. Auch die Moon-Sekte missioniert auf der Straße. Sie wird angesprochen, die Einladung zu Seminaren, in denen es um die Verbindung von Wissenschaft und Religion geht, trifft einen Nerv. Zu den Auserwählten zu gehören, die „den Himmel auf Erden“ schaffen können, dieses Gefühl schmeichelt ihr.

Dass sie den Eltern zunächst nichts erzählen soll, akzeptiert die Minderjährige. Auch dass sie nach Lateinamerika geschickt wird als Missionarin, dort betteln muss, um Miete, Strom, Essen zu bezahlen. „Ich war so naiv, habe alle Vorschriften brav befolgt“, sagt sie kopfschüttelnd, „das kann ich heute nicht mehr nachvollziehen.“

Sun Myung Moon, der Allmächtige, ist charismatisch, seine Anhänger sitzen ihm zu Füßen, auch Doris Stobbe, sie folgt den fünfstündigen Predigten, liest seine Schriften. Lebt in den Zentren der „Vereinigungskirche“, wie sich die Sekte nennt, auch mit ihrem ersten Mann und den kleinen Kindern, „alle in einem kleinen Zimmer“.

Indem er mit dem Finger auf sie zeigte, hatte Moon das Paar füreinander bestimmt. Der Umgang in der Verlobungszeit ist streng reglementiert: kein körperlicher Kontakt, kein Kuss, kein Händchenhalten. Mann und Frau dürfen noch nicht einmal allein im Zimmer sein. Die Macht reicht bis ins Intimste: Nach der Vermählung in New York ist nur Geschlechtsverkehr nach Vorschrift erlaubt.

Ausstieg nach Enthüllungen über sexuellen Missbrauch und Misshandlungen

Später habe sich tatsächlich Liebe entwickelt, schildert Nietzard-Stobbe, ein Ausnahmefall unter den Verkuppelten. Sie bekommen vier Söhne, wohnen zuletzt in einem eigenen Haus; als der Jüngste Abitur macht, verlässt sie den Mann und die Sekte.

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Der Ablösungsprozess habe zehn Jahre gedauert, angestoßen durch ein Enthüllungsbuch der Schwiegertochter Moons. „Sie schrieb über Misshandlungen, sexuelle Gewalt, Drogenmissbrauch. Das sollte der Himmel auf Erden sein?“

Ihr Weltbild bricht zusammen, alles, an was sie geglaubt hatte, ist Lüge, der Schmerz ist groß. Ihren Mann habe das nicht interessiert, seine Bindung zur Sekte war weniger emotional, sagt sie; er ist noch heute ein „Moonie“.

Ausstieg aus der „Moon-Sekte“: Es gab keine Reaktion

Trotz ihrer Ängste („Was passiert, wenn ich die Gebote breche?“) verbrennt sie alles im Garten in einer Blechtonne, die Schriften, ihre Tagebücher, das Hochzeitskleid. Von der Gemeinschaft: kein Druck, überraschenderweise, keine Reaktion. Enttäuschend, sagt sie im Rückblick: „Keiner bemühte sich um das verlorene Schaf. Ich war für sie gestorben.“

Termine der Lesungen

Beim Lohmarer Kulturtag am Samstag, 11. Juni, liest Doris Stobbe-Nietzard im Café Olivia, Hauptstraße 68, um 9.15 und 15 Uhr; und bei Lieblingsstücke, Breiter Weg 6, um 12.10 Uhr. Das 348 Seiten starke Buch „Die 718. Braut“ ist im Lohmarer Verlag Ratio-Books erschienen und kostet 16,30 Euro. (coh)

Die Söhne unterstützen sie, sie sucht sich einen Job. Die Sekte ließ ihre Mitglieder zwar für sich arbeiten, zahlte aber keine Arbeitslosen- und Rentenversicherung. Moon wird später in den USA wegen Steuerhinterziehung verurteilt.

Über ein Internetportal lernt sie ihren heutigen Mann kennen, vertraut sich ihm beim ersten Treffen an, zieht bald darauf nach Lohmar, hilft ehrenamtlich bei der Tafel, macht sich als Künstlerin einen Namen, schließt sich „LohmArt“ an.

Die Malerei habe sie erst spät für sich entdeckt, sagt die 68-Jährige. „Bei Moon waren Hobbys verboten. Wir sollten unsere Zeit ausschließlich ihm widmen.“