Tiere aus Lebensraum verdrängtKünstliche Nester an Häusern können Schwalben helfen

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Besondere Bedingungen brauchen Schwalben für ihre Nester, darunter rauer Putz und Pfützen in der Nähe. In Wohngebieten fehlt meist beides. 

Niederkassel – Ein Freitagmorgen in einer Wohnsiedlung in Lülsdorf. Zwischen Feldern und Rhein reihen sich Vorgärten, geteerte Einfahrten und Klinkerbauten aneinander. Vor einem dieser Häuser steht eine Frau in grüner Tarnjacke mit großer Kamera um den Hals. Wiebke Dallmeyer-Böhm hat ihren Blick auf einen Kran gerichtet. Sie ist auf Schwalben-Mission.

Die ehrenamtliche Nabu-Aktivistin kennt die Probleme der Schwalben in Wohngebieten. Deshalb hat sie einen Hebekran und einen Helfer organisiert: Stefan Lienemann von der Biostation Eitorf ist ihr Mann fürs Praktische. Mit einem Bohrer steht er auf dem Kran und bringt unter dem Giebel des Wohnhauses künstliche Nester für die Vögel an.

Rhein-Sieg: Schwalben finden oft keinen richtigen Platz für ihre Nester

„Die Schwalben passen zu mir“, findet Dallmeyer-Böhm. „Sie fliegen hin und her, sind unabhängig, doch finden trotzdem immer zurück zu ihrer Familie.“ Aber können die ihre Nester nicht selbst bauen? „Nein“, sagt Dallmeyer-Böhm. Schwalben brauchen im Umkreis von 300 Metern zu ihrem Nistplatz Pfützen mit Lehm. Sind die Pfützen weiter weg, trocknet der Lehm im Schnabel und kann nicht mehr zum Nestbau verwendet werden. Selbst wenn es diese Pfützen gibt: Es mangelt in einer typisch deutschen Wohnsiedlung an Nistplätzen für Schwalben, ihre Nester halten nur an besonders rauem Putz.

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Schwalben im Fokus: Dallmeyer-Böhm fotografiert die frisch angebrachten Kunstnester. 

Doch die Menschen verdrängten mit dem Bau von Häusern und Teeren von Straßen Schwalben aus ihrem natürlichen Lebensraum, beklagt Dallmeyer-Böhm. Immergrüne Hecken, Rollrasen, asphaltierte Vorgärten – wenig Raum für Artenvielfalt. Deshalb wirbt sie für die Kunstnester.

Die Schwalbenschützerin aus dem Rhein-Sieg-Kreis ist als eins von fünf Kindern in der Nähe von Hamburg aufgewachsen. Ihre Liebe zur Natur entdeckte sie schon als kleines Kind. Ihre Großmutter nahm sie regelmäßig mit in einen Park, um Tiere zu beobachten. Das hat sie geprägt. „Wir saßen ganz still da, und dann kamen Eichhörnchen und Vögel ganz nah. Das ist mir so tief in Erinnerung geblieben.“

Fotografieren von Tier und Natur als Leidenschaft

Später arbeitete als Modedesignerin in Paris, studierte nebenbei Philosophie und wurde später Grafikerin. Ihre Leidenschaft war schon damals das Fotografieren von Tieren und Natur. Krankheitsbedingt musste sie 2008 in Frührente gehen – die Gelegenheit, ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen. Inzwischen widmet sie sich von März bis September – der Schwalbensaison – etwa 15 Stunden pro Woche dem Schutz der Tiere.

Wenn sie wie an diesem Morgen im Einsatz ist, erklärt sie Nachbarn, die neugierig über den Zaun blicken, warum Schwalben geschützt werden müssen, beantwortet Fragen und drückt ihnen Infozettel in die Hand. Und einige von ihnen überzeugt sie dann auch, selbst einen Nistplatz an ihrem Haus anbringen zu lassen. „Sie ist hartnäckig, umtriebig und agil. Es gibt wenige Menschen, die sich so einsetzen“, sagt Kollege Lienemann.

Nur die Kamera und die Natur fördere die Achtsamkeit und schärfe die Sinne

Schon um 5.30 Uhr ist Wiebke Dallmeyer-Böhm an diesem Tag aufgestanden, um in der Wahner Heide Fotos zu machen. „Die Birken waren heute Morgen in so einem schönen Licht“, sagt sie und zeigt die Fotos auf ihrer Kamera.

Wenn sie im Wald sitzt, hört sie nur das Rauschen der Baumkronen im Wind, das Zwitschern der Vögel und gelegentlich Geräusche von anderen Tieren. Nur sie, die Kamera und die Natur – „das fördert die Achtsamkeit und schärft die Sinne“. Ihr Gehör sei feiner geworden, sie bemerke jedes Rascheln und Knacken im Unterholz, wenn sich ein Tier nähere. Dann drückt sie auf den Auslöser. „Genau für diese Momente lohnt es sich, so früh aufzustehen“, sagt sie. „Da ist immer dieses Kribbeln: Was passiert als Nächstes?“

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Ihre Sehnsucht nach der friedlichen Natur hat zu einem Projekt geführt, auf das sie besonders stolz ist. Ein Jahr lang saß sie dafür schon vor Sonnenaufgang auf einem Hochsitz, die Kamera in der Hand. Das Ergebnis ist ein Bildband, erschienen 2018: „Rotwild – Ein Familienporträt unseres größten Säugetiers“, den sie von der Bebilderung über die Grafik bis zu den Texten allein verantwortet. „Mir wird warm ums Herz, wenn eine Hirschkuh vor mir steht und mich direkt anschaut“, schreibt sie auf einer der ersten Seiten ihres Buches.

Kontakt

Wer an seinem Haus Lebensraum für Schwalben schaffen möchte, kann sich an Wiebke Dallmeyer-Böhm wenden unter 0170/5575461 oder per E-Mail. (EB)

Doch an diesem Morgen in Lülsdorf geht es nur um die Schwalben, deren Kunstnester inzwischen angebracht sind. Dallmeyer-Böhm hebt ihre Kamera, um ein paar Bilder d zu machen. Sie selbst will aber nicht vor die Linse. Es gibt Dinge, die ihr wichtiger sind als ihr Bild in der Zeitung: Aufmerksamkeit für die Schwalben und ihre Nester.  

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