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PflanzenkundeDer natürliche Kleber der Mistel

Lesezeit 5 Minuten

Pflanzenexpertin Barbara Bouillon berichtet Interessantes über unscheinbare Gewächse und wenig bekannte Kräuter.

Rhein-Sieg-Kreis – Pflanzen prägen das Landschaftbild unserer Region. Biologin Barbara Bouillon von der Biologischen Station des Kreises kennt sich mit der heimischen Flora sehr gut aus. Über unscheinbare Gewächse oder weniger bekannte Kräuter kann sie viel berichten. Unter anderem auch, dass schon die wilden Germanen gerne Mohrrüben aßen.

Zahnwurz

Zu den Frühjahrsblühern der Buchenwälder gehört die Zwiebeltragende Zahnwurz. Sie besitzt im Boden einen dickfleischigen Spross als Speicherorgan, der kleine Zähnchen aufweist. Ihre Blüten ähneln denen des Wiesen-Schaumkrautes. Dieser Pflanze ist das unstete Frühlingswetter zu unsicher, bei dem die Insekten nicht immer zuverlässig bestäuben. Daher fährt sie bei ihrer Vermehrung zweigleisig: Zusätzlich zu den Blüten bilden sich an den Stängeln in den Achseln der Blätter kleine dunkelrote Brutkörperchen. Wenn sich das Blätterdach im Wald Ende Mai geschlossen hat, wird es der Zahnwurz zu dunkel und sie zieht ein. Die Brutknospen fallen zu Boden und werden oft sogar von Ameisen verschleppt. Man kann diese kleinen Gebilde allerdings auch essen – über einen Salat gestreut ergeben sie einen feinen, radieschenartigen Geschmack.

Schnittlauch

Schnittlauch steht in fast jedem Garten und ist als Würzkraut in aller Munde. Selten kommt er bei auch wild am Rheinufer vor. Dies ist weit weg von seinem eigentlichen Verbreitungsgebiet. Er besiedelt eigentlich durchsickerte Schuttböden in den Hochlagen der Alpen. Ab und zu werden Samen mit Schmelzwasser in den Bächen aus den Alpen herabgespült und landen bei einem Hochwasser des Rheins im Uferkies, wo er sich zwischen den Gräsern einige Zeit halten kann: von den Schneeböden der alpinen Stufe zum sonnig-warmen Rheinufer – ein weiter Weg.

Wiesen-Salbei

Jede Pflanze hat das Problem, den Pollen sicher auf eine andere Blüte der gleichen Art transportieren zu lassen, um so eine Bestäubung zu sichern. Der Salbei hat sich einen raffinierten Mechanismus einfallen lassen: Die bogenförmigen Staubgefäßen sind in der Blüte mit einer hebelartigen Platte befestigt. Auf der Suche nach Nektar drücken Hummeln mit ihrem Kopf gegen diese Fläche, woraufhin die Pollenbehälter nach unten gehebelt werden und den Pollen auf den haarigen Hinterleib der Hummel drücken. Von dort kann er bei der nächsten Blüte auf die Narbe gelangen – Bestäubung geglückt!

Feldsalat

Schon mal blühenden Feldsalat gesehen? Dies ist hier durchaus möglich. Vier Feldsalat-Arten kommen wild auch in der Region an Weg- und Ackerrändern vor. Die einjährigen Arten keimen im Spätsommer und bilden bis zum Herbst die typischen Rosetten, mit denen sie auch überwintern. Dadurch wurde der Feldsalat seit der Jung-Steinzeit zu einem begehrten Wintersalat. Ursprünglich aus dem Mittelmeergebiet stammend, wurde er von unseren Vorfahren weit verbreitet. Die winzigen, blassblauen Blüten erscheinen im Frühjahr, bevor er fruchtet, vergilbt und abstirbt. Während dieser Phase zeigt er seine Verwandtschaft. Er riecht beim Eintrocknen stark nach Baldrian, mit dem er nahe verwandt ist.

Wilde Möhre

Bereits die Germanen aßen Möhren. Allerdings nutzten sie die Wilde Möhre, die in ihrer Umgebung wuchs und auch heute noch zum regionalen Arteninventar gehört. Bahndämme, Schuttplätze und extensive Wiesen sind die bevorzugten Standorte der anspruchslosen zweijährigen Art. Sie bildet im ersten Jahr eine Rosette und legt ihren Nährstoffvorrat in einer bis 80 Zentimeter tief reichenden Rübe fest. Nach dem Winter nutzt sie die gespeicherten Stoffe, um einen Blütenstand zu bilden. Die heimische Wilde Möhre hat eine weiße Rübe. Die uns bekannte orangefarbene Rüben-Färbung ist erst wesentlich später durch Kreuzungen zwischen der heimischen Unterart mit ihrem südeuropäischen und wahrscheinlich auch dem asiatischen Verwandten erfolgt. Lange Zeit wurden die Möhrenfarben – weiß, gelb, orange, violett – gleichrangig nebeneinander angebaut, bevor sich orange durchsetzte.

Mistel

Misteln sind Halbparasiten. Sie zapfen die Wasserleitungsbahnen von Bäumen an, versorgen sich über deren Wurzelsystem mit Wasser und Nährsalzen. Hierzu bohrt sich bei der Keimung die umgebaute Wurzel der Mistel in einen Ast des Wirtes (oft Obstbäume). Aber wie kommt der Same in die luftige Höhe? Die weißen Beeren der Mistel sind auch bei Vögeln sehr beliebt. Nicht nur Misteldrosseln plündern die Kugeln und fressen die Früchte. Diese sind aber extrem klebrig und bleiben oft am Schnabel hängen. Mit etwas Geduld kann man Vögel beobachten, die versuchen, die klebrige Masse wieder loszuwerden. Dazu wetzen sie ihre Schnäbel an Ästen und streifen so auch die Samen mit ab. Andere Beeren werden gefressen und die Samen unverdaut wieder ausgeschieden. Unsere Vorfahren nutzten die Mistelbeeren insbesondere der südländischen Eichelmistel als Vogelleim. Der natürliche Kleber ist so effektiv, dass er Vogelfedern verklebt und die Vögel elend zugrunde gehen.

Wasserschlauch

In sauberen, stehenden Gewässern lebt eine untergetaucht wachsende, wurzellose Pflanze, die nur zur Blütezeit mit ihren schönen gelben Rachenblüten über der Wasseroberfläche erscheint. Spannend ist ihre Ernährung: Die harmlosen Blüten gehören zu einem Räuber. Blattteile sind zu kleinen Fangblasen umgewandelt, die unter Unterdruck stehen. Jede Falle besitzt eine Tür, die mit zwei Borsten besetzt ist. Stößt ein kleines Wassertier gegen eine Borste, so schnappt die lose aufliegende Tür nach innen und das Tier wird durch den Unterdruck nach innen gesaugt. Nach dem Druckausgleich fällt die Tür wieder in ihre Ausgangslage zurück. Das Ganze dauert nur 0,1 bis 0,2 Sekunden. Die Fangblasen sind durchschnittlich nur ein bis drei Millimeter groß. Ihre Beute bestehen aus Wasserflöhen, Hüpferlingen und Mückenlarven. Gefangene Tiere werden in den Blasen mit Hilfe von Enzymen verdaut, die von der Pflanze produziert werden. Auch der Unterdruck kann vom Wasserschlauch wieder hergestellt werden. Selten nimmt sie jedoch den Mund zu voll.