Disput über einen HöhenzugWieso es Streit über „die“ oder „der Nutscheid“ gibt

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Nutscheid

Der Höhenzug zwischen Sieg und Bröl heißt Nutscheid, hier bei Windeck-Herchen.

Rhein-Sieg-Kreis – Der Kampf tobt seit Jahrzehnten diesseits und jenseits der Grenzhöhen, die das Bröltal im Norden und das Siegtal im Süden voneinander trennen. „Die“ Nutscheid schreibt die Redaktion Rhein-Sieg und ist sich ihrer Sache genauso sicher wie die Redaktion Oberberg, die „der“ Nutscheid schreibt.

Es gehe um eine Wasserscheide, argumentieren die einen, die anderen leiten ihre Schreibweise vom Höhenzug ab. Für einen treuen Leser aus Neunkirchen-Seelscheid, der namentlich nicht genannt werden möchte, ist der Fall völlig klar: „Wieder ein gravierender Fehler“, schimpft er regelmäßig und betont in seinen E-Mails mit Verweis auf Karten und Bücher, dass »der« auf jeden Fall richtig sei. Sogar »das« sei möglich, meint Sarah Puckert vom Sprachteam des Landschaftsverbandes Rheinland in Bonn.

Der? Die? Auch „das“ ist möglich

„Die Grenze zwischen richtig und falsch ist nicht immer eine klare Linie, besonders bei der Sprache“, sagt die Linguistin. Im Duden – „auch der nimmt nur das auf, was wir sprechen“ – finde sich der Begriff Nutscheid ebenso wie Leuscheid nicht. Vom althochdeutschen „Skeida“, betont auf der ersten Silbe, hätten sich sowohl „der Scheid“ als auch „die Scheide“ als Bezeichnung eines Grenzgebiets herausgebildet. Beide Begriffe fänden sich im Übrigen im neunbändigen Rheinischen Wörterbuch.

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Dass diesseits und jenseits des Höhenzuges zwischen Oberberg und Rhein-Sieg heftig um den richtigen Artikel gestritten wird, sieht die Sprachwissenschaftlerin eher gelassen. Während in Deutschland leidenschaftlich um das „ß“ gestritten werde, gebe es diesen Buchstaben in der Schweiz gar nicht.

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Sprachwissenschaftlerin Sarah Puckert vom Landschaftsverband Rheinland

„Jede Region bleibt bei dem, was sie schon nutzt. Und wenn sie eine Regel braucht, wird sie sich eine Regel bauen“, ist sie sich sicher. Die werde dann meist auch nicht hinterfragt.

Der richtige Artikel ist ein überwiegend deutsches Problem

Die Frage nach dem richtigen Artikel sei im Übrigen ein überwiegend deutsches Problem. Sprache sei immer auch ein Stück Identität, und da spiele richtig und falsch dann doch eine wichtige Rolle. Puckert verweist auf die Semmel, die auch Brötchen, Weck oder Rundstück heißt, stets richtig und falsch zugleich.

Der Sellerie... oder das?

Auch beim Sellerie hat die Frage nach der, die oder das das Sprachteam des Landschaftsverbandes Rheinland umgetrieben. Zum Artikel bei diesem Gemüse, aber auch zu anderen Begriffen fragten links und rechts des Rheins die Sprachwissenschaftler nach.

Das Ergebnis zeigen Sprachkarten, die Aufschluss über die regionalen Umgangssprache geben. Zu Nutscheid oder Leuscheid hat es eine solche Umfrage bislang nicht gegeben. Beenden würde eine solche Umfrage den Streit am Ende wohl auch nicht, denn wenn es um Sprachgefühl und Identität geht, entscheiden Mehrheitsvoten nichts. (sp)

Bei Artikeln sei das ähnlich. Klar sei selten, woher der jeweilige Artikel komme. „Es gibt keine klaren Regeln“, fasst Puckert zusammen und nennt als Beispiel Obst: immer mit dem weiblichen Artikel geschrieben? Wie die Erdbeere, die Banane, die Birne? „Aber dann ist da »der« Apfel.“

Das biologische Geschlecht entspreche keineswegs immer dem grammatischen und umgekehrt. Es gebe die Mutter, aber das Mädchen, das und der Laptop. Das Fazit der Linguistin: „Nahezu jeder Versuch, eine logische Kette zu bauen, scheitert. Es ist konfus, aber irgendwas muss uns sagen: richtig oder falsch, ja oder nein.“

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