Sauerteig-KettenbriefWie der Hermann in der Corona-Pandemie wieder kam

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Von wegen untot: Aus dem Teig kann noch was werden. 

Rhein-Sieg-Kreis – Er ist wieder da – und war doch nie wirklich weg. Hermann, der süße sauerteiggewordene Kettenbrief, überlebte Jahrzehnte und alle Krisen der Welt. Stets aufs Neue gefüttert, geteilt und weitergegeben, hat er in der Koch- und Backwelle der Corona-Pandemie sein Revival gefeiert.

Und dabei sogar die Ausgangssperren ausgetrickst: Durften sich die Besitzer nicht vom Fleck bewegen, so wurden Hermann „Spaziergänge“ verordnet, das heißt Bewegung durch Umrühren, aber bloß nicht mit einem Löffel aus Metall!

Wie die Gremlins, seine Zeitgenossen aus den 1980ern, reagiert der Hermann nämlich hochempfindlich auf Fehler in der Fütterung. Das hat mir diesen Untoten immer suspekt gemacht, zumal ich mit Kettenbriefen falsche Versprechen und ein leises Gefühl der Nötigung verbinde.

Hermann ist ein Familienmitglied

So war es zunächst auch bei Hermann, der überraschend ins Haus kam, im gedeckelten Plastikgefäß so behutsam überbracht, als wäre darin ein sakrales Relikt verborgen – was ein Kettenbrief in gewisser Weise auch ist, hat er seine Ursprung doch in der religiösen Sphäre, nämlich dem Abschreiben und Weiterverbreiten von Gebeten.

Hermann allerdings, las ich in der Gebrauchsanweisung, ist ein „Familienmitglied“, und das kann man ja schlecht verkommen lassen. Der fermentierte Geselle soll sogar das Verantwortungsbewusstsein fördern, weil man sich regelmäßig um ihn kümmern muss.

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Immerhin, Sympathien gewann er bei mir durch sein friedliches Geblubber und seinen frischen Hefegeruch. Und die Aussicht, irgendwie auch an einer unendlichen Geschichte beteiligt zu sein.

Einen Hauch dieser potenziellen Unsterblichkeit vermittelten neulich die beiden großen Stromausfälle in Neunkirchen-Seelscheid. Die überstand ein kleiner Sauerteig-Abkömmling unbeschädigt, der stoisch im hintersten Eck des Tiefkühlfachs hockte.

Das Hermännchen nahm auch zweimaliges Auftauen und Wiedereinfrieren nicht übel, sondern bewährte sich schließlich als Produzent eines leckeren Zitronenkuchens. Was soll ich sagen: Hermann ist mir ans Herz gewachsen. 

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