CoronavirusWie Maker im Kampf gegen das Virus zur wichtigen Unterstützung werden

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Tobias Gantner (l.) und Jonas van Hagen stellen dringend benötigte Faceshields mit dem 3D-Drucker her.

  • Neben Wasserkästen und Werkzeugkoffer produziert Tobias Gantner in seiner Garage dringend benötigte Schutzvisiere mit einem 3D-Drucker.
  • Gantner ist Teil der Maker-Szene, eine Art Do-it-yourself-Bewegung des 21. Jahrhunderts. Die Faceshields sind das Maker-Produkt der Stunde.
  • Doch rechtlich agieren die Maker rund um Tobias Gantner in einer Grauzone.

Siegburg – Seit vier Tagen läuft die Maschine schon. Der iBridger 340, ein klotziger 3-D-Drucker mit Sichtfenster und Touchpad, fertigt gerade Schicht für Schicht eine Kopfhalterung für ein Gesichtsvisier. Er wiegt 500 Kilogramm und hat 12000 Euro gekostet. Vor vier Monaten hatte ihn Tobias Gantner in China bestellt.

Eigentlich wollte der Mediziner damit Prototypen etwa für Geräte drucken, die individuell Medikamente ausgeben. Jetzt soll der Apparat für Ärztinnen und Ärzte, Krankenhäuser und Pflegepersonal dringend benötigte Schutzvisiere produzieren. Gantners Makerspace: eine Garage neben seinem Wohnhaus in Siegburg. Neben dem High-Tech-Drucker stehen Wasserkästen, Werkzeugkoffer, Schraubenzieher, an der Wand hängt eine Fuchsschwanzsäge.

Gantner, 46, ist Arzt, Erfinder, Chef des Unternehmens HealthCare Futurists und einer von vielen Tüftlern im Land, die jetzt helfen wollen, in heimischer Produktion Versorgungslücken zu schließen. Wegen des Coronavirus fehlt es an dringend benötigtem medizinischen Material. Vor allem mangelt es an Atemschutzmasken und Faceshields, jenen Masken, die wie Visiere über dem Gesicht getragen werden und neben den Atemschutzmasken und Brillen zusätzlichen Schutz vor Ansteckung bieten sollen.

Das Maker-Produkt der Stunde

Die sogenannten Maker sind eine Art Do-it-yourself-Bewegung des 21. Jahrhunderts. Eine Community von Menschen, die, grob gesagt, 3-D-Drucker oder auch Lasercutter besitzen und ihr technisches Wissen gerne teilen. Am 24. März hat ein Kassler Maker die Szene aufgerufen, sich an der Produktion von Faceshields zu beteiligen. Das Projekt Maker vs. Virus ist entstanden, ein deutschlandweites Netz dezentraler Werkstätten, in denen mittlerweile 6000 Menschen wirken.

Das Prinzip: Open Source. Jeder Teilnehmer kann die Pläne einsehen, verbessern, Druckvorlagen optimieren und wieder hochladen. „Auf diese Weise wird jeder Entwicklungsschritt sichtbar“, sagt Gantner.

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Faceshields sind das Maker-Produkt der Stunde.

Faceshields sind das Maker-Produkt der Stunde, da sie recht einfach zu konstruieren sind. Die Kopfhalterung wird aus Polylactiden (PLA) im Schichtdruckverfahren im 3-D-Drucker gefertigt. Das Visier besteht aus PET, das man auch von Pfandflaschen kennt. Die Druckvorlage hat der tschechische Hersteller Prusa der Szene kostenlos zur Verfügung gestellt. Seitdem laufen in Kellern, Garagen, aber auch in den Werkhallen von Firmen in ganz Deutschland die Drucker und beschleunigen die Stromzähler. 2500 Watt pro Stunde verbraucht etwa Gantners Drucker. „Das ist ungefähr so, als würde man den ganzen Tag zwei Wasserkocher parallel laufen lassen“, sagt er.

„Geld verdient hier keiner“

Jeder Maker ist an einen regionalen Hub angeschlossen. Dort behält man die Übersicht über die Produktionskapazitäten, ermittelt den Bedarf und organisiert die Verteilung. Die Kommunikation läuft über Slack und WhatsApp. Fertige Faceshields werden von Fahrradkurieren oder ehrenamtlich mit dem Auto ausgeliefert. „Geld verdient hier keiner“, sagt Gantner.

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Das Projekt Maker vs. Virus wird deutschlandweit unterstützt.

Die Maker-Szene fristete bislang eher ein Schattendasein. Seit etwa 2010 gibt es die Community in Deutschland. Technik- und Informatik-Nerds, aber auch Architekten und Modellbauer, die für den Job oder einfach aus Spaß irgendwelche Sachen dreidimensional ausdrucken. „Bisher hat sich eigentlich kaum jemand für uns interessiert“, sagt Jonas van Hagen. „Wir wurden eher belächelt.“

Der 24 Jahre alte Informatikstudent betreut den Hub in Bottrop und ist zudem Ganters Assistent in der Siegburger Garagendruckerei. Acht 3-D-Drucker hat van Hagen in seiner Wohnung stehen. Damit hat er das Grammofon seines Großvaters wieder zum Laufen gebracht, Elektronikteile gefertigt, aber auch verzehrbare Marmorkuchen gedruckt.

Maker-Szene wird zum wichtigen Player

Im weltweiten Kampf um medizinische Produkte, um dringend benötigte Atemschutzmasken und Schutzkleidung wird die Maker-Szene in der Versorgung beinahe unbemerkt ein zunehmend wichtiger Player. Tausende Visiere wurden bereits allein in Deutschland in heimischer Produktion hergestellt und ausgeliefert. „Die Nachfrage ist groß“, sagt Alexander Klarmann, Sprecher der Initiative Maker vs. Virus. Vor allem Hospitäler, Zahnärzte, aber auch Altenheime und Behinderteneinrichtungen und sogar Landratsämter würden inzwischen anfragen.

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Der 3D-Drucker stellt die für Ärztinnen und Ärzte, Krankenhäuser und Pflegepersonal dringend benötigte Schutzvisiere her.

Um die Großaufträge kümmert sich eine eigene Taskforce. Gerade erst habe ein großes Krankenhaus in NRW 10000 Visiere bei den Makern geordert. „Durch unsere Lieferungen konnten sogar Praxen wieder öffnen“, sagt Klarmann. Mittelfristig könnte der Bedarf rund eine halbe Million Visiere betragen, schätzt er. Die Produktionskapazität der Heimdrucker beziffert er mit etwa 10000 Stück täglich.

Die Szene sieht sich als Struktur, die da einspringt, wo offizielle Wege in einer Sackgasse enden. „Das soll kein Vorwurf an die Politik sein. Aber die zentrale Versorgung funktioniert derzeit schlichtweg nicht“, sagt Klarmann. Schon jetzt würden sogar große Firmen das Engagement der Szene unterstützen. Eine große Baumarktkette habe gerade erst 850 Quadratmeter Verglasungsfolie gespendet, auch andere bekannte Industrieunternehmen würden bereits im großen Stil PET und das verwandte PETG an die Maker liefern. Der Werkstoff ist derzeit hoch begehrt. „Der Markt ist leergekauft, über das Internet ist eigentlich nichts mehr zu bekommen“, sagt Klarmann.

Doch über den Mangel will hier niemand jammern, vielmehr ist er kreativer Ansporn. Die Maker experimentieren längst auch mit herkömmlichen Laminier- und Overhead-Folien.

Rechtlich agieren sie in Grauzone

Große Firmen würden nur ungern offiziell als Unterstützer auftauchen, ebenso wie die Abnehmer lieber unerkannt bleiben, sagt Klarmann. Denn die Maker haben mit einem Problem zu kämpfen: Rechtlich agieren sie in einer Grauzone. Ihre Produkte sind nicht zertifiziert. Was bei Visieren gerade noch zu verkraften ist, kann bei der privaten Herstellung eines Beatmungsgeräts lebensgefährlich werden.

„Diese Problematik ist uns natürlich vollkommen bewusst und deshalb weisen wir auch ausdrücklich darauf hin“, sagt Jan Borchers, Leiter des Lehrstuhls für Medieninformatik an der RWTH Aachen und ebenfalls Mitglied der Maker-Szene. Wie viele andere Universitäten betreibt auch die RWTH ein eigenes FabLab, eine Community-Werkstatt mit 3-D-Druckern und Lasercuttern, in der normalerweise jeder Bürger einen Termin vereinbaren und seine Modelle ausdrucken lassen kann.

In der Krise ist das FabLab mit Makern und dem Institut für Kunststoffverarbeitung der RTWH Aachen in die Serienproduktion von Faceshields eingestiegen. Etwa 1500 Stück wollen dort Mitarbeiter drucken und schneiden.

Unbürokratisch und ohne Eigennutz

Aber nicht nur das: Mehr als 70 Wissenschaftler, Unternehmer und Maker der Region tummeln sich im eigenen Slack-Bereich und tauschen ihr Wissen über die Produktion von Atemschutzmasken aus. „Wir sind im direkten Austausch mit Ärzten unserer Uniklinik“, sagt Borchers. „Sie testen, wir bessern nach und drucken neu. Auf diese Weise nähern wir uns einem Produkt, das vielleicht im klinischen Alltag bestehen kann.“ Auch der Professor ist fasziniert vor der Community. „Es ist wahnsinnig beeindruckend, was sie ganz unbürokratisch und ohne Eigennutz leistet.“

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Vor drei Wochen erst haben Wissenschaftler der Hochschule für Aufsehen gesorgt, als sie die Druckanleitung für eine Beatmungspumpe insNetz gestellt haben. Mit den Pumpen aus dem 3-D-Drucker ließen sich Beatmungsbeutel betätigen, die üblicherweise von Hand bedient werden. Das sei natürlich ein besonders kritischer Bereich, sagt Borchers. Und doch glaubt er, dass die Uni schon in wenigen Wochen so weit sei, ein Gerät herzustellen, das zumindest in den Bereich einer Zertifizierung kommen könnte.

Am Ende aber gehe es darum ein Produkt zu haben, mit dem Ärzte im Notfall Leben retten können. „Wenn in Ländern wie Indien alles zusammenbricht, wird es irgendwann egal, ob es eine Zertifizierung gibt oder nicht“, sagt Borchers. „Ärzte werden eher ein solches Gerät benutzen, als Menschen sterben zu lassen.“

„Mundschuh“ statt Mundschutz

In Deutschland dagegen scheint das undenkbar. Faceshields sind offenbar eher unproblematisch, da sie in die Kategorie „Persönliche Schutzausrüstung“ fallen. Bei medizinischen Produkten aber „werden wir keinerlei Abstriche an den geforderten Anforderungen zur Erfüllung der einschlägigen Norm vornehmen“, schreibt das Gesundheitsministerium auf Anfrage.

Die Schweiz dagegen zeigt sich offener. Am Freitag erst hat der dortige Bundesrat beschlossen, dass man im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie bereit sei, auch jenen medizinischen Produkten eine Ausnahmebewilligung zu erlauben, die die „erforderlichen Konformitätsbewertungsverfahren“ nicht oder nicht vollständig durchlaufen hätten. Voraussetzung: „Die Risiken im Zusammenhang mit der vorgesehenen Anwendung des Produkts müssen gemessen am Nutzen für den Patienten vertretbar sein.“

Das weiß natürlich auch der Maker und Mediziner Tobias Gantner, der auch spät am Nachmittag noch immer in der Garage steht und mit seinem Kollegen an der Optimierung der Druckereinstellungen frickelt. Auch an einem geeigneten FFP2- und FFP3-Maskenersatz arbeitet er bereits. Da er ihn aus rechtlichen Gründen nicht Mundschutz nennen darf, heißt er nun einfach „Mundschuh“.

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Seine Garage nutzt Tobias Gantner als Makerspace.

Mit den Faceshields aber wollen er und sein Kollege van Hagen nun in die Kleinserie gehen, mindestens 20 Stück täglich seien machbar. Anfragen gebe es reichlich. Gerade erst hat eine große karitative Einrichtung aus Düsseldorf geordert. Eine Zahl wurde nicht genannt. Es hieß nur: „So viele wie möglich.“

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