JVA SiegburgViele Promis waren zu Gast bei den Knackis

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Siegburg – Da sitzt er, 120 Kilogramm geballte Energie mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht. Karl-Heinz Lichtenberg sieht mit seinen bald 63 Jahren ganz und gar nicht wie jemand aus, der in den Ruhestand geht. Doch für den Justizvollzugsbeamten ist Schluss, dabei sagt er klipp und klar: „Mein Beruf war immer mein Hobby. Und ich werde die Jungs vermissen, die haben so viel zu erzählen.“ 37 Jahre lang prägte er das Sportgeschehen in der Justizvollzugsanstalt Siegburg, holte die Boxweltmeister Henry Maske und Felix Sturm, den „Titan“ Oliver Kahn, die Weltmeister Horst Eckel (1954) und Lukas Podolski (2014). Und besonders stolz ist er auf eine beeindruckende Zahl: „Insgesamt war ich mit 16 000 Gefangenen draußen, und es hat nicht einen einzigen Missbrauch gegeben, keiner ist abgehauen.“ Vertrauen gegen Vertrauen war seine Devise.

Als er mal bei einem Fußballspiel den Ball gegen den Kopf bekam, haben ihn die inhaftierten Spieler ins Lazarett gebracht, mit seinem Schlüssel. Anschließend sind sie selbst in ihre Zellen zurückgekehrt. „Den schönsten Vertrauensbeweis hat mir Willi H. entgegengebracht“, erinnert er sich. Mit ihm war „Kalle“ Lichtenberg in den 80er-Jahren am Samstag zur Haftlockerung unterwegs. „Am Tag darauf wollte ich ihn in seiner Zelle besuchen, da war er nach einem Fluchtversuch anderweitig untergebracht“, erzählt der ehemalige Fußball- und Handball-Leistungssportler. „Warum bist Du nicht abgehauen, als wir draußen waren, habe ich ihn gefragt. Und er antwortete: Bei Dir geht das nicht, da sind unsichtbare Fesseln.“

Nach einer Kfz-Mechaniker-Lehre ist Lichtenberg zum Bundesgrenzschutz gegangen. Erst nur zwei Jahre: „Aber ich habe meinen VW Käfer gegen einen Telefonmast gesetzt, da habe ich mich für acht Jahre verpflichtet, um mir das nächste Auto leisten zu können.“ Er war Hundeführer , patrouillierte zu Zeiten der RAF-Anschläge rund um Bundeskanzleramt und Gästehaus Schloss Gymnich.

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Danach war ihm klar, was er machen wollte: „Justiz, da wollte ich hin, da mache ich Sport.“ In seiner Prüfung hatte er Glück, ihm wurde die Sportfrage gestellt: „Die beiden anderen hätte ich nicht beantworten können“, räumt der 62-Jährige freimütig ein. Und hatte gleich wieder Glück mit dem Anstaltsleiter Heribert Lange-Brandenburg. Der ließ ihm weitgehend freie Hand, selbst als der Anwärter Lichtenberg sagte, mit denen klappt das, durften die Inhaftierten mit raus zum Schwimmen. 1996 hat er die Leitung des Sports übernommen, heute machen sieben Beamte täglich Angebote, auch an den Wochenenden.

Foltermord 2006

Selbst nach dem Weggang des Jugendvollzugs hat es keine Kürzungen gegeben. „Alleine bin ich nichts“, sagt Kalle, „ich habe gute Kollegen.“ 2006 war er dann fast so weit, die Brocken hinzuschmeißen. Der sogenannte Foltermord gehört zu seinen schlimmsten Erlebnissen. „Dabei war das Opfer der muskulöseste von den vier jungen Männern“, weiß er noch. Das Tal hat er durchschritten. „Die Gefangenen haben mich aufgebaut.“ Eine Weile hat er überlegt, nach Wuppertal in die Jugend-JVA mitzugehen. Letztlich entschied er sich für Siegburg. Hier hat er seine Frau kennengelernt.

Nach einer Sportverletzung musste er ins Krankenhaus. „Vor Spritzen habe ich panische Angst, doch die Krankenschwester hat mir die Hand gehalten.“ Vier Wochen später machte er ihr einen Heiratsantrag. Das war vor 40 Jahren, der Sohn ist heute 39 Jahre alt.

Seine Gelassenheit erstrampelt er sich auf dem Heimweg nach Sankt Augustin mit dem Fahrrad oder am Boxsack im Keller. „Ich bemühe mich, Probleme nicht mit nach Hause zu nehmen“, erklärt der scheidende Sportchef. Er hat erlebt, wie Entlassene sich kurz nach der Haft den goldenen Schuss setzten. Aber er hat auch Leute in Arbeit vermittelt, die nicht mehr rückfällig wurden. „Seine“ Ex-Gefangenen trifft er schon mal in Bonn. Neulich sah er einige biertrinkend auf der Straße. „Das habe ich Euch doch verboten“, rief er ihnen zu. „Ist gut, Kalle, haben sie geantwortet, sich auf den Boden geschmissen und zehn Liegestütze gemacht.“ Diese Strafe gab es bei ihm in der JVA für Störungen.

Mit den Benefiz-Veranstaltungen begann er 2001, knüpfte Kontakte zur Sepp-Herberger-Stiftung. „Ich habe auf Lehrgängen einfach Prominente angesprochen. Die kamen gerne zu uns“, so Lichtenberg. Helmut Haller plauderte mit Gefangenen, Olympiasieger Dieter Baumann lief einen Halb-Marathon, Paralympics-Teilnehmer Rainer Schmidt schlug sie im Tischtennis. Langeweile gibt es ab jetzt nicht. Lichtenberg plant schon die nächsten Veranstaltungen, mit Knackis und Promis.

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