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NS-ZeitAusstellung im Siegburger Kreishaus dokumentiert mörderische Medizinverbrechen

Lesezeit 3 Minuten
Ein Bild der Ausstellung der NS-Zeit im Rhein-Sieg-Kreis.

Helena Oberreuter war Lagerärztin im Konzentrationslager Ravensbrück. Sie lebte von 1965 an in Bad Honnef 1945'.

Die Ausstellung ist noch bis 16. Juni im Foyer des Kreishauses zu sehen, ab Donnerstag, 22. Juni, wird sie im Rathaus Hennef gezeigt.

Mit historischer Präzision zeichnete Wilbert Fuhr im Foyer des Kreishauses das Leben seines Großvaters Josef Fuhr nach. Doch es war spürbar, wie bedeutsam diese persönliche Geschichte für ihn ist. Denn sein Großvater war eines der Opfer von NS-Verbrechen an Rhein und Sieg in der Zeit von 1933 bis 1945. Die gleichnamige Ausstellung eröffnete Landrat Sebastian Schuster, der sich bei dem Königswinterer Fuhr persönlich für seine privaten Forschungen bedankt.

Sie sind Teil einer breit angelegten Studie zu Euthanasie, Zwangssterilisationen und Humanexperimenten, die Dr. Ansgar Klein 2020 in einem Buch veröffentlichte. Mehr als 200.000 Menschen ermordeten die Nationalsozialisten im Zuge der „Euthanasie“. Noch weitaus mehr erlitten durch Zwangssterilisation oder unmenschliche Experimente in Konzentrationslagern und Heilanstalten schwere physische und psychische Schäden.

NS-Zeit: Möbelschreiner wurde durch Operation unfruchtbar gemacht

Josef Fuhr aus Königswinter-Eudenbach stürzte im Ersten Weltkrieg aus drei Metern Höhe. Fortan gab er an, Stimmen zu hören. Er wurde in der Nervenklinik Bonn behandelt und von 1934 an dauerhaft in der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn untergebracht. Die Diagnose lautete „paranoide Schizophrenie“. Das war sein Todesurteil. Der Möbelschreiner wurde 1934 durch eine Operation unfruchtbar gemacht.

Im Juli 1941 wurde er in der Tötungsanstalt Hadamar vergast. Erst in den 90er Jahren konnte sein Enkel Wilbert den Fall recherchieren und ihn bekannt machen. Kreis- und Landtagsabgeordneter Michael Ezzo Solf regte dann 2013 an, das Thema auf regionaler und lokaler Ebene zu erforschen.

Ein Forschungsprojekt wurde aufgelegt, ein Beirat installiert. Dessen Vorsitzender, der Medizinhistoriker Dr. Ralf Forsbach, nannte die Zusammenarbeit mit dem Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) einen Glücksfall genau wie die Wahl des Autors Klein.

Ausstellung bringt Ergebnisse einer Studie zu Euthanasie heraus

„Der Weg, mit einer Ausstellung den Bürgern die Ergebnisse dieser Forschung nahezubringen, ist ein erfolgversprechender“, lobte Forsbach das Format mit 18 Tafeln, die nicht nur im Kreishaus, sondern auch in allen 19 Kommunen des Kreises gezeigt werden sollen. „Es ist ein Meilenstein der Forschung und Aufklärung, ein Vorbild für ganz Deutschland“, erklärte Dr. Helmut Rönz, Leiter des LVR-Instituts. Der Rhein-Sieg-Kreis sei der erste, der die NS-Medizinverbrechen aufgearbeitet habe.

Begünstigt wurde das durch die sehr gute Quellenlage, mehr als 3000 sogenannter Erbgesundheitsakten liegen vor, unter anderem die des Falls Fuhr. Sie führten zu rund 1000 Anzeigen, 147 Menschen im Kreis erlitten eine Zwangssterilisation. Die Schicksale von 81 Menschen endeten in Hadamar. „Sie wurden Opfer einer menschenverachtenden Ideologie“, so Rönz über die Arbeit der Gesundheitsämter und Mediziner. „Kein Arzt hat sich geweigert.“

Namen der Opfer und der Täter

Sein Antrieb und der des Forschungsteams sei gewesen: „Wir wollen ihnen Namen und Gesicht und ihre Würde zurückgeben.“ Deshalb haben sich die Macher der Studie entschlossen, Opfer und Täter gleichermaßen bei vollem Namen zu nennen. Es gehe nicht nur um Sachverhalte. „Wir ermitteln, erforschen, analysieren, gedenken und vermitteln“, beschrieb er den ganzheitlichen Ansatz.

Besonders erschütternd sei, dass die Mediziner nach Kriegsende ihre Karrieren fortsetzten, die Opfer aber keine Entschädigung erhielten. So mancher musste sich von denen begutachten lassen, die sie damals in die Anstalten geschickt hatten. Autor Klein schließlich führte vom Pult aus durch die Ausstellung. Sie ist noch bis 16. Juni im Foyer des Kreishauses zu sehen, ab Donnerstag, 22. Juni, wird sie im Rathaus Hennef gezeigt.

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