Siegburg im Ausnahmezustand1945 bricht das Fleckfieber im Gefängnis aus

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Gefangene beim Freigang im Jahr 1945. Im Siegburger Gefängnis brach kurz vor dem Kriegsende die Fleckfieber-Epidemie aus.

  • Das Fleckfieber ist eine durch Läuse übertragene Infektionskrankheit.
  • Die Ausbreitung der Krankheit war eine der größten humanitären Katastrophen in Siegburg.
  • Dank eines Zufalls bekam Stadtarchivar Jan Gerull die Unterlagen des damaligen Amtsarztes Dr. Bruno Bange.

Siegburg – Kurz vor Kriegsende befindet sich die Stadt im Ausnahmezustand. In Siegburg bricht die Strom- und Wasserversorgung zusammen , Lebensmittel sind knapp – und über dem Gefängnis weht die gelbe Seuchenflagge.

Fleckfieber, eine durch Läuse übertragene Infektionskrankheit, breitet sich aus und kostet 300 Menschen das Leben. Die ursprünglich gestellte Diagnose Grippe stellt sich als todbringender Fehler heraus.

Ein purer Glücksfall

„Ein Zufall hat dazu geführt, dass mir der Nachlass des ehemaligen Amtsarztes Dr. Bruno Bange zur Verfügung gestellt wurde“, erläutert Stadtarchivar und Autor Jan Gerull die Entstehung der neuen Ausgabe der Siegburger Blätter, die der Fleckfieberepidemie gewidmet ist. „Die Enkelin Banges lebt bei uns im Haus und fragte mich, ob ich Interesse an den Unterlagen ihres Großvaters hätte.“

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Autor Jan Gerull (links) und Herausgeber Reinhard Zado stellten die Heimatblätter vor.

Für den Archivar ein Glücksfall: Denn über den Ausbruch war bislang kaum etwas bekannt. Seine Recherchen und Auswertungen enthüllen eine der größten humanitären Katastrophen in der Kreisstadt und sind in der 66. Ausgabe nachzulesen.

Fleckfieber im Siegburger Gefängnis

Amtsarzt Dr. Bruno Bange erhält am 16. Februar 1945 die Nachricht, dass ein Wachmann seines Zuständigkeitsgebietes mit hoher Wahrscheinlichkeit an Fleckfieber erkrankt ist.

Bange muss zunächst in Erfahrung bringen, in welchem der 25 Lager der Wachmann überhaupt arbeitet. „Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen“ beginnt, die Zeit ist knapp, und die Korrespondenz kann in diesen Tagen nur noch auf dem Postweg erfolgen. Erst am 28. Februar folgt die schreckliche Gewissheit: Es ist das Fleckfieber, und es grassiert im Siegburger Gefängnis.

„Fleckfieber. Zutritt verboten!“

„Wie ich wohl heute mit einer solchen Katastrophe umgehen würde?“ fragt Wolfgang Klein, Leiter der JVA, bei der Präsentation der Siegburger Hefte. Aber im Zeitalter von moderner Kommunikation und den vorhandenen medizinischen Möglichkeiten könne man eine solche Krise sicher schnell in den Griff bekommen.

Aber 1945 versucht die Anstaltsleitung zunächst, den Ausbruch der Seuche geheimzuhalten. Nach dem Tod des Wachmanns ist das nicht mehr möglich. Alle Zu-und Abgänge werden gesperrt. An den Pforten der Anstalt werden Schilder mit der Aufschrift: „Fleckfieber. Zutritt verboten!“angebracht.

Verlauste Matratzen als Ursache

Als Ursache für die Seuche wird eine Lieferung von verlausten Matratzen vermutet. Bange versucht noch, weitere Maßnahmen zu ergreifen, die die Ausbreitung, insbesondere über das Gefängnis hinaus, verhindern soll. Aber die herrschenden Zustände sind katastrophal.

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Desaströse hygienische Verhältnisse herrschten im Gefängnis.

Das Gefängnis, ausgelegt für 900 Gefangene, ist mittlerweile mit bis zu 3000 Inhaftierten belegt, davon viele politische Gefangene. Es gibt weder sauberes Wasser oder frische Wäsche noch Medikamente. Von nun an steigen sowohl die Krankheits- wie auch die Sterberate.

Bekämpfung des Fleckfiebers

Im März meldet sich der Siegburger Anstaltsarzt Dr. Moritz Hohn krank; niemand will seine Vertretung übernehmen. Letztendlich wird Dr. Jakob Ahles, Widerstandskämpfer aus Köln und Häftling der Anstalt, aus seiner Zelle geholt und zum medizinisch Verantwortlichen erklärt.

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Ahles gelingt es, in einer Allianz mit einem einflussreichen Häftling, der luxemburgischen Widerstandsikone Josy Wengler, mit einem Gefängnis-Lkw nach Wuppertal zu fahren und dort Herzstärkungsmittel und Läusepulver zu besorgen.

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Inhaftierter und Arzt: Jakob Ahles besorgte Medikamente.

Unter Mithilfe der jungen Assistenzärztin Dr. Frey aus dem städtischen Krankenhaus gelingt es nach Aussage von Ahles tatsächlich, die Sterblichkeitsrate zu senken und die Zahl der Neuinfektionen stark zu verringern.

Wer hatte Schuld am Ausbruch?

Trotz aller Anstrengungen, das Fleckfieber zu bekämpfen, kann nicht verhindert werden, dass auch nach dem Einmarsch der Alliierten am 12. April noch Menschen sterben.

Am 1. Oktober 1947 soll in einer Verhandlung vor einem Untersuchungsgericht der Militärregierung die Schuldfrage der Epidemie geklärt werden. „Der Verwaltung der Anstalt war es wohl damals ziemlich gleichgültig, wer starb, nicht wahr?“, lautet das Schlusswort des Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses.

„Die Fleckfieberepidemie im Siegburger Gefängnis 1945“, Ausgabe 66 der Siegburger Blätter, ist zum Preis von vier Euro im Stadtmuseum und im Abo bei der Edition Blattwelt erhältlich. 

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