Von der Klappkarte zum CodeWie die Digitalisierung die Siegburger Bücherei verändert

Lesezeit 4 Minuten
Persönlicher Service im Jahr 1963: Mitarbeiterin Frau Kemmersies im Bibliotheksgebäude an der Grimmelsgasse.

Persönlicher Service im Jahr 1963: Mitarbeiterin Frau Kemmersies im Bibliotheksgebäude an der Grimmelsgasse.

Siegburg – Stapelweise kann man als Kunde der Stadtbibliothek die gewünschten Bücher auf den Verbuchungstisch legen. Augenblicke später hat das System die Titel erkannt, ein Rückgabedatum angezeigt und den Beleg ausgedruckt. Fertig. Bibliothekare legen bei der Verbuchung nur noch im Ausnahmefall Hand an. Dabei war ihr Beruf früher mit viel Handarbeit verbunden.

„Es gab den Papier-Bibliotheksausweis mit Lesernummer“, erinnert sich Christiane Bonse. „Für den Leser wurde eine Klappkarte angelegt mit identischer Nummer.“ Dort wurden bei der Ausleihe die Buchkarten abgelegt, die hinten im Buch steckten. Mit Informationen über Autor, Titel, Verlag, Erscheinungsjahr und Umfang. Von Hand wurde das Rückgabedatum auf diese Karten gestempelt.

„Ein Riesenwust an Arbeit“

Damit die Bücher, Spiele oder Videokassetten rechtzeitig zurückgegeben wurden, sortierten die Beschäftigten die Klappkarten: „Die ältesten Daten kamen nach vorn“, einmal pro Woche wurden diese Karten nach fälligen Daten durchgesehen. Anhand der Nummern wurden die säumigen Kunden ermittelt und angeschrieben. „Und dann musste man das Ganze wieder rückabwickeln“, erinnert sich Christiane Bonse: Die entsprechende Klappkarte wurde anhand der Lesernummer ermittel, die dort abgelegten Buchkarten wieder zu den Medien gesteckt. Am nächsten Tag waren die Bücher, Zeitschriften oder Spiele wieder verfügbar im Regal.

Verändert: der Arbeitsplatz von Christiane Bonse.

Verändert: der Arbeitsplatz von Christiane Bonse.

„Ein Riesenwust an Arbeit“, den die Bibliotheksleiterin und ihre Kolleginnen bis zum Umzug in die neue Stadtbücherei 1989 von Hand erledigen mussten. 120 000 Medien waren vor dem Umzug im Bestand, mit etwa 80 000 startete der Betrieb in der Griesgasse.

„Damals haben wir auf EDV umgestellt.“ Pappe, Papier und Buchkarten sind heute verschwunden: Die Ausweise sehen aus wie Scheckkarten, der RFID-Code erlaubt den Nutzern die selbstständige Ausleihe auch von Büchern in Stapeln. Leser, entliehene Medien und die Ausleihfristen sortiert das System ebenso automatisch wie mögliche Mahnungen. Lediglich bei den selten gewordenen Mahnungen per Post gibt es noch Handarbeit: beim Eintüten der Briefe in einen Umschlag.

Berufsbild wandelt sich

Auch die Suche nach Medien im Katalog auf Karteikarten – es gab einen alphabetischen und einen zur Schlagwortsuche – hatte mit dem Umzug an die Griesgasse ein Ende. An anderer Stelle hat die Handarbeit der Beschäftigten ebenfalls ein Ende gefunden: Früher wurden die Bücher in der Bibliothek systematisiert und katalogisiert, von Hand mit Signaturen versehen und eingebunden. „Heute bestelle ich die ausleihfertig“, sagt Christiane Bonse.

Alles Handarbeit: Die Suche nach bestimmten Titeln bedeutete das Wühlen in den vielen Karteikarten des Katalogs.

Alles Handarbeit: Die Suche nach bestimmten Titeln bedeutete das Wühlen in den vielen Karteikarten des Katalogs.

„Die ganze Arbeitswelt und das Berufsbild haben sich verändert“; früher war die Ausleihe das Kerngeschäft, „heute bildet das nur noch den Rahmen für all das, was sonst stattfindet“. Moderne Bibliotheken geben zwischen 20 und 30 Prozent des Medienetats dafür aus, Netzwerke zu schaffen, „Bildung von Mensch zu Mensch“ zu vermitteln. „Ein bisschen wie die Idee des Repair-Cafés“, beschreibt das Christiane Bonse: „Jemand, der’s kann, gibt seine Kenntnisse weiter.“ Gerade wurde für diese neuen Aufgaben ein Medienpädagoge eingestellt, mindestens Zusatzqualifikationen in IT oder Medienpädagogik müssen neue Kolleginnen und Kollegen mitbringen. Die sich, so Bonse, mit Konkurrenz von Experten aus diesen Fachgebieten konfrontiert sehen.

Vermisst Christiane Bonse das alte System? „Nein, weil das, was wir heute leisten müssen, damit nicht zu schaffen wäre.“ Früher habe man durch die gemeinsame Suche mehr Kundenkontakt gehabt, heute seien die Kunden „in der Regel autark“. Nach wie vor hält das Team der Siegburger Bücherei Kundenkontakt über Thekenpersonal und Befragungen.

Das Haus an der Grimmelsgasse wich dem Kaufhof-Neubau; eine ehemalige Diskothek an der Breitestraße wurde das neue Domizil. Heute findet sich die Bibliothek in der Grimmelsgasse am Markt.

Das Haus an der Grimmelsgasse wich dem Kaufhof-Neubau; eine ehemalige Diskothek an der Breitestraße wurde das neue Domizil. Heute findet sich die Bibliothek in der Grimmelsgasse am Markt.

Verändert haben sich aber auch die Erwartungen an die Bibliothek. „Die Menschen wollen sich dort aufhalten, sie als Lebensraum erfahren, sich austauschen.“ Skatrunde oder Stricktreff in der Bibliothek sind für Bonse vorstellbar, wie sie schon heute erlebt, dass Studierende die Räume zum Lernen aufsuchen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Von einem „Zeitenwandel“ spricht die Bibliotheksleiterin, die zugleich aber von einem weiteren Raum träumt: von einem „historischen Raum weitab vom Mainstream, um den Zauber des Lesens noch einmal zu entdecken“. Tatsächlich aber geht die Entwicklung in eine andere, bislang noch sehr teure Richtung: Die sogenannte Open Library, die „offene Bibliothek“, die auch nachts geöffnet ist und ohne Personal auskommt, weil die Nutzer sich mit ihrem Ausweis an- und abmelden. Zukunftsmusik noch in Siegburg. Aber: „Wir werden mit Lernnächten anfangen“, sagt Christiane Bonse. „Zunächst mit Personal.“

KStA abonnieren