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Siegburger Gericht wartet auf VisumTatverdächtiger meldet sich nach 25 Jahren

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Justitia spricht Recht. 

Eitorf/Siegburg – Rund 25 Jahre nach einem Verbrechen erhielt der Eitorfer Rechtsanwalt Michael Diwo einen überraschenden Anruf aus der Türkei: Ein untergetauchter Straftäter wollte sich der deutschen Justiz stellen.

Die Staatsanwaltschaft suchte die alte Akte heraus, der Vorsitzende Richter Ulrich Wilbrand terminierte die Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht. Doch das deutsche Konsulat in Istanbul verweigerte dem Angeklagten das Einreisevisum.

Richter Wilbrand: „Es gibt kein formelles Schreiben der Botschaft“

Eine Mitarbeiterin, der die offizielle Ladung in Ankara vorlag, hatte zuvor fernmündlich beim Amtsgericht nachgefragt, ob eine Erteilung „wirklich notwendig“ sei. „Es gab noch nicht mal ein formelles Schreiben der Botschaft“, kritisierte Wilbrand, „wir sind doch nicht auf der Kirmes.“

Nun beratschlagten Wilbrand, Diwo und die junge Staatsanwältin beim geplatzten Hauptverhandlungstermin, wie weiter zu verfahren sei. Der Verteidiger betonte, dass sein heute 50-jähriger Mandant reinen Tisch machen wolle. Er hatte 1998 in der Türkei seinen Wehrdienst angetreten und war angesichts der Anklage wegen Weitergabe von illegalen Betäubungsmitteln an Minderjährige nicht nach Deutschland zurückgekehrt.

Verjährungsfrist kann von vorn beginnen

Wann verjährt eine Straftat? Nur Mord, das weiß jeder Krimi-Fan, verjährt nicht. Sonst gilt eine Frist von 20 Jahren. Somit wäre der aktuelle Fall vor dem Amtsgericht, der 1998 angeklagt wurde, eigentlich erledigt. Doch ein zwischenzeitlicher Haftbefehl hatte die Verjährungszeit erstmals unterbrochen. Und nun zusätzlich die Wiederaufnahme des Verfahrens. Das bedeutet: Alles geht wieder von vorne los. Aber nicht unbegrenzt: Nach spätestens 40 Jahren ist definitiv Schluss. (coh)

Richter und Staatsanwaltschaft vermuten als Motiv für die späte Reue, dass der Mann eventuell Verwandte oder Bekannte in Deutschland besuchen oder, so Wilbrand spöttisch, womöglich „seinen Lebensabend hier verbringen“ wolle, durchaus verständlich angesichts der Rekordinflation am Bosporus von über 70 Prozent.

Die einfachste Lösung, das Verfahren einzustellen, scheidet in diesem Fall aus. Laut Anklageschrift vom 9. März 1998 handelt es sich bei der Tat aus Februar 1997 um ein Verbrechen, für das eine Mindeststrafe von einem Jahr Haft droht. Damals war die Staatsanwältin in der achten Klasse, der Richter erst wenige Jahre im Staatsdienst und der Strafverteidiger nach seinem Jura-Studium im Referendariat. Die Kollegen hätten ihn schon witzelnd gefragt: „Machst du jetzt Rechtsgeschichte?“

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Wie kommt der Angeklagte nun schnell und sicher vor das Siegburger Amtsgericht? Hilft vielleicht ein neuerlicher Haftbefehl und ein Auslieferungsersuchen an die Türkei? „Das wäre unverhältnismäßig“, wandte der Rechtsanwalt ein. Sein Mandant habe sich ja freiwillig gestellt, und die Haftbedingungen am Bosporus seien bekanntermaßen menschenunwürdig. Der Richter stimmte zu: „20 Mann in einer Zelle mit nur zehn Betten.“

Nun soll ein erneuter Anlauf für ein Visum gemacht werden. Das will der Richter gerne unterstützen: „Ich werde mich an das Außenministerium wenden“, kündigte er an. Zwar nicht direkt an „Frau Baerbock“, aber doch an eine maßgebliche Stelle. Mitte September soll dann verhandelt werden. Und der Angeklagte kann endlich reinen Tisch machen.