Todestag vom NobelpreisträgerHeinrich Böll lebte seit 1982 in Merten und ist dort auch begraben
Bornheim-Merten – „Fürs Vorgebirge war der Mann politisch falsch gepolt“, bringt es Hans-Peter Stüsser auf den Punkt. Jahrelang waren Böll und sein Sohn René Kunden in dem kleinen Frisörladen mit dem Retro-Charme. Als Böll 1982 nach Merten zog, um Ruhe zu finden, war es gerade zehn Jahre her, dass er sich mit der „Bild“-Zeitung angelegt hatte. Nach Bölls im „Spiegel“ erschienenen Essay „Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?“ über seine Haltung zu Ulrike Meinhof. Als Sympathisant der RAF wurde Böll gebrandmarkt, der wiederum seine Erfahrungen mit der Regenbogenpresse in dem Roman „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ verarbeitete. Und dieser Mann zieht ins konservative Vorgebirge...
„Böll hatte keinerlei Allüren“, erinnert sich Stüsser. Tagtäglich machte er seine Runde durch den Ort, kaufte die „Bild“ – er hatte sie wohl immer im Auge – und besuchte auch die Kirche, wenn keine Messe war. „Ob er sich denn in Merten wohl fühle“, hatte Stüsser Böll gefragt. Der habe geantwortet, er sei froh, hier zu sein. Zu Stüssers 50. Geburtstag hatte ihm seine Mutter ein Buch von Böll gekauft, und der Frisör bat den weltbekannten Mitbürger um eine Signatur. War kein Problem, sagt Stüsser. Er spricht aus, was wohl viele dachten. „Der Mann hätte sich doch eine Villa leisten können, aber er kaufte ein Haus in Merten. Er brauchte keinen Pomp.“
Noch in den 50er Jahren hatte Christel Diesler ganz andere Erfahrungen mit einem Böll-Buch gemacht. Die Kunsthistorikerin, die auch regelmäßig Kirchenführungen in der Region leitet, erinnert sich: Von Nachbarn hatte sie den Titel „Wanderer, kommst Du nach Spa“ zu Weihnachten geschenkt bekommen. Freudig habe sie davon in ihrer Sechtemer Schule erzählt, wurde dann aber zum Schulleiter zitiert – und musste das Buch wieder zurückgeben. Heute steht eine ganze Buchreihe in ihrer Wohnung in Merten, in Sichtweite des ehemaligen Böll-Hauses. „Frauen vor Flusslandschaften“, das sei ihr Lieblingstitel, sagt Diesler, die auch Literatur studiert hat. Böll habe sie immer fasziniert. „Er hat gegen den gesellschaftlichen Stillstand angeschrieben“, sagt Diesler. „Man kann ihn heute nicht mehr so abtun, wie man es früher tat.“ Wohl auch deshalb hat sie dem Schriftsteller und Mitbürger nachgespürt, um an dessen 30. Todestag am Donnerstag einen literarischen Rundgang gestalten zu können.
Warum der Kölner Böll gerade nach Merten gezogen ist? Da hat Christel Diesler eine Vermutung. Es könnte an Onkel Alois gelegen haben. Der Kölner Architekt Alois Böll war im Zweiten Weltkrieg ausgebombt worden und hatte Unterschlupf in Walberberg gefunden. Schon von Köln aus hatte er, so hat es Christel Diesler recherchiert, Vorverhandlungen geführt, wie der Chor der 1871 abgerissenen Kirche in Merten wieder instand zu setzen sei. Er habe dann auch die Kapelle gebaut. Auch Neffe Heinrich hatte große Bezüge zu Kirche und Architektur...
Allerdings war es Sohn René, der 1975 nach Merten kam. Der dritte Sohn von Heinrich Böll und seiner Frau Annemarie gründete dort, in der ehemaligen Gaststätte Müller mit Tanzsaal und Kino, seinen Lamuv Verlag und konzentrierte sich auf Publikationen der Friedensbewegung.
Die Eltern kamen nach. Von René Böll, der heute Nachlassverwalter seines Vaters ist, ist die Anekdote überliefert: „Die Mertener haben meine Mutter immer für die Haushälterin und mich für den Chauffeur gehalten.“An Schmankerl wie diesen kann sich Ortsvorsteher Hans-Gerd Feldenkirchen auch noch gut erinnern – aber auch an die Ablehnung, auf die Böll im Ort stieß. Als der Nobelpreisträger am 16. Juli 1985 in Kreuzau (Kreis Düren) starb und drei Tage später auf eigenen Wunsch in Merten begraben werden sollte, hatte die Dorfgemeinschaft keinen Beitrag zur Beerdigung geleistet. Prominente wie Schriftsteller-Kollege Günter Grass, Lew Kopelw und Günter Wallraff trugen den Sarg, und Richard von Weizsäcker, immerhin seinerzeit der Bundespräsident, war auch dabei. In Bölls Kondolenzbuch soll er geschrieben haben: „Er erregte Anstoß und erzeugte Achtung.“ Diese Achtung wird Böll jetzt auch im Ort zuteil. Heute um 16 Uhr wird vor dem ehemaligen Wohnhaus eine Plakette niedergelegt, der literarische Rundgang folgt.