Troisdorfer GastronomThomas Pilger ist ohne Michelin-Stern glücklicher

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Thomas-Pilger

Gute Weine und feines Essen sind Thomas Pilgers Metier. Er freut sich, dass die Gastronomie nun endlich wieder loslegen kann. 

  • Bei diesem Bericht handelt es sich um einen Text aus dem Archiv, der unsere Leserinnen und Leser besonders interessiert hat. Er wurde zum ersten Mal am 29. Mai 2021 veröffentlicht.

Im Forsthaus Telegraph in Spich rief im Dezember 1995 ein Zeitungsreporter an: „Herr Pilger, erzählen Sie bitte etwas aus Ihrem Leben.“ „Warum sollte ich?“, fragte Thomas Pilger zurück. Die Antwort darauf war eine kleine Sensation: Der damals 33-jährige Koch hatte gerade einen Michelin-Stern bekommen. Mit dieser glanzvollen Auszeichnung für seine eher schlichte Küche hatte Pilger nicht gerechnet, und auch nicht mit dem, das darauf folgte.

„Erst habe ich das gar nicht geglaubt“, erzählt der gebürtige Sieglarer. Den Besuch der Restaurant-Tester kriege man schließlich nicht mit. Die Tester hätten wahrscheinlich vor seinem unscheinbaren Forsthaus gestanden und nicht viel erwartet, glaubt er. „Man kann auch mit einer Strandbude einen Michelin-Stern bekommen“, erklärt Pilger.

Gerade dieser Kontrast sei für die Tester reizvoll: „Wenn ich Küchenchef im Hilton gewesen wäre, hätte ich mit meinem Essen keinen Blumentopf von der Fensterbank gerissen“, sagt er. Der Moment, auf den andere Köche Jahrzehnte lang hinarbeiten, wird für Thomas Pilger zum Unglück – beruflich und privat. Mit dem Stern beginnt die schlimmste Zeit seines Lebens.

Kurze Zeit nach der Ehrung stirbt sein Kind

Kurze Zeit nach der Auszeichnung muss er den Tod seines gerade einen Monat alten Kindes verkraften. Ob er ohne die Trauer besser mit dem Druck umgegangen wäre, kann er rückblickend nicht sagen. „Die Geschichte wird einfach so geschrieben“, meint er heute. „Wir waren in den folgenden Jahren vollkommen überfordert und gar nicht darauf vorbereitet“, sagt der erfahrene Gastronom.

Einerseits habe die emotionale Belastung ihn geschafft, andererseits aber auch der Stress mit dem Restaurant, das mehr und mehr in den Fokus rückte. Thomas Pilger wurde in jener Phase auf einmal mit Starkoch Dieter Müller verglichen. Deswegen kamen andere Gäste als sonst, eben solche, die Sternerestaurants abklappern.

Forsthaus

Das Forsthaus Telegraph im Spicher Wald hat eine lange Tradition. Am 10. Juni öffnet es wieder nach der Pandemie-Pause.

Als der Michelinführer für das Jahr 1997 erschien, war Pilger erleichtert, dass der Stern ihm wieder aberkannt worden war. „Gott sei Dank!“ Doch dann hagelte es schlechte Kritiken. „Es wurde zum Beispiel geschrieben: »Wird er diesen Abstieg überstehen?«, erinnert er sich. Das habe ihn damals sehr belastet.

Doch Thomas Pilger ließ sich nicht unterkriegen. Er setzte darauf, seine Stammkundschaft mit guter Qualität zurückzugewinnen und auszubauen – mit Erfolg. Von Auszeichnungen und Einträgen in kulinarischen Reiseführern hält er sich seitdem fern.

Pilger verzichtete auf einen Lieferservice in der Pandemie

25 Jahre später steht der 59-Jährige in der Gaststube seines Restaurants. Der Lockdown hatte die Gastronomie lange fest im Griff, wie alle anderen musste auch Pilger schließen. Seit mittlerweile 32 Jahren führt er das Restaurant – doch so eine Zeit hat er noch nicht erlebt.

Sein Betrieb ist trotz der Schließung finanziell gut aufgestellt. Anders als viele konnte Thomas Pilger es sich leisten, auf einen Außer-Haus-Service zu verzichten. Ausliefern möchte er nicht. „Dann ist das Essen kalt und wird zuhause wieder aufgewärmt“, sagt er, „So stelle ich mir das nicht vor.“

Ein gutes Essen ist für ihn ein Gesamtpaket. Er ist ein Koch der klassischen Schule. Sein Handwerk lernte er in Hotelküchen. Im Bonner Regierungsviertel begann er Anfang der 80er Jahre seine Ausbildung im Hotel am Tulpenfeld unter einem französischen Küchenchef.

Dieser vermittelt ihm nach Ende der Lehre eine Stelle als Saisonkraft in einem Grand Hotel an der Côte d’Azur. In den folgenden Sommern kehrt Pilger jeweils für die Urlaubssaison nach Südfrankreich zurück. Das sei eine prägende Zeit gewesen, sagt er rückblickend. Außerhalb dieser Phasen arbeitete er in Köln im Intercontinental, dem heutigen Dorint-Hotel, und er arbeitete sich hoch. Danach ging er in die Schweiz , dort stand er kurz vor dem Sprung zum stellvertretenden Küchenchef. Doch es kam anders.

Pilger hatte sich schon früh dafür entschieden, dass er sich selbstständig machen würde. Er wartete nur auf die richtige Gelegenheit. Als ihn ein Bekannter aus Troisdorf fragte, ob er Interesse am Forsthaus habe, sah er seine Chance. Zusammen mit einem Freund übernahm er 1988 die Gaststätte und renovierte sie. Trotz der abgelegenen Lage bekamen die beiden viel Zuspruch.

Sie arbeiteten hart, gönnten sich keinen Ruhetag, das Gasthaus hatte ganztägig auf. „Das ging auf die Dauer nicht“, sagt Thomas Pilger heute. „Man kann ja nicht nur arbeiten.“ Der Kompagnon stieg nach eineinhalb Jahren aus. Danach stellte Pilger das Konzept des Gasthauses auf den Kopf.

Einen so harten Einschnitt habe es in der Geschichte des Forsthauses bis zum Lockdown nicht mehr gegeben. Das gehe auch anderen Gourmet-Restaurants so, meint Pilger. Bei vielen funktioniere das Geschäft nur, wenn es am Limit laufe, diese würden den Lockdown finanziell nicht überleben. Er glaubt, nur mit dem Forsthaus würde er heute nicht mehr über die Runden kommen.

Der „Heidekönig“ half in der Flaute

Doch er hat dazu den Heidekönig, den er vor mehr als zehn Jahren in einem Pferdestall neben dem Forsthaus als Biergarten eröffnete. In den heißen Tagen der vergangenen Saison zog der Heidekönig die Besucher in Scharen an, auch weil der Corona-Abstand auf der großen Wiese gut einzuhalten war.

Heidekoenig

An einem alten Pferdestall entstand vor mehr als zehn Jahren der Heidekönig-Biergarten mit großer Wiese. 

Deswegen war sein Pandemie-Sommer wirtschaftlich sogar relativ erfolgreich. Auch das Forsthaus hatte einen guten Lauf. Anders als sonst war das Restaurant auch dienstags und mittwochs ausgebucht.

In diesen Tagen bereitet sich Pilger auf die Öffnung nach der langen Pandemie-Pause vor. Der Heidekönig geht am 2. Juni an den Start, erste Buchungen für das Forsthaus sind ab 10. Juni möglich. Pilger ist mit dem Organisieren seiner Betriebe voll ausgelastet.

Deswegen kocht er im Restaurant schon länger nicht mehr selbst. Als wegen der Pandemie geschlossen war, hat sich aber etwas geändert: Nun steht er oft für seine Familie am heimischen Herd. „Ich probiere die tollsten Dinge aus“, sagt er. In diesen Momenten merke er: Koch ist immer noch sein Traumberuf.

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