Interview mt Michael Halfbas„ Pille danach verschreiben und Mund halten“

Dr. Michael Halbfas.
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Troisdorf – Herr Dr. Halbfas, haben Frauen in den Troisdorfer Kliniken vor der Freigabe der Pille danach durch Kardinal Meisner ein Rezept für diese Tablette bekommen?
Dr. Michael Halbfas: In Sieglar haben wir diese Rezepte in medizinisch geeigneten Fällen zunächst ausgestellt. Wie es bei den anderen Kliniken der Franziskanerinnen war, wusste ich nicht. Natürlich wusste ich aber sehr wohl vom offiziellen Verbot durch die katholische Kirche. Darauf habe ich reagiert – noch bevor in Köln die Denunziationen durch katholische Abtreibungsgegner bekannt wurden.
Sie haben einen Brief an das Bistum geschrieben.
Halbfas: Durch den Brief wollte ich Sicherheit für meine Mitarbeiter. Ich sah nicht ein, dass die das letztlich ausbaden mussten, etwa wenn sie nachts um vier Uhr vor der Entscheidung stehen, was sie tun sollen. Denn hätten sie ein Rezept ausgestellt und wären denunziert worden, hätten sie mit hoher Gewissheit ihren Job verloren. Schließlich gab es die Einschätzung von ganz oben, dass die Pille danach ein Tötungsdelikt ist und eine Verordnung in katholischen Häusern daher zu unterlassen sei.
Was passierte, nachdem Sie den Brief abgeschickt hatten?
Halbfas: Der Ethik-Beauftragte des GFO-Konzerns sagte mir intern, er sei völlig meiner Meinung und begrüße diese Initiative. Dann wurden auf höchster Konzernebene Beschlüsse gefasst, deren Inhalt aber geheim blieb. Es hieß von dort jetzt nur, die Dinge seien so kompliziert, dass man nicht darüber reden wolle.
Und was bedeutete das für Ihre Praxis in der Sieglarer Klinik?
Halbfas: Ich habe meinen Kollegen gesagt, dass die Konzernleitung sich nicht äußern wolle. Eine Kollegin, deren Vater Arbeitsrechtler ist, äußerte in unserer Runde, dass die Verschreibung der Pille danach zu einer fristlosen Kündigung führen könne. Daraufhin hat sich die ganze Abteilung – bis auf mich – dazu entschieden, keine Rezepte für die Pille danach mehr auszustellen.
Dann kam das Thema – ein knappes Jahr später – groß in die Medien, als Frauen die „Pille danach“ an katholischen Häusern in Köln verweigert wurde. Und schließlich hat der Kardinal die Pille erlaubt.
Halbfas: Es ist gut, dass der Kardinal die Position korrigiert hat. Aber Meisners Begründung war, dass es neue wissenschaftliche Erkenntnisse gebe. Das stimmt nicht. Es gab keine neue Sachlage.
Wie ging es in Sieglar weiter?
Halbfas: Nach den durch die Medien zu Recht skandalisierten Vorfällen in Köln, aber noch vor der Erklärung von Meisner, war der Druck auf die Kliniken groß. Es wurde sogar diskutiert, dass die katholischen Häuser aus den Versorgungsplänen des Landes herausgenommen werden könnten. Da hat dann die Konzernspitze öffentlich erklärt, in den GFO-Kliniken werde die Pille danach verschrieben. Der Vorstand des Konzerns sagte, das sei so mit den Gynäkologen besprochen. Das entsprach aber in keiner Weise den Tatsachen. Am folgenden Tag bekam ich sogar nochmals die Weisung, wir sollten auf keinen Fall Rezepte für die Pille ausstellen. Also zwei einander absolut ausschließende Aussagen! Das war mir zu viel, worauf ich per Anwalt eine Klarstellung vom Konzern verlangt habe. Zwei Tage danach kam die Erklärung von Meisner.
Muss man da einen Zusammenhang sehen?
Halbfas (lacht): Muss man nicht. Aber man kann. Denn es drohte durch meine Forderung nach einer Klarstellung eine Auseinandersetzung vor Gericht in der Frage der Pille danach. Ich wollte Klarheit, welche arbeitsrechtlichen Konsequenzen deren Verschreibung für uns Ärzte haben würde. Dann wurde ich in die Konzernzentrale nach Olpe gebeten. Dort signalisierte man mir ebenfalls inhaltliche Übereinstimmung. Der Konzernchef sagte jedoch, man dürfe nicht darüber reden. Also Pille danach verschreiben und den Mund halten. Er sagte außerdem, der Konzern wolle sich – auch wenn ich in der Sache recht hätte – von mir nicht treiben lassen und sei mir gerne bei der Suche nach einem neuen Job behilflich. Dann kam die Ankündigung, ich würde nun so lange schikaniert, bis ich von mir aus kündigte.
Dr. Michael Halbfas, geboren 1960 in Köln, studierte zunächst Theologie, bevor er sich der Medizin zuwandte. Das Staatsexamen machte er 1990 an der Universität Bonn, die Promotion über Blutbildveränderungen bei HIV-positiven Hämophilen folgte 1993. Assistenzarzt für Gynäkologie und Geburtshilfe im Sankt Johannes Krankenhaus Troisdorf-Sieglar, dort ab 1997 Oberarzt und von 2009 bis 2013 Leitender Arzt. Seit 2014 ist Halbfas niedergelassener Arzt in Sankt Augustin.
In einem neuen Buch berichtet er über seine Erfahrungen mit den katholischen Krankenhäusern in Troisdorf. Und über seine Kritik, dass die christliche Überzeugung zum PR-Faktor verkomme. Halbfas musste seine Stelle als leitender Gynäkologe am Krankenhaus in Sieglar aufgeben, nachdem er Klarheit von seinem katholischen Arbeitgeber über den Umgang mit der Pille danach gefordert hatte.
Er wollte wissen, ob die Ärzte diese Pille verschreiben dürfen. Doch er bekam widersprüchliche Anweisungen. Und die Ansage, dass man ihn nicht mehr haben wollte – obwohl der Kardinal seine Position bestätigte.
Die Pille danach: Durch eine relativ hoch dosierte Hormongabe kommt es zur Hemmung der Reifung der Eizelle und damit zu einer Verzögerung des Eisprungs. Dadurch kann eine Befruchtung der Eizelle nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr mit recht hoher Sicherheit verhindert werden.
Die Franziskanerinnen zu Olpe (GFO) betreiben die beiden Krankenhäuser in Troisdorf sowie die beiden GFO-Kliniken in Bonn. Der Konzern beschäftigt in 40 Einrichtungen mehr als 8000 Mitarbeiter. Der Slogan lautet „Ja zur Menschenwürde“.
Wie sahen diese Schikanen aus? Sie waren immerhin Leiter der Gynäkologie in Sieglar.
Halbfas: Erst einmal wurde mir per Anwalt mitgeteilt, ich sei quasi wieder auf Oberarztniveau zurückgestuft. Zudem wurde von mir verlangt, alle Bereitschaftsdienste, die ich bis dahin immer von zu Hause aus geleistet hatte, durchgehend im Krankenhaus zu verbringen. Da war mir klar: Ohne Unterstützung von oben kann ich meine Position an dem Haus nicht mehr halten. So konnte ich nicht leben. Hinzu kam, dass ich auch in Bezug auf die zunehmende Ökonomisierung und Standardisierung der Medizin ganz eigene Vorstellungen hatte und in Sieglar verwirklichen wollte.
Herrschen denn an den katholischen Kliniken dieselben Zwänge für Ärzte, möglichst gewinnbringend zu arbeiten, wie an den privaten Krankenhäusern?
Halbfas: Die katholischen Kliniken stehen unter demselben Druck wie die privaten und kopieren deren Konzepte: Outsourcing, Hungerlöhne für Putzkräfte, die Pflege wird ausgedünnt. Es gibt zwar noch einen Unterschied der katholischen zu den privaten Häusern. Aber der kommt zum Teil leider nur dadurch zustande, dass man die Leute ausbeutet mit Hilfe der Ideologie. Man verlangt von den Mitarbeitern Werke der Nächstenliebe und macht sich diese selber ökonomisch nutzbar. Das Christentum als Promotion-Faktor – das geht nicht. Dann muss es schon ein echtes christliches Konzept sein. Das konnte ich aber nicht in der erforderlichen Schärfe erkennen.
Werden auch in GFO-Kliniken unnötige Operationen durchgeführt?
Halbfas: Das betrifft die Medizin allgemein, völlig unabhängig vom Träger. Ich habe mir aber einen Ruf bei den niedergelassenen Kollegen erworben, anders zu sein und sie haben mir zunehmend auch problematische Patienten zugewiesen. Obwohl man uns in Sieglar 2009 die OPs der Mamma-Karzinome wegnahm, konnte ich die Zahlen stabil halten – und ich habe schon damals keine überflüssigen OPs durchgeführt. Ich wollte einfach, dass man mich das so machen lässt. Man hat mich aber nicht gelassen.
Welchen Nachteil hat denn der einzelne Patient von der Zentralisierung, wie sie auch die GFO-Kliniken vornehmen?
Halbfas: Sie bekommen dadurch eine Medizin, die mehr wie ein Fließband abläuft. Die Persönlichkeiten werden geschleift, Sie sind zunehmend gehalten, sich an bestimmte Behandlungspfade de zu halten – auch wenn sie für manche Patienten gar nicht passen. Am Ende solcher Pfade kommen dann oft Ergebnisse heraus, die zwar fragwürdig sind, aber nicht mehr hinterfragt werden. Und die Einbeziehung ethischer Werte kann dabei auch völlig in den Hintergrund geraten. Als Qualitätskriterium gilt es dann eher, ob das, was man tut, so ist wie der Durchschnitt dessen, was die anderen machen. Medizin hat für mich aber viel mit der Beziehung des einzelnen Patienten zum Arzt zu tun.
Gibt es solche Tendenzen auch in Sieglar?
Halbfas: Das Haus in Sieglar strebt eine Zertifizierung nach DIN ISO an. Das ist aus der Industrie übernommen. Nur wird das Wort „Kunde“ für die Anwendung im Gesundheitswesen durch das Wort „Patient“ ersetzt. Das Verhältnis des Arztes zu seinen Patienten ist aber nicht vergleichbar mit der Beziehung zu einem Kunden. Patienten, die nicht souverän sind wie Kunden(und das können Patienten meistens ja gar nicht sein), gehen in diesem System unter. Da müssten die katholischen Häuser wirklich versuchen, andere Wege zu gehen.
Das Gespräch führte Johannes Schmitz