Im SeptemberKünstler Marc Kirschvink aus Troisdorf organisiert die „Artlokal“

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Grafische Formen sollen zur musikalischen Interpretation anregen. 

Troisdorf – Der große, schräg gekippte Tisch im Atelier fällt sogleich auf. Marc Kirschvink hat daran eine Apparatur montiert, mit der er exakt seine schnurgeraden Linien auf die Leinwände ziehen kann. „Ligne droite“ heißt denn auch seine neue Serie, die abstrakte, vibrierende Muster aus Tausenden farbigen Linien zeigt.

Kirschvink stammt aus Ostbelgien, wuchs in der deutschsprachigen Gemeinschaft auf. In der Schule gehörten Französisch oder Flämisch zum Pflichtprogramm. „Wir sind die am besten geschützte Minderheit in Europa“, sagt der gebürtige Eupener. „Mit eigener Verwaltung für die 80.000 Bewohner, und mit eigener Kunstsammlung.“ In der ist auch der 55-Jährige mit Arbeiten vertreten. „Dort bin ich bekannter als im Rheinland“, sagt Kirschvink, der seit langem mit Frau und Tochter in Sankt Augustin lebt.

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Ein Linienbild   Marc Kirschvink, der sein Atelier im Kunsthaus Troisdorf hat.  

Vor sieben Jahren bezog er sein Atelier im Kunsthaus Troisdorf und hat seitdem an zahlreichen Ausstellungen teilgenommen. Längst pflegt Kirschvink ein großes Netzwerk, auf das er auch zurück greift, wenn er die „Artlokal“ organisiert. Die kleine Kunstmesse findet erneut vom 9. bis 11. September in Windeck statt. „Eine kunterbunte Mischung aus der lokalen Szene und Künstlern, die von auswärts kommen“, schildert der Kurator.

Ungeliebte Wandbilder

Eigentlich hatte Marc Kirschvink in den elterlichen Stukkateur-Betrieb einsteigen sollen. Doch der kunstsinnige Sohn rang der Familie den „Kompromiss“ eines Studiums zum Diplom-Illustrator an der Fachhochschule in Lüttich ab. In seinen ersten Jobs malte er Früchte für Konfitürenhersteller.

„Es war die Zeit, als in der Werbebranche noch gezeichnet und geklebt wurde“, erinnert sich Kirschvink, der auch für Illusionen anderer Art zuständig war: Zehn Jahre lang pinselte er für eine Firma monumentale Wandbilder in Privathäusern, vor allem maritime Sehnsuchtsorte rund ums Schwimmbad.

„Zypressen, Pinien, Balustraden, blauer Himmel, blaues Meer. Jede Woche eine andere Côte d’azur“, so beschreibt er lapidar die lukrativen Aufträge, die ihn durch ganz Europa führten.

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Ein schräg gestellter Tisch hilft Marc Kirschvink beim präzisen Setzen der Linien.  

Ein Schweizer Medienunternehmer ließ sich fast das ganze Haus gestalten: So blickten etwa von der Decke im Partykeller die Freunde des Hausherrn als römische Wagenlenker herunter. Technisch durchaus anspruchsvoll, wenngleich – so Kirschvink – „gigantischer Kitsch“, der ihm schließlich Magenbeschwerden verursachte.

Werke schon für 50 Euro

Die „Artlokal“ in der Windecker Halle Kabelmetal findet vom 9. bis 11. September zum 8. Mal statt. Marc Kirschvink hat diese Verkaufsplattform gegründet, „für Künstlerinnen und Künstler vor allem aus der Region, die auf den großen Messen keine Chance haben“.

Für eine Standgebühr von 190 Euro sollen sie ihre Arbeiten in einer schönen Atmosphäre und mit professionellem Anspruch präsentieren. Die Teilnehmer vergangener Veranstaltungen können Neulinge vorschlagen, die Auswahl trifft Marc Kirschvink als Kurator.

41 Künstlerinnen und Künstler sind in diesem Jahr dabei, die Preisskala für Malerei, Skulpturen und Objekt liegt zwischen 50 und 4000 Euro. Vernissage ist am Samstag von 19 bis 22 Uhr, am Wochenende ist die Messe von 11 bis 18 Uhr geöffnet. (as)

Als vor 16 Jahren seine Tochter geboren wurde, habe er den Absprung geschafft. Ein Grafikerjob einige Wochen im Jahr sichert Kirschvink die Existenz. Und in diesem Zusammenhang erinnert er daran, „dass nur drei Prozent aller bildenden Künstler von ihrer Kunst leben können“.

Henneferin Galeristin Sassen machte Serie bekannt

Kirschvink selbst wird von einer Galerie in Ostbelgien und hierzulande von Luzia Sassen in Hennef vertreten, die jüngst seine Serie „Ligne droite“ bekannt machte. Er arbeitet gern in Serien, und es war der eigene Nachwuchs, der ihn zu den ersten Bilderreihen inspirierte. „Nach Ada“ variierte die ersten kindlichen Kritzeleien; die wackligen Kreise, die Kopffüßler wuchsen sich zu zeichenhaften Informelbildern aus.

Inzwischen ist Kirschvinks Bildsprache konstruktivistischer geworden, doch der Abstraktion blieb er treu. Und seinem E-Bass ebenfalls, den er seit der Jugendzeit in diversen Rockbands spielte. „Bei der »Open Scene« in Troisdorf bin ich irgendwann schüchtern mit meinem Instrumentenköfferchen angerückt und habe mich zunächst gar nicht getraut mitzuspielen.“

Doch dann sprach ihn der Gitarrist Sven Axer an und nahm den Bassisten in seine Band auf. Zwar hört er bei der Arbeit im Atelier auch gern Musik; „das entspannt und hilft mir, gerade wenn ich stundenlang nur Linien ziehe“. Doch geht Kirschvink auch den umgekehrten Weg: Seine Acrylbilder inspirieren das Jazz-Quartett Kadrasonic um Landsmann Christian Klinkenberg am Piano zu eigenen Klangerfindungen; „spontaner und vielleicht auch natürlicher als die Arbeit mit traditioneller Notation“, urteilt der Maler.

Über Flächen in sattem Grün oder Blau wandern Kürzel, Kurven, Zickzacklinien, breiten sich Tropfenformen oder Gebilde aus, die an Einzeller erinnern. Kirschvink hat inzwischen auch komplette Partituren mit einer eigenen Farbenlehre entwickelt, die das Quartett interpretieren kann. Das Ergebnis ist auf einer CD zu hören, die 2016 herauskam.

Drei Jahre später gipfelte die Zusammenarbeit mit dem Komponisten in einem spektakulären Projekt: Klinkenbergs Oper „Der Gletscher“ wurde als multimediales Ereignis in Ostbelgien, Brüssel und New York gefeiert, die visuellen Vorgaben Kirschvinks wiederum würdigte die Kritik als eigenständige Kunst.

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