Urteil in Aachen40-Jähriger an Transporter gebunden und mitgeschleift

Die Angeklagten und ihre Anwälte Martin Mörsdorf (hinten) und Kubilay Secme (vorn) warten auf den Beginn ihres Prozesses.
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Aachen – Vom Vorwurf des versuchten gemeinschaftlichen Totschlags hat die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Aachen am Donnerstagvormittag zwei Handwerker freigesprochen. Wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung, Raub und versuchter Nötigung wurden sie aber zu jeweils vier Jahren und sechs Monaten Freiheitsentzug verurteilt.
Hinter Transporter hergezogen
Die beiden Männer aus Euskirchen und Meckenheim waren angeklagt, im Frühjahr nach einem Trinkgelage in Euskirchen einen 40-jährigen Mann aus Kuchenheim an die Urfttalsperre verschleppt zu haben. Dort sollen sie diesen misshandelt sowie an einem Seil hinter einem fahrenden Transporter hergezogen haben. Das Opfer war erst Stunden nach der Tat in dem entlegenen Waldgebiet gefunden worden und musste mehrfach notoperiert werden, weil es lebensgefährliche Verletzungen erlitten hatte.
Extreme Gewalteskalation
Am Donnerstagvormittag prallten die unterschiedlichen Bewertungen zu den Ereignissen vom 6. April aufeinander. Staatsanwältin Melissa Hilgers sah nach Ende der Beweisaufnahme den Tatbestand des versuchten Totschlags erfüllt. Es habe eine extreme Gewalteskalation gegeben, bei dem die beiden Angeklagten den Tod des Opfers für möglich gehalten hätten. Dass man den 40-jährigen Euskirchener in hilfloser Lage im Wald zurückgelassen habe, sei eine weitere Manifestation des Tötungsvorgangs gewesen.
Acht Jahre Haft gefordert
Nach ihrer Einschätzung bleibe es beim gemeinschaftlich versuchten Totschlag und gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung. Sie forderte wegen der Schwere der Tat für beide bislang unbescholtenen Angeklagten Freiheitsstrafen von jeweils acht Jahren.
Lücken in den Ermittlungen
Ganz anders Verteidiger Martin Mörsdorf, der den in Euskirchen wohnenden Angeklagten vertrat. In seinem Plädoyer bezweifelte er die Fakten, denen die Anklage zugrunde lag. Mörsdorf: „Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft ist kein in Stein gemeißeltes Wort Gottes, sondern lediglich eine Arbeitshypothese.“ Er kritisierte, dass viele seiner Beweisanträge nicht umgesetzt und viele Ermittlungswege nicht beschritten worden seien.
Verschiedene Versionen der Tatnacht abgeliefert
Das Opfer habe das Gericht belogen und neun verschiedene Versionen der Tatnacht abgeliefert. Selbst der Vorsitzende Richter habe, so Mörsdorf, habe dem Zeugen vorgehalten, er erzähle „Bullshit“. Zudem habe das Opfer zwölf Stunden nach der Tat noch extreme Drogenwerte im Blut gehabt.
Im Übrigen habe eine Rechtsmedizinerin keinesfalls derart schlimme Verletzungen festgestellt, wie behauptet. Wäre das Opfer tatsächlich 500 oder auch nur 300 Meter über einen Asphaltweg gezogen worden, so Mörsdorf, dann hätte sich seine Kleidung in die Haut eingebrannt.

Vorsitzender Richter Roland Klösgen.
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Ungeklärt sei auch, warum es nachts mehrfach Handykontakte zwischen den Angeklagten gegeben habe, und welche Rolle ein Zeuge spiele, der, um sich nicht selbst zu belasten, seine Aussage verweigert hatte. Mörsdorf forderte Freispruch für seinen Mandanten.
Auch Rechtsanwalt Kubilay Secme, der Verteidiger des Meckenheimers, bezeichnete die Glaubwürdigkeit des Zeugen als zweifelhaft. Es gebe zeitliche Lücken im Ablauf der Tatnacht und deshalb sei ein Freispruch für seinen Mandanten angesagt.
Keine Tötungsabsicht
Nach knapp dreistündiger Beratungspause verkündete der Vorsitzende Richter Roland Klösgen das Urteil der Schwurgerichtskammer. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass es die Misshandlung des 40-Jährigen gegeben habe. Doch aus den massiven Schlägen – auch mit einem dicken Ast auf den Rücken und den Brustkorb des 40-Jährigen– könne man keine Tötungsabsicht nachweisen, so Klösgen.
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Obwohl dies Rippenbrüche und damit eine Verletzung der Lunge hervorgerufen habe. Unstrittig sei, dass die beiden Angeklagten und das spätere Opfer gemeinsam an einer Tankstelle für fast 100 Euro Wodka, Bier, Zigaretten und andere Alkoholika gekauft habe. Unstrittig sei auch, dass das Trio irgendwann an die Urfttalsperre gefahren sei, um dort möglicherweise ein Rauschgiftgeschäft abzuwickeln.
Seil um den Bauch gebunden
Die Kammer gehe davon aus, dass das Opfer mit einem Seil um den Bauch hinter dem Transporter hergezogen worden sei. Doch er habe bei dieser Schilderung stark übertrieben. Es seien höchstens ein paar Meter auf einer begrünten Freifläche gewesen. Waldwege in der vom Opfer beschriebenen Länge gebe es dort nicht. Und die Drohung, wenn er die zwei verpfeife, werde man ihn finden oder sich an seine Mitbewohner halten, mache nur dann Sinn, wenn man glaube, der Verprügelte überlebe die Tat.
Gericht sah keine Fluchtgefahr
Dass man den Schlüsselbund des Opfers im Transporter des Euskirchener gefunden hatte, nicht aber das Handy, spreche für Raub als Nebeneffekt der Abrechnung an der Urfttalsperre. Ebenso die Tatsache, dass die Kleidung des Opfers durchsucht worden war. Das Schwurgericht sah keine Fluchtgefahr und hob die Haftbefehle gegen die beiden Angeklagten auf.