„Felsenfeste“ Freundschaft?In Russland kommt kaum Geld aus China an

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Putin und Jinping

Der chinesische Präsident Xi Jinping (r) und der russische Präsident Wladimir Putin.

So unversöhnlich sich Wladimir Putin derzeit gegenüber den USA und der Europäischen Union gibt, so gefällig verhält er sich im Verhältnis zu China: Beim letzten Telefonat zwischen ihm und seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping im Juni sicherte Putin seinem Gegenüber laut chinesischem Außenministerium zu, „die multilaterale Zusammenarbeit mit China zu verstärken und konstruktive Anstrengungen zur Förderung einer multipolaren Welt und zum Aufbau einer gerechteren und vernünftigeren internationalen Ordnung zu unternehmen.“

Das russische Präsidialamt sagte der Nachrichtenagentur Afp damals, dass China und Russland ihre Zusammenarbeit unter anderem in den Bereichen Energie, Finanzen, Industrie und Transport verstärken wollten. Putin und Xi hätten außerdem über „die Entwicklung der militärischen Beziehungen“ gesprochen. Die Zusammenarbeit zwischen beiden Seiten solle „angesichts der weltweiten Wirtschaftssituation, die sich durch die unrechtmäßigen Sanktionen des Westens verkompliziert hat“, verstärkt werden.

China betont zwar auch die „felsenfeste“ Freundschaft zum Kreml. Aber jenseits solcher Lippenbekenntnisse ist das Handeln Pekings von einem Pragmatismus geprägt, den Moskau als Reserviertheit empfinden muss. So streicht die Volksrepublik stets heraus, im Ukraine-Konflikt neutral zu sein. Beim Asiatischen Sicherheitsgipfel in Singapur im Juni bekräftigte der chinesische Verteidigungsminister Wei Fenghe, dass China seit Beginn der militärischen Eskalation in der Ukraine keine Waffen nach Russland geliefert habe.

„Neue Seidenstraße“ in diesem Jahr bislang ohne Russland

Die Sanktionen des Westens gegen Russland lehnt China zwar ab, aber wenn es darum geht, die Strafmaßnahmen für die russische Wirtschaft abzumildern, hält sich die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt auffällig zurück: Chinesische Hi-Tech-Produkte, wie Halbleiter, Computer, Industrieanlagen, Autos und so weiter, die angesichts der internationalen Sanktionen und des Rückzugs der meisten westlichen und japanischen Marken in Russland dringend gebraucht würden, werden laut einer Studie des „Peterson Institute for Economics“ aus Washington D.C. nun keineswegs in deutlich höherem Umfang in Russland eingeführt.

Schlimmer noch: Chinesische Technologieunternehmen haben ihre Präsenz in Russland reduziert. Im Juni 2022 schloss der IT-Riese Huawei vier seiner 19 offiziellen Verkaufsstellen in russischen Städten. Andere große chinesische Hersteller von Smartphones und Computern – Xiaomi, Oppo, Lenovo – haben ihr Produktangebot ebenfalls reduziert.

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Ein Ausdruck dieser reservierten Haltung scheint nun das Ergebnis einer Studie zu sein, das Anfang der Woche von der „Financial Times“ (FT) veröffentlicht wurde. Demnach sei das „Green Finance & Development Center“ an der Fudan Universität in Shanghai zu dem Ergebnis gekommen, dass erstmals seitdem die chinesische Initiative „Neue Seidenstraße“, die im Jahr 2013 angestoßen wurde, in diesem Kalenderjahr bislang keinerlei chinesische Investitionen in Russland im Rahmen dieses Programmes erfolgt seien.

Es drohen sekundäre US-Sanktionen

Wie Christoph Nedopil Wang, Direktor des Centers, der FT sagte, halte er es für möglich, dass diese Zurückhaltung mit der Angst Chinas zu tun haben könnte, durch „sekundäre Sanktionen“ der USA getroffen zu werden. Wang spielt damit auf die Praxis Washingtons an, Länder, die mit einem sanktionierten Land wie Russland weiterhin wirtschaftliche Beziehungen unterhalten, ebenfalls abzustrafen.

Im Falle Chinas würde das bedeuten, dass sich chinesische Firmen womöglich vom amerikanischen Markt zurückziehen müssten, der für sie in aller Regel erheblich bedeutender ist als der russische. Weitere US-Strafmaßnahmen könnten auch mit sich bringen, dass chinesische Hi-Tech-Unternehmen wie Huawei oder Xiami nicht mehr mit amerikanischen Einzelkomponenten beliefert würden, die sie dringend für ihre Produkte benötigen.

Wang wollte aber auch nicht ausschließen, dass Chinas Zugeknöpftheit in Sachen „Neue Seidenstraße“ in Russland nur vorübergehender Natur ist.

Tatsächlich könnte es sein, dass dem „Reich der Mitte“ gerade einfach nur das Geld für große Infrastrukturprojekte beim nördlichen Nachbarn fehlt: Die Null-Covid-Strategie hat die Volksrepublik an den Rand einer Rezession getrieben.

Rohstoff-Deals en vogue

Dagegen spricht allerdings, dass Peking sein Seidenstraßen-Engagement in Saudi-Arabien in diesem Jahr ausgebaut hat: Die Volksrepublik tätigte im Wüstenstaat in den ersten sechs Monaten 2022 Investitionen in Höhe von 5,5 Milliarden Dollar, wodurch Saudi-Arabien in diesem Jahr bislang die meisten „Seidenstraßen“-Gelder erhielt.

Seit 2014, als Russland die Krim annektierte, lagen Chinas BRI-Investitionen in Russland in vier Jahren (2014, 2015, 2017 und 2019) bei deutlich über sechs Milliarden Dollar und in den restlichen vier Jahren bei zwei bis drei Milliarden Dollar. Im Gesamtjahr 2021 war der Irak mit 10,5 Milliarden Dollar größte Empfänger der Investitionen. Die Intensivierung der Anstrengungen in Saudi-Arabien und Irak zeige, dass man sich auf Rohstoff-Deals konzentriere, sagte Nedopil Wang der FT.

Die „Neue Seidenstraße“ ist als Projekt zum Auf- und Ausbau interkontinentaler Handels- und Infrastruktur-Netze zwischen der Volksrepublik und mehr als 60 Staaten in Afrika, Asien und Europa angelegt, was von der Modernisierung von Hafenanlagen über die Verbesserung von Schienenwegen und der Digitalisierung von Kommunikationswegen reicht.

Chinas Zielsetzung bei dieser Kampagne ist also sehr breit angelegt. Wenn sich Peking bei dieser weiten Lesart der Initiative nun auf Rohstoffe konzentriert, wie Wang sagt, wirkt es umso erstaunlicher, dass die Volksrepublik derzeit ausgerechnet in Russland nicht investiert.

Viel Kraft soll aus Sibirien nach China kommen

Denn es ist offensichtlich, dass China von den Preisabschlägen profitieren will, die Russland dem Land für fossile Rohstoffe anbietet, um die Einnahmeausfälle wegen der westlichen Rohstoffembargos zu kompensieren. So ist die Volksrepublik inzwischen der weltweit größte Importeur von russischem Rohöl, für das ihr der Kreml einen Abschlag von 30 Dollar pro Barrel gegenüber den Weltmarktpreisen gewährt.

Nach einer Erhebung der finnischen Denkfabrik „Center for Research on Energy and Clean Air“ (CREA) hat China seit dem Ausbruch der Kampfhandlungen in der Ukraine Rohöl im Wert von circa sechs Milliarden Dollar aus Russland importiert, während dieser Wert in Deutschland bei nur noch circa zwei Milliarden Dollar lag.

Doch Rohöl ist vergleichsweise leicht zu verfrachten, weil der Transport auch über Tanker möglich ist. Um auch an das billige Gas aus Russland zu kommen, das der Westen wegen der Ukraine-Krise trotz gut ausgebauter Pipeline-Systeme wie „Nord Stream 1″ oder die „Jamal“-Leitung nicht mehr beziehen will, müsste China nun schnell in neue Gaspipelines investieren.

Über die Pipeline „Kraft Sibiriens“, die 2019 in Betrieb genommen wurde, strömt bereits Gas aus der russischen Teilrepublik Jakutien nach Nordostchina – zu Konditionen, die nur für Belarus günstiger sind. Eine zweite Pipeline „Kraft Sibiriens 2″, über die westsibirisches Gas nach China gelangen soll, ist seit September 2020 in Planung, aber in diesem Jahr war sie bislang offensichtlich kein vorrangiges Infrastrukturprojekt der Volksrepublik.

„Neue Seidenstraße“ oft unrentabel

Eine Erklärung für diese Zögerlichkeit könnte in den Erfahrungen liegen, die China bisher mit der „Neuen Seidenstraße“ gemacht hat. Denn viele Investitionen erwiesen sich als unrentabel. Jüngstes Beispiel sind die Aktivitäten im Empfängerstaat Sri Lanka, der nach politischen Unruhen im Mai seine Staatsanleihen nicht mehr bedienen konnte. China muss befürchten, dass es das dort investierte Geld nie zurückbekommen wird. Auch das „Seidenstraßenland“ Pakistan steht derzeit am Rande einer Staatspleite.

„Die wirtschaftliche und politische Instabilität steigt derzeit global an“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Gunther Schnabl von der Universität Leipzig im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Damit läuft China Gefahr, dass viele Kredite, mit denen das Land weltweit Investitionen finanziert hat, ausfallgefährdet sind. Deswegen dürfte die Volksrepublik mit weiteren Investitionen vorsichtig sein, zumal in einem Staat wie Russland, der gerade ein anderes Land überfallen hat. Dort investiert man derzeit besser nicht.“

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