Joe Biden vor Glabwürdigkeitsproblem?Jagdsaison im Washingtoner Sumpfgebiet ist eröffnet

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Präsident Joe Biden hört zu, als der japanische Premierminister Fumio Kishida während eines Treffens im Oval Office des Weißen Hauses spricht.

Joe Biden liefert den Republikanern Munition für deren Sabotage und Versuche die Regierung zu diskreditieren.

Die neue rechte Mehrheit im US-Repräsentantenhaus kann gesetzgeberisch wenig bewegen. Deshalb konzentrieren sich die Republikaner ganz darauf, die Regierungspolitik zu sabotieren und den Präsidenten zu attackieren.

Etwas hat sich verändert auf dem Washingtoner Kapitolshügel. Man spürt es schon, wenn man das Longworth-Bürogebäude betritt und sich von dort durch das  Labyrinth unterirdischer Gänge zum Plenarsaal im Südflügel des Kongress-Tempels vorarbeitet.

„Yes! We're open“ verkünden jetzt rote Schilder an den Türen vieler Abgeordnetenbüros - ein Hinweis auf die angeblich neue Transparenz und die Abschaffung aller Corona-Restriktionen durch die frisch vereidigte republikanische Parlamentsmehrheit. Aus einigen Zimmern dringt ein ungewohnter Zigarrengeruch nach draußen, seit zum Jahresanfang das Rauchen erlaubt wurde. Der größte Auftrieb aber herrscht vor Raum 1117, wo Reporter und Fotografen auf den prominentesten republikanischen Parlamentsneuling warten: Er heißt George Santos und hat seine Herkunft, seine Religion und seinen gesamten beruflichen Werdegang frei erfunden.

Extreme „Make America Great Again“-Agenda im Kongress laut Demokraten

Am Eingang des großen Sitzungssaals des Repräsentantenhauses sind die Metalldetektoren abgebaut worden. Man könnte jetzt also unbemerkt mit einer Waffe in den Saal marschieren. Drinnen sind die meisten Bänke nach dem chaotischen Wahlmarathon in der Auftaktwoche jetzt leer. Davon unbeeindruckt peitscht der neue Sprecher des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy mit einem schwindelerregenden Tempo neue Geschäftsordnungen, Gesetzesinitiativen und Ausschüsse durch.

„Am Montag haben die Republikaner ein Gesetz eingebracht, das den Vermögenden helfen soll, bei ihren Steuern zu betrügen und so den Lifestyle der Reichen und Schamlosen unterstützt. Am Dienstag wurde ein Ausschuss eingesetzt, um die Justiz zu behindern und Aufrührer zu beschützen. Am Mittwoch haben sie klar gemacht, dass sie alles tun werden, um ein bundesweites Abtreibungsverbot durchzusetzen“, lässt Hakeem Jeffries, der Fraktionschef der Demokraten, die erste Wochenhälfte Revue passieren. Die neue Mehrheit, warnt er in Anspielung auf Donald Trumps Slogan „Make America Great Again“, treibe eine „extreme MAGA-Agenda voran“.

Diskreditierung und Amtsenthebung von Biden stehen auf der Agenda

Handlungsfähigkeit beweisen und die rechten Mobilisierungsthemen bedienen - das sind die Maximen der neuen, mit 222 zu 212 Stimmen denkbar knappen rechten Mehrheit. Freilich werden die meisten gesetzgeberischen Aktivitäten, die die Republikaner derzeit entfalten, symbolisch bleiben, weil sich der demokratisch dominierte Senat und das Weiße Haus querstellen. Dort dürfte sowohl eine bundesweite Verschärfung des Abtreibungsrechts wie auch die drastische Kürzung des Budgets ohnehin notorisch unterfinanzierten Steuerbehörde IRS gestoppt werden.

Je weniger die Republikaner an konkreten Reformen hinbekommen, desto mehr setzen sie auf ihren Kulturkampf, der auch die inhaltlichen Differenzen der Fraktion zu überdecken hilft. Der Kampf gegen den von Verschwörungsideologen dämonisierten „Washingtoner Sumpf“, die Zerstörung der vorgeblichen linken Meinungsdiktatur sowie die Diskreditierung und Amtsenthebung von Joe Biden stehen ganz oben auf der rechten Agenda.

Der gelernte Marketingmann McCarthy, 57 Jahre alt und stets frisch geföhnt, hat im Parlament im letzten Vierteljahrhundert schon hinter vielen Büschen gesessen. Nach dem Kapitolsturm vom 6. Januar 2021 schlug sich der Karrierist auf die Seite von Donald Trump, dem er seine demonstrative Aufwartung in dessen Golfclub Mar-a-Lago machte. Nach einer weiteren tiefen Verbeugung vor den rechtsextremen Rebellen in den eigenen Reihen in der vorigen Woche leitet er nun eine Mission, die auf die Blockade möglichst vieler Biden-Vorhaben und die Dauer-Attacke der Regierung durch zahllose Untersuchungsausschüsse hinausläuft.

Utopische Streitigkeiten um Staatskredite

Die Lunte für den wohl dramatischsten Showdown bei der demnächst fälligen Anhebung der Schuldenobergrenze hat McCarthy schon gelegt. Eigentlich ist der öffentliche Streit über die neuen Staatskredite ein Ritual, das sich alle paar Jahre wiederholt und kurz vor Toresschluss beigelegt wid. Doch dieses Mal fühlt es sich anders anders. Die Fraktions-Rechten haben McCarthy die feste Zusage abgehandelt, dass jede Anhebung der Schuldengrenze mit massiven Kürzungen einher gehen muss und zudem die nicht gesetzlich vorgeschriebenen Ausgaben den Stand von 2022 nicht übersteigen dürfen. Das ist völlig utopisch. Die Demokraten bräuchten bei den Wahlen in zwei Jahren gar nicht mehr anzutreten, wenn sie den erforderlichen brutalen Billionen-Kahlschlag bei den Sozial- und Gesundheitsleistungen im Senat mittragen würden.

Wenn sich aber das Repräsentantenhaus, der Senat und der Präsident nicht einigen, wird voraussichtlich in diesen Sommer der größten Wirtschaftsnation der Welt das Geld auszugehen. Ein dramatischer Zahlungsausfall und eine globale Finanzkrise wären die Folgen. Doch Trump und seine Verbündeten schreckt das nicht. „Dem zuzuschauen, wird eine wunderbare und beglückende Sache sein“, fabulierte der Ex-Präsident kürzlich auf seiner Propaganda-Plattform Truth Social. Und Sean Hannity, der prominenteste Fox-News-Moderator, nahm Parlamentschef McCarthy am Mittwochabend bei einem Interview regelrecht in die Zange: Er dürfe bei diesem „Angsthasenspiel“ bloß nicht nachgeben.

Kritiker befürchten Hexenjagd

Mit ähnlich harten Bandagen gehen die Republikaner auch bei der Einrichtung von Untersuchungsausschüssen vor. Deren Aufgaben stehen schon vor dem Beginn der eigentlichen Arbeit fest: Sie sollen nicht nur die Missstände an der Grenze zu Mexiko und  das Versagen der Biden-Regierung beim Afghanistan-Abzug offenlegen. Ein Gremium will den renommierten Immunologen Anthony Fauci für die behauptete Freisetzung des Coronavirus in einem Labor verantwortlich machen, ein anderes die Verwicklung des Präsidenten in die tatsächlich nicht unproblematischen Geschäftsaktivitäten seines zeitweise drogensüchtigen Sohnes Hunter nachweisen.

Die dramatischste Wirkung aber dürfte der Ausschuss zur Untersuchung der vermeintlichen politischen Instrumentalisierung der Justiz entfalten, der von dem radikalen Wahlleugner und glühenden Trump-Fan Jim Jordan geleitet wird und praktisch unbegrenzte Kompetenzen von der Vorladung anderer Politiker bis zur Herbeiziehung brisantester Geheimdienst-Unterlagen hat. Kritiker befürchten eine Hexenjagd wie zu Zeiten des Kommunistenjägers Joe McCarthy während des Kalten Krieges.

Ausgerechnet der Präsident persönlich hat mit der „Garagen-Affäre“ um unsachgemäß gelagerte Verschlusssachen seinen Gegnern nun die beste Munition geliefert. Eigentlich hatte Joe Biden einen schlauen Plan, wie er das parlamentarische Sperrfeuer der Rechten kontern wollte: Einerseits verstärkte er das Juristenteam im Weißen Haus und geht mit harrscher Kritik an den „radikalen MAGA-Republikanern“ zunehmend in die Offensive. Gleichzeitig reist er durchs Land und vermarktet die politischen Erfolge seiner billionenschweren Investitionspakete. So posierte er in der vergangenen Woche, während sich die rechten Republikaner in Washington selbst zerfleischten, demonstrativ mit dem traditionell konservativen Senats-Republikanerchef Mitch McConnell bei der Einweihung einer Brücke in Kentucky.

Trump schuf 300 Geheimakten beiseite – Biden ein Dutzend

Ein schönes Bild, ein eindrucksvoller Kontrast, zumal die lange drückende Inflation sinkt und die Umfragewerte Bidens zuletzt stiegen. Doch als der Präsident an diesem Donnerstag im Weißen Haus die positiven Konjunkturdaten verkünden wollte, interessierte sich niemand für die Zahlen. „Geheime Regierungsdokumente neben dem Corvette?“, rempelt der Korrespondent des rechten TV-Senders Fox News Biden an: „Was haben Sie sich dabei gedacht?“ Der Präsident reagierte ebenso schmallippig wie verdattert: Er nehme den Schutz vertraulicher Unterlagen sehr ernst und arbeite mit der Justiz zusammen, betonte er. Im übrigen stehe sein legendärer grüner Oldtimer-Sportwagen vom Typ Corvette Stingray, in dessen Nähe Geheimakten gefunden wurden, in einer abgeschlossenen Garage bei seinem Haus in Wilmington: „Es ist nicht so, dass der auf der Straße parkt.“

Das ändert nichts daran, dass geheime Papiere aus Bidens Zeit als Vizepräsident weder dorthin, noch in das Büro einer Washingtoner Denkfabrik gehören, wo ebenfalls Unterlagen gefunden wurden. Zwar weist das Weiße Haus zurecht darauf hin, dass es gravierende Unterschiede zwischen Bidens mutmaßlicher Schlamperei und dem Beiseiteschaffen von Unterlagen durch seinen Vorgänger Trump gibt: Nicht nur hatte der 300 Geheimakten auf sein privates Anwesen Mar-a-Lago schaffen lassen, während es bei Biden offenbar nur ein Dutzend sind. Auch weigerte sich Trump, die Papiere herauszugeben und versuchte später, das Nationalarchiv hinters Licht zu führen, während Bidens Anwälte den Fund im vorigen November unverzüglich dem Justizministerium - allerdings nicht der Öffentlichkeit - meldeten.

Biden steht vor einem Glaubwürdigkeitsproblem

Doch Biden, der Trumps Umgang mit den Akten „unverantwortlich“ genannt hatte, hat nun ein dickes Glaubwürdigkeitsproblem. Juristisch dürfte die Sache für ihn kaum Konsequenzen haben, aber politisch ist die Wirkung fatal: Eine Anklage von Trump ist in dem extrem polarisierten Meinungsklima der USA kaum noch denkbar. Gleichzeitig befindet sich der amtierende Präsident schwer in der Defensive: Mindestens drei republikanische Parlamentsausschüsse wollen sein mögliches Fehlverhalten aggressiv unter die Lupe nehmen.

So hat sich die Stimmungslage auf dem Kapitol innerhalb weniger Tage erneut komplett gedreht. Vom Chaos bei den Republikanern, von der faktischen Machtübernahme der Extremisten in der Fraktion und von der Schwäche McCarthys, der sich aus Angst vor einem Mandatsverlust nicht einmal traut, den Hochstapler Santos zum Rücktritt zu drängen, ist plötzlich kaum noch die Rede.

Stattdessen fragt der rechte Einpeitscher Jim Jordan: „Wo bleibt die Razzia?“ - und zielt auf Joe Biden.

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