K.O.-Tropfen-AffäreDer Deutungskampf um einen schlechten Witz

Lesezeit 9 Minuten
  • Die Komiker Joyce Ilg und Faisal Kawusi haben einen Witz über K.-o.-Tropfen gemacht – nun wird gestritten, ob man das darf.
  • Müssen Comedians auf die Befindlichkeiten ihres Publikums Rücksicht nehmen?
  • Ein Versuch der Aufarbeitung einer Internetdebatte.

Irgendjemand macht einen geschmacklosen Witz, alle regen sich drüber auf, und am Ende wird über die Grenzen des Humors diskutiert. Hunderte Male ist das schon vorgekommen, Hunderte Male werden noch folgen – und auch der aktuellste Fall dieser Art hat genau dasselbe Muster. Eine Lösung? Schwierig.

Wer Besseres zu tun hat, als stundenlang in den Tiefen von Instagram-Storys und Twitter-Threads zu wühlen, für den sei der Fall Joyce Ilg und Faisal Kawusi an dieser Stelle einmal in Kürze erklärt.

Die Schauspielerin und Komikerin Ilg hat sich auf Instagram mit dem befreundeten Comedian Luke Mockridge ablichten lassen und zum Foto eine Bildunterschrift verfasst. Sie lautet: „Hat hier irgendwer von euch Eier gefunden? Ich hab nur ein paar K.-o.-Tropfen bekommen.“

Allein auf Instagram erhält der Post innerhalb kürzester Zeit rund 20.000 Kommentare, auch in unzähligen Tweets wird das Thema aufgegriffen. Mockridge ist eine umstrittene Figur, Aktivistinnen und „Sinnfluencerinnen“ machen ganze Instagram-Storys zum Fall. Der Tenor: hochgradig geschmacklos. Viele fordern Ilg auf, den Post zu löschen.

Kawusi beleidigt Influencerin

„Respektlos allen Betroffenen gegenüber“, empört sich die Influencerin Louisa Dellert, Aktivistin Saskia Michalski findet den Post „maximal daneben“, Autorin Jasmina Kuhnke sieht in dem Beitrag einen „Seitenhieb, der auf Kosten von Opfern sexualisierter Gewalt geht“, und eine Youtuberin und Influencerin kommentiert den Beitrag gleich zweimal mit einem persönlichen Erlebnis: „Bin fast mal an K.-o.-Tropfen gestorben. Nicht cool, Joyce. Again.“

Dieser Kommentar ruft dann wiederum den Comedian Faisal Kawusi auf den Plan. Er kommentiert die Beschwerde: „Das nächste Mal werde ich die Dosis verstärken, versprochen.“

Was auf die geschmacklose Entgleisung folgt, ist eine Kommentar­schlacht sondergleichen, ein Wutanfall Kawusis (er wolle nun die Jagd auf seine Kritikerinnen und Kritiker eröffnen), die mehrfache Forderung, der Sender Sat.1 möge sofort alle Projekte mit Ilg und Kawusi beenden, ein Statement von Sat.1 (man habe die Zusammenarbeit mit Kawusi sowieso schon lange beendet) und schließlich ein kleinlauter Rückzieher des Comedians selbst: „Ich möchte aufrichtig für meine gestern getroffene Aussage um Entschuldigung bitten.“

Schlammschlacht in Instagram-Kacheln

An dieser Stelle könnte man den Fall ad acta legen, bevor er noch unangenehmer wird. Aber so einfach ist es nicht.

Der Streit um Ilg und Kawusi steht inzwischen symbolisch für etwas, das in den vergangenen Monaten immer wieder vorgekommen ist: Es ist der Kampf zweier Weltanschauungen, der Kampf um die Grenze des Sagbaren. Die Verfechter einer ganz eigensinnigen Vorstellung von Kunstfreiheit und „schwarzem Humor“ stehen unversöhnlich denjenigen gegenüber, die die eigene Verletzlichkeit zum Maßstab alles Möglichen machen. Und schließlich kämpfen alle um die Deutungshoheit eines schlechten Witzes.

Die Folge: Provokation, die erwartbare Reaktion, eine beispiellose Internet-Schlammschlacht, ausgefochten in Instagram-Kacheln, Twitter-Threads und Statementvideos. Und am Ende gewinnt niemand.

Provokation als Geschäftsmodell

Einer der Akteure, Faisal Kawusi, hat die Grenzüberschreitung in den vergangenen Jahren fest zu seinem Geschäftsmodell gemacht. Immer wieder bricht der 30-Jährige Tabus, etwa bei einem Liveauftritt bei der 1-Live-Comedy-Nacht im Jahr 2017. Da beleidigte er die „Let’s Dance“-Jurorin Motsi Mabuse auf der Bühne rassistisch und entschuldigte sich erst, nachdem diese ihren Anwalt eingeschaltet hatte. Auch hier war ein massiver Protest in den sozialen Netzwerken die Folge.

Geschadet hat all das dem Comedian bislang nicht, im Gegenteil. Bei der Comedy-Nacht des öffentlich-rechtlichen Senders 1 Live stand Kawusi auch im vergangenen Jahr wieder auf der Bühne, er bekam Shows in Sat.1 und ist gern gesehener Gast in allen möglichen Formaten. Auch sonst ist der 30-Jährige ein gefragter Comedian: Allein für dieses und nächstes Jahr sind 50 Auftritte im Rahmen seiner Tour angekündigt. Und aus dem gezielten Tabubruch hat der Comedian längst einen ganzen Markenkern entwickelt.

„Politisch InKorrekt“ heißt das aktuelle Bühnenprogramm Kawusis – der Beschreibungstext dazu: „In einer Zeit, in der der gesellschaftliche Diskurs maßgeblich durch die Social-Media-Plattformen bestimmt ist, in einer Zeit, in der mit aller Regelmäßigkeit ein anonymer Mob durchs Netz tobt und glaubt, die Moral für sich gepachtet zu haben, in einer Zeit, in der die Menschen sich gegenseitig nicht mehr zuhören, gibt es einen Mann, der klare Kante gegen die humorlosen Hater, Spalter und Ausgrenzer dieser Welt zeigt: FAISAL KAWUSI!“

Die Empörung mitdenken

In gewisser Weise hat Kawusi mit diesem Konzept etwas Neues erschaffen. Etwas, das ihn von früheren Krawall-Comedians unterscheidet. Er überschreitet nicht nur Grenzen und hofft damit auf eine Reaktion des Publikums – er denkt offenbar auch die Ebene der Internet­empörung gleich mit. Er weiß, dass das, was er macht, Proteste auslöst, und er nutzt genau das als Verkaufskonzept.

Ein Konzept, das wunderbar funktioniert. Wenn Kawusi seine Sichtweisen zu politischer Korrektheit und zur „Freiheit der Comedy“ auf Instagram verbreitet, applaudieren ihm dort Hunderte.

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Faisal Kawusi

„Wahre Worte, Brudi“, „Starke Ansage“ oder „Nicht den Mund verbieten lassen“ ist da etwa in den Kommentarspalten zu lesen. Auf die ganze „Political Correctness“ und „Cancel Culture“ habe man sowieso keinen Bock mehr, ist in mehreren Kommentaren zu lesen. Dass viele dieser Fans früher oder später auch ins Bühnenprogramm des Comedians finden, ist denkbar.

„Sinnfluencer“ mit Humorkritik

Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die ihr ganz eigenes Geschäftsmodell zum Thema entwickelt haben: die nie enden wollende Empörungsspirale. Gemeint sind damit die vielen Influencerinnen und Influencern, von denen viele inzwischen den Internet­aktivismus für sich entdeckt haben und mit progressiven und aktivistischen Themen ein riesiges Publikum erreichen.

Auf der mittlerweile hochpolitisierten Plattform Instagram klärt man in bunten Kacheln über Feminismus, Bodypositivity und Nachhaltigkeit auf, während man im nächsten Post bezahlte Werbung für nachhaltige Banken, Vibratoren, Jeans oder Supermarktketten macht. Für die Akteure ist ein Fall wie der von Ilg und Kawusi ein gefundenes Fressen: Gemeinsam springen sie auf das Thema auf, kommentieren, drehen eigene Statementvideos, schreiben ganze Instagram-Storys voll und hören erst dann wieder auf, wenn irgendein Sender – oft ist das Sat.1 – sich distanziert.

Man tut all das natürlich im Namen von Missbrauchsopfern und aus Solidarität mit eben diesen. Aber ein bisschen vielleicht auch deshalb, weil das Thema enorm viel Reichweite generiert, die sich zu Geld machen lässt.

Wer muss hier Rücksicht nehmen?

Unklar bleibt am Ende, welche Seite denn nun die Deutungshoheit über den geschmacklosen Witz gewinnt.

Influencerin Dellert beispielsweise meint auf Instagram, „diese Scheiße“ (gemeint ist der Ausfall Kawusis) habe „rein gar nichts mehr mit Humor zu tun“. Es seien „immer wieder die üblichen Verdächtigen (...), die glauben, es sich leisten zu können, mit ihrem ‚Humor‘ auf andere Menschen draufzutreten“. Ein Influencer namens Aljosha spricht derweil von „etlichen Nachrichten“ von Menschen, die durch den Witz von Ilg „verletzt“ und „retraumatisiert“ worden seien. Den Post der Komikerin hält er für verantwortungslos.

Ilg und Kawusi argumentieren in ihren Instagram-Beiträgen dagegen. „Ich bin für eure Scheißgefühle nicht verantwortlich“, poltert etwa Kawusi. „Das sind eure Scheißgefühle. Ich bin für meine Gefühle verantwortlich, damit bin ich schon genug überfordert.“ Comedy habe keine Grenzen. „Deine Comedy hat Grenzen. Kunst hat keine Grenzen, hat es nie gegeben und wird es auch nie geben.“

Nicht verantwortlich für Befindlichkeiten

Eine Argumentation, die tatsächlich nicht ganz neu ist. Erst vor wenigen Wochen hatte der Kabarettist Serdar Somuncu bei einem gemeinsamen Radio-eins-Auftritt mit seinem Podcastkollegen Florian Schröder einen ganz ähnlichen Standpunkt vertreten. Somuncu gilt ebenfalls als provokanter Bühnenkünstler, er wurde für seine inszenierten Wutanfälle in der Vergangenheit häufiger kritisiert – etwa, als er sich in seinem Podcast frauenfeindlich äußerte und das N-Wort verwendete. Beim gemeinsamen Auftritt in Berlin beleidigte er sein Publikum mit dem Wort „Hurensöhne“. Eine Frau fühlte sich von der Sprache Somuncus offenbar gestört und wies den Kabarettisten mit Rufen aus dem Publikum zurecht. Dieser reagierte prompt.

Provokation sei für ihn ein wichtiges Stilmittel, um Erwartungen zu brechen, erklärte Somuncu. Die Frau protestiere gegen „ein Wort (...), das irgendwas in dir berührt hat, was mit dir und deinem Thema zu tun hat. (...) Es ist nicht meine Aufgabe, deine Bedürfnisse zu befriedigen – sondern es ist deine Aufgabe, meine Bedürfnisse zu verstehen, wenn du in eine Veranstaltung kommst, auf der mein Name auf dem Plakat steht“, so der Kabarettist.

„Und wenn du dazu nicht bereit bist, ist es dein gutes Recht zu sagen, es gefällt mir nicht, ich gehe das nächste Mal nicht mehr hin, der Typ ist ein Arschloch, der ist selbstverliebt. Aber ich kann mich nicht danach ausrichten, weil ich all diese Menschen hier nicht kenne. Ich weiß nicht, was ihr für Befindlichkeiten habt. Eure Mutter kann an Krebs gestorben sein, der Nächste kann gerade im Lotto gewonnen haben (...).“

Schlechter Witz, aber machbar?

Das Argument könnte man auch auf den Fall Joyce Ilg übertragen: Muss eine Komikerin wirklich auf ihrer Bühne, auf ihrem Instagram-Profil auf die Verletzungen anderer Leute im Internet achten? Ist ein Comedian ernsthaft dafür verantwortlich, wenn sich jemand wegen seiner Witze retraumatisiert fühlt? Darf ein Witz über „K.-o.-Tropfen“ wirklich nicht gemacht werden, weil irgendjemand im Internet schon mal fast daran gestorben ist? Oder ist es nicht eher in der Verantwortung der oder des Betroffenen, von den Profilen, Plattformen und aus den Sälen fragwürdiger Comedians fernzubleiben?

Vertreter und Vertreterinnen der Comedybranche jedenfalls halten Ilgs Witz ganz grundsätzlich für machbar. Jedoch habe er grobe handwerkliche Mängel, wie etwa die Autorin Sophie Passmann auf Instagram sagt. „Man darf über alles Witze machen, selbst über K.‑o.‑Tropfen und Vergewaltigungen, aber der Witz muss halt gut genug sein“, so Passmann. „Wenn man schon einen Witz macht über etwas, wo man potenziell wirklich viele Leute verletzt, dann sollte man wenigstens einen Witz machen, der wenigstens überraschend ist, eine gute Wendung hat oder handwerklich zumindest toll geschrieben ist. Der Witz ist ja wirklich so schlecht, das ist ein Kündigungsgrund.“

Der Autor Tarkan Bagci („ZDF Magazin Royale“) erklärte auf Twitter: „Humor ist grenzenlos, aber wenn die Grenz­überschreitung Selbstzweck ist (und die einzige Pointe), dann machst du nicht ‚dasselbe‘ wie George Carlin oder Ricky Gervais, sondern wie dieses nervige Kind im Kindergarten, das für Aufmerksamkeit Regenwürmer und Schnecken gegessen hat.“

Noch mal drüber nachdenken

Der Ausfall Kawusis wird derweil deutlich kritischer gesehen. Comedian Shahak Shapira bemerkt in einem Instagram-Video, Kawusi könne auf der Bühne machen, was er wolle. „Aber du bist hier nicht auf der Bühne. Du bist explizit zu jemandem gegangen, der offensichtlich nicht nach einer Comedy-Show von dir verlangt hat, sondern offensichtlich ein Problem hat. Und dann schmeißt du dieser Person einfach deinen Witz ins Gesicht.“

Pause in den sozialen Netzwerken

Scheint so, als sähe das auch Faisal Kawusi inzwischen so. Er kündigte an, er werde sich nun erst einmal für einige Tage aus den sozialen Netzwerken zurückzuziehen. Er wolle sich die Zeit nehmen, „um zu reflektieren und mir Gedanken darum zu machen, wie ich mich in Zukunft in der Öffentlichkeit verhalten möchte“. Seinen fragwürdigen Witz bezeichnet er selbst als „nicht klug“. Das dürfe ihm „so nicht passieren“.

Joyce Ilg hat inzwischen erklärt, ihr Witz mit den K.-o.-Tropfen sei eigentlich gar nicht verletzend gemeint gewesen. Sie habe sich nur auf einen älteren Gag Luke Mockridges bezogen. Ilg kündigte an, sie wolle sich konstruktiv mit der Kritik auseinandersetzten. Wenig später postete die Komikerin ein Foto mit Krawall-Comedian Oliver Pocher. „Hab mich grade professionell psychologisch bei jemandem beraten lassen, der sich mit Gegenwind auskennt“, so die Bildunterschrift. Die Reaktionen auf den Post? Erwartbar.

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