Die Superhelden schwächelnDas braucht ein Blockbuster, um beim Publikum zu punkten

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Ein leicht reduktionistisch animierter Spiderman hüpft am Himmel entlang, im Hintergrund die Silhouette New Yorks.

Der Film „Spiderman: Across the Spider-Verse“ spielte ein vielfaches seiner Produktionskosten ein

Die Zuschauer sind k.o. von all den Superheldenfilmen. Auch Pixars „Elemental“ und der fünfte Indiana-Jones-Film floppen. Klar ist: Auch ein Blockbuster braucht Herz, um beim Kinopublikum zu landen.

Der Sohn eines Mobsters raubt in Gotham City ein Virus, und der Titelheld des Films „The Flash“ muss Passanten retten, während Batman den Bioterroristen verfolgt. Flash reist danach in die Zeit zurück, um seinen Vater vom Verdacht reinzuwaschen, Flashs Mutter ermordet zu haben. Beim Versuch, in die Gegenwart zurückzukommen, landet er in einer alternativen Zeitlinie im Jahr 2013 – exakt an dem Tag, an dem er einst seine Superkräfte bekam. Und verliert diese durch den berühmten Blitzeinschlag. Und so weiter.

Man kann den zweieinhalbstündigen Film aus dem Kinouniversum des Comichauses DC nur ungelenk nacherzählen, ein Problem, das einen schon länger bei Superheldenfilmen befällt. Erst recht kann man nichts finden, was der Film uns heute zu sagen hat. Über uns. Über unsere Zeit. Und überhaupt.

Auch Michael Keaton kann „The Flash“ nicht retten

Das Einzige, was einen zu „The Flash“ ins Kino locken könnte, wäre es, Michael Keaton noch mal im Batman-Kostüm zu sehen. Schließlich war Keaton es, der 1989 mit „Batman“ das Genre der Comicverfilmungen auf ein neues Niveau hob. Superhelden sahen im Kino ab jenem Zeitpunkt nicht mehr aus wie Männer in schlafanzugähnlichen Stramplern, sondern wirkten cool wie im Comicheftchen.

Es sah gut aus, wie Keaton Batmans Schwingen ausbreitete, wie Gothams Vigilant dem von Jack Nicholson gespielten Joker Paroli bot und ihn schließlich besiegte. Ein Genre war neugeboren, das bald schon Filme in die Welt schleuderte wie eine Ballmaschine Tennisbälle. War gerade kein Superheldenfilm im Kino, wähnte man sich selbst in einem Paralleluniversum.

„Iron Man“ war der Durchbruch des Marvel Superheldenfilms

Mit „Iron Man“ begann 2008 das Marvel Cinematic Universe seinen systematischen Siegeszug. Wochenendeinspielergebnisse von mehreren Hundert Millionen Dollar kamen in der Hochzeit des Genres zustande. „Avengers: Endgame“ (2019) ist nach James Camerons erstem „Avatar“-Film (2009) der zweiterfolgreichste Film mit 2,8 Milliarden Dollar Einspielergebnis. Der im Jahr davor angelaufene „Avengers: Infinity War“ hatte an den Kassen gut 2 Milliarden erbracht.

Mit einem Ergebnis von 211 Millionen Dollar weltweit in der zweiten Woche nach einem kläglichen Start wird „The Flash“ bei Produktionskosten von 200 Millionen Dollar als Flop gehandelt. Ein Einbruch um 73 Prozent in der zweiten Woche wie bei diesem Film gilt als desaströs und nicht aufzuholen. Schlecht lief es zuletzt auch für die DC-Comic-Verfilmungen „Black Adam“ und „Shazam! Fury of the Gods“.

„Indiana Jones 5“ musste mindestens 800 Millionen Dollar machen, um alle Kosten zu decken

Um profitabel zu sein, muss ein sogenannter Blockbuster ein Mehrfaches seines Budgets einspielen, mindestens das Zweieinhalbfache. Der Abenteuerfilm „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“, der Ende Juni in den deutschen Kinos anlief, kostete in der Produktion knapp 300 Millionen Dollar und muss wegen der üblichen Gewinnbeteiligungen, hohen Vertriebs- und Marketingkosten und Kinoprovisionen mindestens 800 Millionen Dollar an den Kassen holen. Dann wären alle Ausgaben abgedeckt.

Als erfolgreich gälte er, wenn er noch einmal 50 Prozent mehr einspielt. Indiana Jones ist ein originärer Kinoheld ohne Comicvorlage, Der vorige Film der Reihe, „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“, hatte vor 15 Jahren bei 185 Millionen Dollar Produktionskosten 790 Millionen Dollar erzielt. Ein gutes Ergebnis, aber kein Vergleich zum ersten Film, der nur 18 Millionen gekostet hatte und weltweit knapp 390 Millionen in die Kassen spülte – fast das 22-Fache.

Pixar-Film „Elemental“ enttäuschte an den Kinokassen

Der neue Film scheint das Schicksal von „The Flash“ zu teilen. Zwar stieg er in Deutschland und den USA auf Platz 1 in den Kinocharts ein – aber 130 Millionen Dollar Kasse weltweit sind bislang dennoch eine Enttäuschung. „Spiegel online“ nannte den definitiv letzte Einsatz von Harrison Ford als Abenteurer Indy gar „Kassengift“. Bange blickt Hollywood auf Tom Cruise, der das Kino und die Welt ab Mittwoch in „Mission: Impossible – Dead Reckoning, Teil Eins“ retten soll.

Ein weiteres großes Hollywoodlabel trägt derzeit Trauer. Mit „Toy Story“, der Geschichte um einen Plastikcowboy und einen Plastikastronauten, die um den Rang des Lieblingsspielzeugs eines Jungen wetteifern, stieg 1995 der Stern von Pixar auf. Der vor Kurzem gestartete Animationsfilm „Elemental“ des Studios holte bislang nicht einmal die etwa 200 Millionen Dollar Kosten wieder rein.

Wall-E-Regisseur Pete Docter sieht die Vorliebe zum Streaming als Erklärung für Kinoflop

Den Schuldigen sah Pete Docter, Regisseur von Meisterwerken wie „Wall-E“ und „Oben“, in der Corona-Strategie des Dachhauses Disney, Pixar-Filme ohne Kinostart beim Streamingdienst Disney+ zu platzieren. Das Publikum sei in der Pandemiezeit geradezu darauf trainiert worden, Pixar-Filme als Fernsehware zu sehen, meint er, und darauf, dass man dafür eine Abogebühr zahlen muss, statt Tickets und Erfrischungen für die ganze Familie zu kaufen.

Das ist nur die halbe Wahrheit. Auch Qualität spielt eine Rolle für die Entscheidung, viel Geld für einen Kinobesuch mit der Familie auszugeben. Mit „Cars 2“ und „Merida“ verspielte Pixar seinen Ruf, verlässlich meisterhafte Kinogeschichten zu erzählen.

Juwelen wie die „Toy Story“-Fortsetzungen, „Alles steht Kopf“ und „Coco“ ragen unter vielen mediokren Filmen heraus, die kaum einfühlsamer und origineller waren als der laue Trickfilmoutput von Disney während Pixars Aufstiegsphase. Jüngere Filme wie „Luca“ und „Rot“ waren schon bei Disney+ eher mittelprächtige Programmpunkte und hätten im Kino kaum Chancen gehabt. Pixar war mal ein Garant für echte Gefühle. Und ist es nicht mehr.

Superheldenfilme verlieren ihre Aussagekraft

So wie Batman einst ein Garant für Bodenständigkeit im Superheldenfach war. 1989 war eine Aufbruchszeit für Helden wie den Fledermausmann, Tim Burtons erster „Batman“-Film kam 14 Tage vor dem Mauerfall ins Kino. Die Welt schien sich neu und friedlich zu ordnen, Optimismus war angebracht.

2023 herrscht eine so gefährliche Weltlage wie lange nicht mehr. Und man könnte mutmaßen, dass das Publikum es müde geworden ist, Helden beim Retten der ihnen schutzbefohlenen Paralleluniversen zuzuschauen, während in der wirklichen Welt niemand da ist, Krisen zu meistern und Superschurken zu besiegen. Superheldenfilme schaffen es nicht (mehr), uns etwas über unsere Welt zu sagen.

Spider-Man beweist, dass es noch funktioniert

Vielleicht ist der Bogen tatsächlich durch viel zu viele Comicfilme überspannt. Martin Scorsese nannte sie „Themenparks“ und „kein Kino“, weil sie risikolos und bar echter Gefühle seien. Die „New York Times“ stellte schon 2019 die Frage „Ruinieren Comicbuchverfilmungen die Gattung Film?“ und monierte die stumpfe Wiederkehr des Immergleichen. Vielleicht sind Marvels Streamingserien wie „WandaVision“ oder „Loki“ einfach amüsanter und abgedrehter als die Epen für die Großleinwand.

Und trotzdem funktioniert der Anfang Juni gestartete Animationsfilm „Spider-Man: Across the Spiderverse“ hervorragend. Er hat schon das Sechsfache seiner Produktionskosten von 100 Millionen Dollar eingespielt. Einfach, weil er gut ist. Der Rezensent der britischen Tageszeitung „The Guardian“ schrieb: „Es ist ein schwindelerregender Ansturm von Ideen und grafischen Referenzen.“ Und mehr noch: „Er hat Herz.“ Das Feuilleton der „New York Times“ fand sogar ein deutsches Wort des Hochkulturlobs für diese visuell berauschende Geschichte über das Chaos des Erwachsenwerdens. „This isn’t just another multiverse slogfest – but a bildungsroman.“ Geht doch.

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