Krieg gegen die UkraineWie Kämpfer aus dem Ausland helfen

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Igor Kämpfer RND

Igor ist in die Ukraine gereist, um zu kämpfen.

Kiew – Für ihn selbst, sagt Igor, und das ist ihm wichtig, für ihn persönlich also könnte es ruhig mehr sein. „Mehr Front.“ Mehr Krieg. Mehr von dem Gefühl, das tun zu können, wofür er doch eigentlich losgezogen ist. >> Verfolgen Sie hier alle Entwicklungen in der Ukraine im Newsblog. Seit sechs Wochen ist Igor in der Ukraine. „Ungefähr“, sagt Igor, „man verliert die Zeit.“ Erst rund um Kiew, dann weiter im Osten. In dieser Zeit ist einmal eine russische Rakete knapp neben seinem Auto eingeschlagen und hat einen vier Meter tiefen Krater gerissen und sein gepanzertes Fahrzeug demoliert, „nur dank Gott haben wir überlebt“.

Vor russischen Streubomben hat er sich in den Graben gedrückt. Seine Einheit habe Dörfer befreit, „vier oder fünf“, und an einem Tag drei Panzer abgeschossen. Von den amerikanischen Panzerfäusten ist er begeistert, „einfacher geht’s nicht, wunderbar“. Da klingt er geradezu schwärmerisch.

Igors erster Krieg

Igor erzählt all das am Telefon. Wo genau er sich aufhält, darf er nicht sagen. Nur so viel: etwas zurückgezogen, zur Schulung. Am liebsten würde er schnell zurück an die Front. „Aber der Kommandeur sagt, das kommt noch.“ Es geht ja gerade erst richtig los.

Vor zwei Monaten noch saß Igor auf dem Sofa in Bad Oldesloe. Eine Erdgeschoss­wohnung, unweit der Sparkasse. Vor sich auf dem Tisch die Dinge, die er mitnehmen wollte: Stahlhelm, Schutzweste, Knieschützer, Kampfmesser. Seine Ausrüstung für den Krieg. Igor ist 56 Jahre alt, keine 1,70 Meter groß, er hat eine Glatze und einen dichten grauen Vollbart. Igor stammt aus der Ukraine, aber seit 30 Jahren lebt er in Deutschland. Er hat einen Sohn hier und arbeitet im Versand eines großen Unternehmens. Aber dann, als seine Heimat überfallen wurde, steigt er in seinen alten Alfa-GT-Diesel und fährt gen Osten.

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Igor in seinem Wohnzimmer vor der Abreise aus Bad Oldeslohe

Igor hat Erfahrung. Er ist desertierter Rotarmist, Kampfsportler, seit Jahren Mitglied einer paramilitärischen Einheit. Aber dies ist sein erster Krieg. Mit Raketen, die über seinen Kopf fliegen. „Das ist“, sagt er jetzt am Telefon, „ganz anders als üben.“

Als der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba Ende Februar, wenige Tage nach dem Angriff Russlands, die Gründung einer internationalen Legion ausruft, ist dies auch ein großer PR-Coup. Binnen Tagen sollen sich fast 20 000 Kämpfer beworben haben. Die britische Außenministerin ermuntert ihre Staatsbürger und ‑bürgerinnen, sich am Krieg zu beteiligen. Tausende machen sich offenbar wirklich auf den Weg, der Kampf für die gerechte Sache hat eine große Anziehungskraft.

Aber welche Rolle spielen Söldner und ausländische Kämpfer heute im Krieg in der Ukraine? Verändern sie den Lauf dieses Krieges?

Mit 14 in Gefangenschaft

Mamuka Mamulashvili erscheint im Skype-Gespräch vor einem großen Wappen, „Georgian National Legion“ steht darauf, „Georgische Legion“. Kurzes Haar, auch er mit Vollbart, nur dass seiner noch dunkel ist. 44 Jahre ist er alt, und dies, sagt er, sei sein vierter Krieg gegen Russland. Den ersten kämpfte er Anfang der Neunzigerjahre in Abchasien, einer abtrünnigen Region in Georgien, an der Seite seines Vaters, 14 Jahre alt war er damals.

Von 33 Kameraden, die mit ihm damals in Gefangenschaft gerieten, seien nur elf lebend zurückgekehrt, die anderen seien getötet worden. „Seitdem weiß ich, was Russen Gefangenen antun, auch Zivilisten , beteuert er.

Seit dieser Zeit ist er Reisender in Kriegen gegen Russland. Erst in Tschetschenien, dann, 2008, in seiner Heimat Georgien, seit 2014 in der Ukraine.

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Igor mit Kampfausrüstung

Dass die Russen ihn seit Langem suchen, eine offizielle Untersuchung gegen ihn führen, lässt ihn zumindest äußerlich ungerührt. „Sie wollen Kriegsverbrecher aus uns machen“, sagt er, „das ist für mich nur russische Propaganda.“

Mamulashvili ist Gründer und Kommandeur der Georgischen Legion, der nach seinen Worten größten Einheit fremder Kämpfer in der Ukraine. Wie viele Männer genau sie derzeit umfasst, will er nicht sagen, „weniger als 1000“ ist seine einzige Angabe. Die meisten seien Georgier, aber auch US-Amerikaner, Briten und einige wenige Deutsche seien darunter, „derzeit meines Wissens vier“. Als Spezialeinheiten seien sie im Osten und Süden unterwegs, als Aufklärer, „an den gefährlichsten Orten der Front“. Wobei die Bezeichnung „Kämpfer“ nur bedingt richtig ist, sie sind keine regulären ukrainischen Soldaten. Als „Auftragnehmer“ bezeichnet Mamulashvili sie, als solche würden sie bezahlt. In der Sprache des Krieges sind sie Söldner.

Komplexes Schlachtfeld

Diesen ohnehin verworrenen Krieg macht das potenziell noch verworrener. Auf russischer Seite kämpfen Einheiten der Wagner-Gruppe, die es in Russland offiziell so wenig gibt wie diesen Krieg. Zudem hätten sich Tausende Freiwillige aus Syrien gemeldet, behauptete die russische Regierung. Es ist unklar, ob einige von ihnen wirklich in der Ukraine im Einsatz sind.

„Das Schlachtfeld in der Ukraine ist enorm komplex, mit einer großen Spanne gewalttätiger nicht staatlicher Akteure – privaten Auftragnehmern, ausländischen Kämpfern, Freiwilligen, Söldnern, Extremisten und terroristischen Gruppen – alle durcheinander“, heißt es in einer Analyse des Soufan Center, einer Denkfabrik mit Sitz in New York. Für die Zivilisten und Zivilistinnen in einem Land können freiwillige Kämpfer das Leid nur noch größer machen. So verweist die ebenfalls US-amerikanische Brookings Institution auf Studien, wonach die Gewalt gegen Zivilisten zunimmt, wenn ausländische Kämpfer eingreifen. Der Krieg zieht nicht nur Kämpfer für das Gute an – sondern auch Rechtsextremisten, Naive, Amateure.

Das haben auch die Freiwilligen­einheiten und Verbände in der Ukra­ine erkannt – und, wie sie beteuern, Konsequenzen gezogen.

Zu viele Bewerber

Igor, der Ukrainer aus Bad Oldesloe, gehört zu einer Einheit namens Rechter Sektor, einer nationalistischen Miliz, die nach seiner Schilderung für die Dauer des Krieges gerade in die ukrainischen Streitkräfte überführt werde. Auch er kämpfe an der Seite von Dänen, Polen, Franzosen und Briten, „und es kommen immer noch mehr, aber die werden nicht genommen“. Zum einen, weil sie Ukra­inisch können müssten, sonst habe es keinen Sinn. „Sprachbarriere“, sagt Igor. Zum anderen gebe es einfach nicht genügend Ausrüstung für alle.

„Da kommt man zum Krieg, und dann muss man noch Glück haben, genommen zu werden, sich bewerben“, sagt Igor. Es klingt, als fände er das selbst absurd.

Mamuka Mamulashvili sagt, er nehme für die Georgische Legion gerade niemanden mehr auf. „Wir hatten so viele Bewerbungen, dass wir es nicht mehr handhaben konnten“, sagt er. Der Prozess sei zu langwierig, auch genug Ausrüstung gebe es nicht. Mit jedem rede er persönlich. „Wir wollen keine Rechtsextremisten oder Rassisten“, sagt er. „Die Motivation sollte sein, gegen Terrorismus zu kämpfen.“ Danach prüfe dann der ukrainische Geheimdienst die Bewerber und durchsuche Handys nach Fotos extremer Organisationen.

Als Erste in Butscha

Dennoch gibt es Vorwürfe, berichtet von der französischen Zeitung „Le Monde“, ein Kämpfer seiner Einheit sei an der Ermordung russischer Soldaten beteiligt gewesen. Mamulashvili weist auch das als russische Propaganda zurück. Seine Legion übergebe russische Gefangene sofort an die ukrainische Armee.

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Aber muss er Russland und seine Soldaten nicht fast zwangsläufig hassen? Nach dieser Vorgeschichte? Und nach dem, was in Butscha geschah? Seine Einheit sei die erste gewesen, die dort und in Hostomel gewesen sei, nachdem die russische Armee vertrieben war. Gerade mal zehnjährige Kinder, vergewaltigt und ermordet: „Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen.“

Und was ist dann mit dem Hass? „Wir sind Soldaten. Wir können uns nicht erlauben, uns Gefühlen hinzugeben“, antwortet Mamulashvili. Das wäre, wenn es so ist, fast übermenschlich. Aber er beharrt darauf.

Ehrgeiz und eine starke Motivation, das ist es, was man ausländischen Kämpfern oft zuschreibt, als Stärke. Aber dass all die ausländischen Kämpfer diesen Krieg nennenswert beeinflussen, daran gibt es Zweifel. Er wisse, wie schwer es ist, eine neue Armee zu integrieren, sagt Mamulashvili über die Internationale Legion: „Uns gibt es seit acht Jahren, die seit einem Monat.“

Ausländische Kämpfer fügten der Kampfkraft ihrer einheimischen Mitkämpfer meist wenig hinzu, schreibt die Brookings Institution: „Meist enden sie als Kanonenfutter.“

Deprimierte Heimkehrer

Inzwischen mehren sich auch die Berichte über deprimierte Heimkehrer, „erschüttert vom Schrecken und von der Brutalität des Kriegs“, wie das Soufan Center feststellt. Und ein anonymer finnischer Freiwilliger berichtete vor Kurzem auch noch von einem ganz anderen Problem: Amerikanische und Nato-Freiwillige wüssten oft nicht, wie es ist, in einem Krieg zu kämpfen, in dem sie nicht die komplette Luftüberlegenheit haben. „Die meisten sind nach den ersten Raketen- und Luftangriffen wieder nach Hause gefahren.“

Igor aber will bleiben. Bis zum Ende, wann auch immer das sein wird. Wer vom Krieg redet, hat eine Absicht, das ist bei ihm nicht anders. „Läuft alles nach Plan“, versichert er und erzählt von den Funkgeräten aus den Siebzigerjahren, die sie in zerschossenen russischen Panzern manchmal finden, oder den Essenspaketen, die schon in den Neunzigerjahren abgelaufen seien. Aber von den Filtern, die er gerade für die Gasmasken aus Deutschland besorgt, von denen erzählt er auch – und den Geigerzählern, die er auch beschafft. „Man weiß nie, was er denkt“, sagt Igor. Er, Putin.

Manchmal telefoniert er mit seinem Sohn. Der fragt ihn, wann er wiederkommt. Igor sagt dann, er wisse es nicht. „Wenn wir jetzt aufhören, wird es sich für eine Zeit beruhigen, aber dann wird es wieder von vorne losgehen“, sagt er. „Aber es muss aufhören, für immer.“ Igor lebt seit 30 Jahren in Deutschland. Aber die Ukraine, das ist noch immer auch sein Land, gerade vielleicht mehr denn je.

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