Putins vermeintlich planlose ArmeeSo steht es um die Fronten in der Ukraine

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Russische Truppen Ukraine Imago 1

Russische Soldaten in der Region Donezk. Das Foto von der russischen Staatsagentur TASS veröffentlicht.

  • Russland sprach zu Beginn des Kriegs in der Ukraine von einer schnellen Einnahme von Mariupol und Kiew.
  • Nach wenigen Wochen geriet die russische Invasion ins Stocken, die russische Militärstrategie wirkte planlos.
  • Mittlerweile gibt es Zweifel: Was, wenn es Putin nie um einen schnellen Erfolg in der Ukraine ging?

Kiew/Moskau – Dachte Wladimir Putin tatsächlich, seine Truppen könnten binnen weniger Tage Kiew einnehmen? „Die Aufgabe war wie folgt gestellt: Mariupol in drei Tagen einnehmen, Kiew in fünf“: Mit diesen Worten zitierte das ins Ausland abgewanderte russische Investigativportal „Waschnyje Istorii“ (Wichtige Geschichten) dieser Tage mehrere Quellen aus dem russischen Geheimdienst. >> Alle Informationen und Entwicklungen rund um den Krieg in der Ukraine im Newsblog. Aber stimmt das wirklich? Putin, der Ahnungslose? Putin, der Ratlose? Es gibt Zweifel. Viele Aktivitäten der russischen Armee in der Ukraine wirkten zwar tatsächlich verblüffend planlos. Mal ging es um Kiew, dann wieder nicht, mal wurde Charkiw zerschossen und erobert, dann schnell verlassen. Generäle in den Lagezentren der Nato kratzen sich am Kopf: Militärisch ergibt dies alles wenig Sinn.

Putins Strategie: Kein roter Faden erkennbar

Es fehlt der rote Faden, die übergreifende Idee. Genau deshalb aber wächst mittlerweile in westlichen Geheimdiensten ein beunruhigender Verdacht. Was, wenn es Putin gar nicht so sehr ums Tempo geht oder um einzelne Geländegewinne hier oder da, sondern vor allem um eine – wie auch immer geartete – fortdauernde brutale Dauerattacke auf die Psyche der westlichen Gesellschaften?

Dies würde manches erklären: den Gleichmut, mit dem Putin eine Eroberung Kiews einfach mal versuchte – auch auf die Gefahr hin, dass es nicht klappt; die Nutzung älterer Fahrzeuge und Panzer; das Zusammentrommeln unerfahrener russischer Soldaten. Will Putin diesen Krieg vielleicht gar nicht schnell gewinnen, sondern ihn im Gegenteil möglichst lange führen – um eiskalt abzuwarten, was dann im Westen passiert? Die Chefin der US-Geheimdienste, Avril Haines, machte jüngst vor einem Senatsausschuss Bemerkungen, die exakt zu dieser neuen düsteren Kriegs-Erklärung passen.

Zwar wachse in letzter Zeit der Eindruck der totalen Unberechenbarkeit von Putins Strategie, sagte Haines. Sie selbst aber glaube, Putin habe in Wahrheit seine Pläne nie geändert. Auch die derzeitige Beschränkung auf den Donbass müsse keineswegs von Dauer sein, jederzeit könne Putin eine Eskalation in Gang setzen, auch über die Ukraine hinaus.

Krieg um des Krieges willen?

Krieg um des Krieges willen: Das ist ein Gedanke, den niemand gern an sich heranlässt. Doch der Krieg nützt nun mal dem Kremlherrn, er festigt seine Macht. Gäbe es plötzlich eine Waffenruhe, Stillstand, ein neues Nachdenken gar, geriete Putin ins Wanken. Viel besser ist es für ihn, alles in Bewegung zu halten, die Militär- und die Progandapparate. Er kann noch viele Register ziehen, das Kriegsrecht verhängen, eine Mobilmachung verkünden, die Donbass-Republiken annektieren. Eines der Eskalationsszenarien geht so: Putin erklärt Donezk und Luhansk für russisch – und droht für den Fall von Attacken auf diese Gebiete mit nuklearer Gegenwehr.

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Ein aktueller Überblick der Fronten im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.

Putin spielt auf Zeit. Er weiß, dass die westlichen Gesellschaften ungeduldig sind, dass sie schnelle Lösungen wollen. Den Gefallen tut er ihnen nicht. Hirntumor, Putsch, schneller Kollaps der russischen Wirtschaft? Alles Fehlanzeige. In den USA macht schon das Stichwort „Ukraine fatigue“ die Runde, Ukrainemüdigkeit. Auch in Deutschland wünschen sich viele Menschen längst einen Themenwechsel.

Als früherer KGB-Mann kennt Putin sich aus mit Psycho-Attacken, mit Methoden allmählicher Zermürbung und Zersetzung. Putin hofft, so teuflisch es klingt, auf maximales Leid im Westen: durch Inflation, hohe Energiepreise und die wachsende Nahrungsmittelknappheit, die in Teilen der Erde zu Unruhen und neuen Flüchtlingsströmen führen kann. Der Kremlherr baut darauf, dass seine Russen, sanktionserprobt seit 2014, die Nerven behalten.

„Putin glaubt, dass Russland eine größere Fähigkeit und Bereitschaft hat, Herausforderungen auszuhalten als seine Gegner“, sagt Haines – und markiert damit einen zentralen Punkt. Putin will jetzt den ultimativen Test der Systeme, einen Vergleich der Durchhaltefähigkeit. Den bekommt man nicht hin in Friedenszeiten. Man braucht dazu einen Krieg – und zwar einen langen.

Russische Kriegs-Erfolge sind gering

Russlands Krieg gegen die Ukraine dauert nun schon mehr als zwölf Wochen an. „Russland hat große Geländegewinne vorzuweisen“, betont Ex-Nato-General Hans-Lothar Domröse im Gespräch mit dem RND und verweist auf das eingenommene Gebiet vom Donbass bis zur Krim. Aber für eine Weltmacht seien die Erfolge sehr gering. Mindestens 15.000 russische Soldaten sind nach Schätzungen von Experten kampfunfähig, mehr als 700 russische Panzer zerstört.

Die Zeit spricht für die Ukraine, meint Domröse, denn mit immer neuen Waffen sei sie Russland überlegen. „Die türkischen Drohnen und das amerikanische Abwehrsystem schießen die Panzer ab wie nichts und dagegen sind die Russen nicht geschützt“, sagte der Nato-General a.D.

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Russland habe dagegen immer mehr Probleme an Panzer und anderes militärisches Material zu gelangen. „Die Ukrainer schießen die Panzer schneller ab, als Russland sie produzieren kann“, beobachtet Domröse. Hinzu kommt, dass die westlichen Sanktionen Russlands Waffenproduktion bereits teilweise lahmgelegt haben. Brigadier Philipp Eder aus dem Generalstab des österreichischen Bundesheeres sagte im Gespräch mit dem RND, dass vor allem elektronische Bauteile fehlen und die russischen Waffen- und Munitionsfabriken zum Teil nicht mehr arbeitsfähig seien, weil ihnen die Rohmaterialien ausgegangen sind.

Ukrainische Armee schwer getroffen

„Russland wird jetzt versuchen, auf allen Wegen an Elektronikbauteile zu gelangen und auch die schon sehr geleerten Munitionsdepots wieder aufzufüllen.“ Vor allem zielgerichtete, intelligente Munition brauche Russland, wie zum Beispiel Marschflugkörper. Die Truppenverluste auf ukrainischer Seite schätzt Eder auf 8000 bis 10.000 Soldaten. Er warnt, dass die militärische Ausstattung der Ukraine inzwischen „dramatisch“ gering sei. „Es fehlt der Ukraine vor allem an Kampfflugzeugen, Kampfpanzern, Artillerie, Luftabwehr und Munition.“

Dass die ukrainischen Streitkräfte trotzdem viele Orte halten konnte, liegt an der geschickten Verteidigung und der Unterstützung des Westens mit modernen Waffen und Aufklärung. „Die Ukrainer verfügen über ein extrem gutes Lagebild, was und wo die russischen Truppen vorhaben“, sagt Eder.

Sie haben den Geländevorteil, kennen sich aus, kämpfen in ihrer Heimat und haben Panzersperren und ähnliche Abwehrsysteme gut vorbereitet. Das seien einige Gründe, warum die russischen Streitkräfte zuletzt kaum noch Erfolge vermelden konnten. „Wenn der Krieg so weitergeht wie in den letzten Wochen, dann laufen wir auf eine Pattstellung zu“, analysiert Militärstratege Eder.

Charkiw: Kämpfe im Nordosten der Ukraine

Einen der größten Erfolge konnten die ukrainischen Verteidiger in der Region Charkiw erzielen. Dort konnten sie die russischen Streitkräfte bis hinter die Landesgrenze zurückdrängen. Militärexperte Eder sieht darin einen „wichtigen Gegenschlag“. Russland sei vorerst vom Angriffsziel Charkiw abgerückt und versuche, seine Kräfte im Osten der Ukraine zu konzentrieren. „Da Russland immer mehr Truppen in den Donbass verschoben hat, sind für die Ukrainer Gegenschläge im Norden einfacher.“ Die gleichnamige Hauptstadt der Region, die zweitgrößte Stadt des Landes, steht ebenfalls unter ukrainischer Kontrolle.

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16. Mai: Ein ausgebrannter Helikopter mit dem Buchstaben Z in der Nähe von Charkiw.

Eder und Domröse sehen Parallelen zum Kampf um Kiew: Die Einnahme der Stadt ist gescheitert, es gab hohe Verluste und die Militärführung hat den Rückzug angeordnet, um weitere tote Soldaten in den eigenen Reihen zu verhindern. Der Nato-General a.D. Domröse verweist auf den Geländevorteil der ukrainischen Verteidiger: In Charkiw gebe es hohe Häuserschluchten, die sich leicht verteidigen ließen. „Ein Kampf in Charkiw könnte eine halbe Armee verschlucken, das wäre zu teuer für Russland“, erklärt Domröse. Jetzt seien die russischen Truppen aus Charkiw abgezogen worden, um dafür den Donbass und Mariupol zu sichern.

Donbass im Osten: Putins Minimalziel

Russlands Fokus liegt auf der Eroberung des Donbass. Etwa 80 Prozent der Regionen Luhansk und Donezk haben die russischen Truppen bereits erobert, so Russland-Experte Mangott. „Ob die russische Armee in der Lage ist, auch den Rest des Donbass zu erobern, ist äußerst fraglich.“ Eine Umzingelung ukrainischer Kräfte, um Städte wie Kramatorsk oder Slawjansk einzunehmen, scheine nicht zu funktionieren. Brigadier Eder bestätigt diese Einschätzung.

„Wir sehen einen blutigen Abnutzungskrieg, bei dem um jeden Kilometer gekämpft wird.“ Die russischen Streitkräfte würden inzwischen bei Vorstößen im Donbass sehr vorsichtig vorgehen, so Eder. Die Eroberung von Luhansk nähere sich laut dem russischen Verteidigungsminister Schoigu dem Abschluss. Unabhängig bestätigen lässt sich das nicht.

Der ukrainische Präsident Selenskyj bezeichnete sie Situation im Donbass als „Hölle“. Die Region sei „komplett zerstört. Um die Stadt Sjewjerodonezk könnte es laut dem „Institute for the Study of War“ die nächste große Schlacht geben. „Sie versuchen jeden Meter aus der Luft, mit Artillerie, Raketen und Luftstreitkräften so vorzubereiten, dass die ukrainischen Verteidiger getötet oder geschwächt sind und sie selbst nichts ins offene Messer laufen“, erklärte er. Auf diese Weise den Donbass vollständig zu erobern, würde viele Wochen dauern.

Russland hat zwar mit der Teileroberung des Donbass eine Landverbindung von Russland bis zur Krim aufgebaut, macht nun aber keine nennenswerten Fortschritte mehr im Donbass. Experten hatten erwartet, dass die russischen Truppen den Donbass umzingeln und die Ukrainer zum Aufgeben zwingen. Davon sei aber nichts zu sehen, sagt Experte Domröse. Es bleibe beim Stellungskrieg, bei dem Russland an einem Tag einen Kilometer erobert und ihn am nächsten wieder verliert.

Belgorod: Ukraine greift Russlands Versorgungslinie an

Die westrussische Grenzstadt ist ein wichtiger Versorgungsstützpunkt des russischen Militärs mit einer direkten Autobahnverbindung nach Charkiw. Immer wieder gibt es ukrainische Angriffe auf Belgorod, bei denen auch Öldepots unter Beschuss gerieten. „Die ukrainischen Streitkräfte verfolgen die Strategie, die ungeschützte Logistik Russlands anzugreifen und die langen Versorgungslinien zu blockieren“, erklärt Experte Eder.

Er sieht die russischen Versorgungswege aus Belgorod in die Ukraine derzeit bedroht, aber noch nicht zerstört. „Russland muss nun mehr Truppen zur Sicherung der Versorgung einsetzen und kann diese nicht an die Front schicken.“

Lwiw: Raketenangriffe auch ganz im Westen

Hunderttausende Menschen sind seit Kriegsbeginn in die Großstadt Lwiw geflüchtet, etwa 70 Kilometer der polnischen Grenze entfernt. Ihr Bürgermeister berichtet, dass die Stadt ständig unter Raketenbeschuss stehe und die Menschen ganze Nächte in Luftschutzbunkern verbringen müssten. Meist treffen die Raketen Bahninfrastruktur. „Durch Angriffen auf Lwiw versucht Russland den Nachschub der Ukraine zu blockieren“, erläutert Brigadier Eder. Es gehe um Treibstoff, Verpflegung und Medizin aus anderen Landesteilen, aber auch um Waffen- und Munitionslieferungen aus dem Westen.

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14. Mai: Ukrainische Soldaten trauern um drei gefallene Kameraden.

Lwiw sei zudem einer der Knotenpunkte für ukrainische Soldaten, die im Westen der Ukraine ausgebildet werden. Ex-Nato-General Domröse verweist darauf, dass westliche Politiker über Lwiw nach Kiew reisen. „An den Westen ist das die Warnung: Macht keine Fehler, sonst landet die nächste Rakete auf polnischem Gebiet.“

Kiew: Erste Anzeichen von Normalität in der Zentralukraine

In Kiew kehrt das Leben zurück: Die U-Bahn fährt wieder auf allen drei Linien, die Strom- und Gasversorgung ist in der gesamten Region wieder hergestellt und erste ausländische Botschaften nehmen in der ukrainischen Hauptstadt wieder ihre Arbeit auf. Nachdem Russland erfolglos versucht hatte, Kiew zu erobern, zogen sich die russischen Truppen in den Osten zurück. Der Generalstab der ukrainischen Streitkräfte glaubt aber, dass Russland erneut versuchen wird, Kiew einzunehmen. Schon jetzt gibt es immer wieder Angriffe.

„Kiew bleibt weiterhin ein Angriffsziel Russlands, weil dort die Kommandostrukturen zusammenlaufen und Nachschub und Waffenlieferungen organisiert werden“, erklärt Bundesheer-Militärstratege Eder. Er rechnet mit weiteren Luftangriffen in den kommenden Wochen. Dass Putin aufgegeben hat, die ukrainische Regierung zu stürzen, glaubt er nicht. „Ich schließe nicht aus, dass der ukrainische Präsident weiterhin Angriffsziel russischer Spezialeinsatzkräfte ist.“

Mariupol im Südosten: eingenommen, aber auch unter Kontrolle?

Nach wochenlangen Kämpfen hat die russische Armee die Hafenstadt Mariupol nahezu vollständig erobert. Laut ukrainische Behörden halten sich weiter mehrere Hundert Kämpfer in den unterirdischen Schutzräume und Tunnelsystemen des Azovstal-Stahlwerks auf. Russland fliegt weiter Luftangriffe auf das Stahlwerk, beobachtet das renommierte „Institute for the Study of War“ (ISW). Aus dem Stadtrat hieß es, russische Truppen wollen das Stahlwerk vollständig zerstören. Prorussische Politiker erklärten, aus der Industriestatt ein Tourismus- und Kurort machen zu wollen.

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Ein zerstörter Panzer in der ukrainischen Hafenstadt Mariupol

„Die Einnahme von Mariupol ist für Russland ein wichtiger Erfolg, um die Ukraine vom Asowschen Meer abzuschneiden“, erklärt Experte Domröse. Ein Teil der russischen Truppen ziehe jetzt in Richtung Odessa, um an der Südküste weitere Städte zu erobern. Ein anderer Teil der Truppen müsse aber in Mariupol bleiben, um die Stadt gegen ukrainische Widerstandskämpfer zu sichern. „Wir sehen bereits in anderen besetzten Städten, dass dort Guerillakriege stattfinden.“

Von einst einer halben Million Einwohner leben nur noch wenige Zehntausend in Mariupol. Die russischen Besatzer wollen nun den Hafen bis zum 25. Mai von Minen und ukrainischen Schiffwracks befreien. „Russische Kräfte versuchen, über kurz oder lang die Hafenanlagen wieder benutzen zu können“, bestätigt Militärstratege Eder. Denn der Hafen von Mariupol spielt strategisch eine wichtige Rolle, auch für den Nachschub und die Versorgung der Südukraine und der Südostukraine. Russland könnte laut ISW-Lagebericht planen, das wirtschaftsstarke Mariupol an die russische Wirtschaft anzubinden.

Melitopol: Guerillakämpfe an der Südküste

Melitopol war eine der ersten Städte, die bereits kurz nach Beginn des Krieges erobert wurde und steht bis heute unter russischer Kontrolle. Heute ist die Stadt abgeriegelt, die Spuren des Kriegs sind beseitigt, die russische Währung Rubel eingeführt und Supermärkte tragen russische Namen. Vor der Militärverwaltung der moskautreuen Marionettenregierung weht die Nachbildung der Siegesflagge, die am 1. Mai 1945 über dem deutschen Reichstagsgebäude gehisst wurde und das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa symbolisierte. Doch es tobt ein Guerillakrieg in der Stadt: Ukrainische Kämpfer laut Medienberichten bereits mehr als 100 Soldaten umgebracht. Unabhängig überprüfen lassen sich die Berichte nicht. Experten halten den Widerstand aber für glaubwürdig. Domröse: „Das ist die die Macht des kleinen Mannes gegenüber einer Weltmacht.“

Cherson: Die Grenze der eroberten Gebiete an der Südküste

Der Dnepr im Westen von Cherson trennt den Teil der Südküste, der von Russland erobert wurde: Der westliche Abschnitt bis hin zu Odessa und darüber hinaus ist weiter in ukrainischer Hand, den östliche Abschnitt bis Mariupol hält Russland besetzt. „Bei Cherson wechseln die russischen Streitkräfte immer häufiger in den Verteidigungsmodus und die Ukrainer versuchen nun möglichst viel Gelände im Süden zurückzuerobern“, berichtet Militärstratege Eder.

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20. Mai: Ein russischer Soldat steht Wache in Cherson

Das Gebiet sei zwar nicht stark umkämpft, aber es gebe immer wieder Gegenangriffe ukrainischer Kämpfer, die Cherson zurückerobern wollen. „Cherson ist also derzeit noch alles andere als gesichert.“ Laut Eder versuche Russland das Gebiet zu verteidigen, um den Zugang zur Krim abzusichern. Der ukrainische Generalstab berichtete, dass die russischen Streitkräfte die Frontlinien mit Betonbauten verstärken und auf ukrainische Stellungen feuern.

Odessa: Will Putin die gesamte ukrainischen Südküste?

Mit Raketen- und Luftangriffen auf Odessa versucht Russland den Versorgungsweg aus dem Westen abzuschneiden. Die Brücke, die den Oblast Odessa mit der Autobahn nach Rumänien verbindet, ist Berichten zufolge seit mehr als zwei Wochen zerstört. „Es wird aber weiterhin Luftschläge auf Odessa geben“, sagt Experte Eder, denn für einen Angriff mit Bodentruppen würden Russland die Soldaten fehlen. „Gegen Angriffe vom Meer haben sich die Ukrainer mit Seeminen geschützt.“ Ein Angriff mit Marineinfanterie wäre für Russland mit einem hohen Risiko verbunden, so Eder.

Ex-Nato-General Domröse rechnet damit, dass die Kämpfe weiter aufflammen. „Putin verfolgt weiterhin das Ziel, die gesamte Küste einzunehmen und eine Verbindung über Odessa bis nach Transnistrien zu schaffen“, fürchtet er und dafür braucht er Odessa. Wenn die Hafenstadt fällt, wäre die Ukraine vollständig vom Schwarzen Meer abgeschnitten. Doch das Land ist auf den Zugang zum Wasser für den Weizenexport dringend angewiesen. „Die Ukraine muss Odessa unbedingt halten“, so Domröse. Er fürchtet blutige Kämpfe, weil Odessa für beide, die Ukraine und Russland, von hoher strategischer Bedeutung ist.

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