Kujat zu Afghanistan„Unsere Aufgabe ist es nicht, die Welt zu verbessern“

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Bundeswehr Afghanistan

Bundeswehrsoldaten 2011 in Kundus 

  • Harald Kujat war Generalinspekteur der Bundeswehr, als der deutsche Einsatz in Afghanistan begann.
  • Das Militär sei dort nicht gescheitert, sondern die Politik, sagte er nun.

Herr Kujat, was hat der Westen in und mit Afghanistan falsch gemacht?

Harald Kujat: Der militärische Einsatz ist nicht verloren worden. Die Politik ist gescheitert. Das Militär kann nur die Bedingungen dafür schaffen, dass politische Maßnahmen wirken können. Das politische Konzept, die Verantwortung für den politischen und wirtschaftlichen Aufbau auf verschiedene Staaten zu verteilen – das Lead-Nation-Prinzip – erwies sich von Anfang an als ungeeignet.

Hat Deutschland versagt?

Deutschland hat seinen Auftrag erfüllt. Der lautete: Bündnissolidarität nach den Terroranschlägen auf die USA 2001. Die Nato hatte erstmals den Bündnisfall ausgerufen. Und nicht zu vergessen: Die islamistischen Attentäter kamen aus Hamburg.

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Also stimmt der Satz für den Bundeswehreinsatz vom damaligen Verteidigungsminister Peter Struck nicht: Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt?

Nein. Der stimmte auch damals nicht. Struck wollte damit größere Unterstützung für den Einsatz bewirken. Der Westen, genauer die Nato, wollte Demokratie, wirtschaftlichen Aufschwung, selbsttragende Sicherheit nach Afghanistan bringen. Aber wir haben die Mentalität und die Wirkkraft des Islam in Afghanistan falsch eingeschätzt. Und wir müssen verstehen: Unsere Aufgabe ist nicht, mit Waffengewalt Demokratie einzuführen und die Welt zu verbessern.

Die Solidarität war schon früher erfüllt als 2021. Warum hat der Einsatz dann so lange gedauert?

Ich habe schon 2011 gesagt, dass der Einsatz gescheitert ist. Die Amerikaner haben unter Präsident Barack Obama 2014 das Konzept abrupt von Kampfeinsatz auf Ausbildung der afghanischen Streitkräfte umgestellt. Für die Taliban war das das Signal: Wir gehen raus. Sie mussten nur warten.

Warum hat die vom Westen ausgebildete Armee so gut wie keinen Widerstand geleistet?

Etwa ein Drittel der ausgebildeten afghanischen Streitkräfte ist bereits nach der Ausbildung zu den Taliban übergelaufen, die Taliban haben offenbar auch gezielt Leute geschickt, die Ausbildung war ja gut. Deshalb muss es auch niemanden wundern, dass die afghanische Armee so schnell zusammengebrochen ist.

Harald Kujat

Harald Kujat

Welche Fehler haben die USA gemacht?

Die Taliban hätten schon früher darauf dringen können, an der Regierung beteiligt zu werden, um dann später die Macht ganz zu übernehmen. Sie wollten aber mit dem Sturm auf Kabul und der Besetzung des Präsidentenpalastes den Westen demütigen. US-Präsident Joe Biden hat eine schlechte Afghanistan-Politik von seinem Vorgänger Donald Trump übernommen, der früh vom Abzug der Truppen sprach. Aber Biden hat es umgesetzt und auch noch das Datum Ende August festgelegt, um vor dem 20. Jahrestag der Anschläge auf das World Trade Center aus Afghanistan raus zu sein. Diese Symbolik haben die Taliban verstanden und in ihrem Sinne genutzt.

Wie geht es jetzt weiter?

Eine Umkehr der jüngsten Geschehnisse ist nicht möglich. Die Taliban haben sich nicht geändert. Sie werden grausam vorgehen, um ihre Macht zu festigen und einen furchtbaren Steinzeit-Islamismus zu installieren. Wirtschaftshilfen aus dem Westen sind ihnen egal. Afghanistan hat große geostrategische Bedeutung, es ist umgeben von fünf Nuklearstaaten. China und Russland haben längst Kontakte zu den Taliban geknüpft.

Was werden Peking und Moskau tun?

Sie werden ihren Einfluss in diesem strategisch für sie so wichtigen Land ausbauen. Der Westen hat mit dem Abzug der Truppen keine Basis mehr für eine politische Einflussnahme. Anfangs hatten wir 150.000 Nato-Soldaten im Kampfeinsatz in Afghanistan. Das sollte man bedenken, wenn man ein erneutes militärisches Eingreifen fordert. Und mit Luftschlägen kann man vielleicht einzelne Terroristennester bekämpfen, aber darüber hinaus wenig bewirken.

Welche Lehre muss Deutschland ziehen?

Wir haben Verantwortung für die Ortskräfte. Dass wir ihre Sicherheit nicht garantiert haben, ist ein großes Versagen. Der Einsatz muss sorgfältig zu allen politischen und militärischen Aspekten aufgearbeitet werden, um Lehren für die Zukunft zu ziehen. Insbesondere gilt es dort anzusetzen, wo es offensichtlich an sicherheitspolitischem Weitblick und strategischem Urteilsvermögen mangelte. Das sind wir auch unseren Soldaten schuldig. Vor der Bundestagswahl wird das wohl nicht mehr passieren. Aber wir dürfen es nicht aus den Augen verlieren.

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