Queen in Westminster Hall aufgebahrtFast jeder Zweite hat aus Trauer geweint

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Sarg Queen neu

Der Sarg der Königin in Westminster Hall.

London – Kurz bevor Königin Elizabeth II. das letzte Mal den Buckingham-Palast verließ, war es still, der Himmel blau. Man konnte Vögel zwitschern hören, so ruhig war es im sonst so unruhigen London. Beobachter deuteten dies als Ausdruck für den großen Respekt der Menschen für die Queen. Hunderttausende Trauernde und Gäste aus aller Welt säumten den Vorplatz des Palastes sowie die Prachtstraße The Mall. Dann, gegen 14.30 Uhr, verließ die Kutsche mit dem Sarg der Queen das Königshaus. Angeführt wurde der Zug von König Charles III. und seinen Söhnen Prinz William und Prinz Harry. Um Punkt 15 Uhr erreichten sie Westminster Hall, den ältesten Teil des Parlaments. Dort wird die Monarchin bis Montag aufgebahrt, damit sich die Menschen von ihr verabschieden können.

Zwei Millionen Menschen werden in London erwartet

In den kommenden Tagen bis zur Trauerfeier am Montag in Westminster Abbey werden laut Schätzungen rund zwei Millionen Menschen in London erwartet. Das Aufgebot an Sicherheitskräften ist gigantisch, die Anschlagsgefahr hoch. Schon in der Nacht zu Mittwoch harrten viele Menschen in der Nähe des britischen Parlaments aus, um einen Platz in der Schlange Richtung Westminster Hall zu erlangen, wo sie den Sarg der Queen passieren können. Hilfsorganisationen versorgten sie mit heißen Getränken und Snacks. Die Wartezeit könne bis zu 20 Stunden betragen, warnte das Königshaus im Vorfeld.

Eine der Wartenden war Lisa Simms. Die 54-Jährige, ausgestattet mit Vorräten und einem Klappstuhl, war aus der 45 Minuten entfernten Stadt Reading nach London gekommen, um Abschied von Elizabeth II. zu nehmen. „Ich liebe die Queen“, sagte sie, immer noch sichtlich gerührt und eingehüllt in einen Union Jack. „Sie war weise und gnädig und stand zu ihren Prinzipien.“

Fast jeder zweite Erwachsene hat wegen des Queen-Todes geweint

Die Nachricht vom Tod der Monarchin sei für sie ein Schock gewesen. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes YouGov hat fast jeder zweite Erwachsene wegen des Todes der Queen geweint.

Es war ein kollektiver Schock, den sich die sonst nicht zu Gefühlsausbrüchen neigenden Briten in den Tagen danach zu erklären versuchten. Der bekannte Radiomoderator Andrew Marr erzählte in einer Fernsehsendung, dass er bei der Nachricht von seinen Gefühlen überwältigt worden sei, weil sie ihn an den Tod seines Vaters erinnert habe. Es war ein Moment der Trauer, des Verlustes auf vielen Ebenen. Jetzt, einige Tage später, ist die Stimmung eher andächtig.

Beamte bleiben zu Hause

Seit dem Tod der Queen vor einer Woche bis zum Tag ihrer Beerdigung befindet sich Großbritannien offiziell in Staatstrauer. Damit steht das berühmte Riesenrad an der Themse, The London Eye, still, einige Theater und Museen bleiben geschlossen, Konzerte fallen aus, die Regierungsarbeit ruht. „Die Beamten wurden dazu aufgefordert, zu Hause zu bleiben“, bestätigte Jill Rutter von der Denkfabrik UK in a Changing Europe gegenüber dieser Zeitung.

Fast alle hielten sich daran. Und so waren am Dienstag, üblicherweise einer der wichtigsten Tage in der parlamentarischen Woche, nur wenige Regierungsbeamte in Westminster zu sehen.

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Die Nachricht zum Gesundheitszustand von Königin Elizabeth II. hatte die neu ernannte Premierministerin Liz Truss zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt erreicht; in jenem Moment nämlich, als sie am vergangenen Donnerstag dem Land nach einem zähen Wahlkampf endlich neue Hoffnung geben wollte. Doch noch während sie im Parlament das neue Hilfspaket ankündigte, warfen sich die Abgeordneten plötzlich nervöse Blicke zu. Denn zum selben Zeitpunkt verbreitete sich in den sozialen Medien eine offizielle Mitteilung des Palastes, dass die Ärzte sich um Königin Elizabeth II. sorgen würden. Um 18.30 Uhr gab es traurige Gewissheit. Kurz darauf wurde die nationale Trauerphase ausgerufen.

Truss hatte zwar angekündigt, dass jährliche Energierechnungen für alle Haushalte ab Oktober über einen Zeitraum von zwei Jahren bei einer Summe von umgerechnet rund 2800 Euro eingefroren würden und Unternehmen sechs Monate lang eine „gleichwertige Unterstützung“ erhalten sollten, sie ging in ihrer Erklärung jedoch nicht darauf ein, wie das geschätzt 150 Milliarden Euro teure Paket finanziert werden solle. Bedingt durch die Staatstrauer verschiebt sich die Ankündigung des Notfallbudgets nun immer weiter und damit auch die konkrete Hilfe.

Bühne für die Chefin

Bei der Frage der Finanzierung hatte die oppositionelle Labour-Partei eine Ausweitung der Übergewinnsteuer für Energieunternehmen vorgeschlagen. Dies lehnte Truss jedoch ab. „Aber jemand muss dafür bezahlen“, sagte Ulrich Hoppe von der Deutsch-Britischen Industrie- und Handelskammer. „Die Rechnung kommt.“ Experten fürchten außerdem, dass die Wirtschaft durch den weiteren Feiertag am Tag der Beisetzung stärker schrumpfen könne. Diese Ansicht teilt Hoppe nicht: „Das kann man im Rest des Jahres wieder ausgleichen.“

Rutter machte zudem auf einen Aspekt aufmerksam, über welchen in diesen Tagen kaum jemand spricht: „Eigentlich sollte aktuell die Kampagne für die Auffrischungsimpfungen gegen Covid für über 50-Jährige anlaufen. Aufgrund der Trauerphase steht jetzt jedoch alles still.“ Doch auch diese Zeit habe etwas Gutes, meinte sie. Schließlich böten die Veranstaltungen eine riesige Bühne für die neue Premierministerin. „Sie wird in den kommenden Tagen Regierungschefs und -chefinnen aus aller Welt treffen, die wegen der Beerdigung nach London kommen.“

Nicht alle trauern

Während die Mehrheit der Menschen der Queen gedenkt, nutzen manche die Trauerphase, um gegen die Monarchie zu demonstrieren. So zeigt ein Video, welches auf Twitter tausendfach geteilt wurde, wie ein junger Mann Prinz Andrew während einer Veranstaltung zu Ehren der Queen in Edinburgh verbal anging. Andrew sollte dieses Jahr wegen Missbrauchsvorwürfen durch die US-Amerikanerin Virginia Roberts Giuffre vor einem Gericht in New York aussagen. Das Verfahren wurde jedoch eingestellt, nachdem der Herzog von York eine Spende an eine Hilfsorganisation bezahlt hatte, die Rede war von 14 Millionen Euro. Für den Mann in Edinburgh war das Anlass, ihn als „kranken alten Mann“ zu beschimpfen.

Dies blieb nicht ohne Folgen. Zwei Männer warfen den Demonstranten auf den Boden. Die Polizei nahm ihn fest, und er wurde wegen Landfriedensbruch angeklagt. In London drängten Beamte einen Mann zu gehen, weil er ein Schild in der Hand hielt. Darauf stand „Not my King“, „Nicht mein König“. Die Metropolitan Police betonte gestern, auf die Vorkommnisse angesprochen, dass die Bürger ein Recht darauf hätten zu de monstrieren.

Meinungsfreiheit darf nicht untergraben werden

Bei Anwälten und Aktivisten schrillten dennoch die Alarmglocken – und zwar laut. Ruth Smeeth von der Organisation Index on Censorship bezeichnete die Verhaftungen als „zutiefst besorgniserregend“. Es dürfe nicht dazu kommen, dass die Trauerveranstaltungen versehentlich oder absichtlich dazu genutzt würden, die Meinungsfreiheit zu untergraben.

Ähnlich sieht das auch der 26-jährige Rufus, der sich diese Woche mit einem braunen Pappschild vor das Parlament in London stellte. Darauf geschrieben stand: „Gegen die Monarchie zu demonstrieren ist kein Verbrechen.“ Er bezeichnete die Festnahmen als einen extremen Verstoß gegen die Redefreiheit.

„Wenn Menschen verhaftet werden, weil sie ein Papier hochhalten, dann muss man kein Genie sein, um zu wissen, dass das falsch ist.“ Er mache sich Sorgen um die Macht der Polizei, aber auch darüber, dass während der zehntägigen Trauerphase das ganze Land stillstehe: „Ich glaube nicht, dass die Queen das gewollt hätte.“

Bei all der Trauer über den Tod der Queen: Was sich Britinnen und Briten in diesen Tagen nicht nehmen ließen, sind ihr Optimismus und ihre Fähigkeit, Veränderungen pragmatisch zu begegnen, betont Ulrich Hoppe. Der Wille, aus der Krise eine Chance zu machen, in solchen Situationen die Ruhe zu bewahren, gehöre zweifelsohne zu den beeindruckenden Fähigkeiten der Briten.

Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes YouGov ist mittlerweile die Mehrheit der Bevölkerung davon überzeugt, dass Charles III. ein guter König sein wird, obwohl die meisten das vor wenigen Wochen noch völlig anders sahen. 

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