Putin rückt entschlossen weiter vorWas bringen die Sanktionen überhaupt noch?

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Vladimir Putin zeigt sich weiterhin unbeeindruckt von den Sanktionen.

Seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine haben Regierungen weltweit ihre Sanktionen gegen Russland immer wieder verschärft. Nun haben EU und G7-Länder neue Sanktionen angekündigt. Trotzdem dringt der russische Präsident Wladimir Putin weiter mit aller militärischer Härte in die Ukraine vor. Es wächst die Sorge, dass die Sanktionen ihr Ziel verfehlen könnten. Sie treffen zwar die russische Wirtschaft und die Bevölkerung, aber Putin scheint sich von den Maßnahmen des Westens nicht beeindrucken zu lassen. Alle aktuellen Entwicklungen in unserem Liveblog.

Putin weiterhin unbeeindruckt

Zuletzt machte Putin immer wieder klar, dass er nur zu Verhandlungen bereit sei, wenn alle (!) russischen Forderungen erfüllt werden. Kein guter Ausgangspunkt für Verhandlungen. Erst recht nicht, wenn man auf die Kriegsziele Putins in der Ukraine schaut: Putin hat deutlich gemacht, dass er die gesamte Ukraine besetzen, die Regierung in Kiew stürzen und eine russlandfreundliche Regierung einsetzen will. „Diese Ziele wird Putin mit jedem, und ich wiederhole, mit jedem Mittel erreichen“, warnte der Politikwissenschaftler Johannes Varwick im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Sein Entschluss steht fest und ist aus meiner Sicht durch keine Sanktion der Welt zu beeinflussen.“

Ohnehin hätten Sanktionen in der Vergangenheit nie das erreicht, was man sich erhofft habe. Beispiel Russlands völkerrechtswidrige Annexion der Krim: „Letztlich hat sich der Westen tragischerweise mit den von Putin geschaffenen Fakten abgefunden“, räumt die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann gegenüber dem RND ein.

Ein genauerer Blick auf die Wirkungsweisen von Sanktionen zeigt, dass von Anfang an kaum nennenswerte Effekte zu erwarten waren. Denn damit Sanktionen eine Wirkung erzielen, muss die betroffene Regierung rational handeln und einen Kosten-Nutzen-Vergleich anstellen. Wenn die negativen Auswirkungen der Sanktionen größer sind als der Nutzen, wird die Regierung ihr Handeln ändern. Doch längst gehen Expertinnen und Experten davon aus, dass Russlands Präsident für rationale Argumente nicht mehr zugänglich ist. Er will die Ukraine um jeden Preis, unabhängig der wirtschaftlichen Katastrophe für das eigene Land.

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Schon jetzt nähert sich Russland dem wirtschaftlichen Ruin in einem rasanten Tempo: Die Rendite für russische Staatsanleihen lag am Wochenende bei knapp 20 Prozent. Für Russland ist es damit fast unmöglich geworden, sich am Kapitalmarkt Geld zu leihen. Selbst Uganda und Kenia stehen besser da. Ein weiterer Effekt von Wirtschaftssanktionen ist eigentlich, politischen Druck innerhalb des Landes auf die Regierung aufzubauen. Das Leiden der Zivilbevölkerung soll oppositionelle Kräfte stärken und die Regierung zu einer Änderung ihrer Politik bewegen. Putin hat jedoch von Anfang an in Russland das Narrativ verbreitet, der Westen werde in jedem Fall harte Sanktionen verhängen, egal, welche militärischen Schritte er unternehme. Über viele Jahre hinweg haben russische Staatsmedien im eigenen Land die Propaganda verbreitet, der Westen wolle Russland schaden. Auf dieses Narrativ baut Putin nun auf und kann - zumindest derzeit - auf den Rückhalt in der Bevölkerung setzen.

Strack-Zimmermann hofft auf Druck der Bürger

Die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann hofft trotzdem auf den Druck von innen. „Putin isoliert sein Land komplett, und ich hoffe, dass die Menschen in Russland das auf Dauer wahrnehmen und dagegen aufbegehren werden“, sagte sie dem RND. Dabei setzt sie auch auf die russischen Mütter: „Putin wird in diesem Krieg sehr viele seiner Soldaten verlieren und viele russische Mütter werden nach ihren Söhnen fragen, die im Krieg geblieben sind und von denen sie nichts mehr gehört haben.“ Auch im Tschetschenien-Krieg sei der Druck auf den Kreml groß gewesen, weil die Mütter der Soldaten auf die Straße gingen. Kann sich dies nun wiederholen?

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Ausschussvorsitzende Marie Agnes Strack-Zimmermann (FDP) hofft auf Druck aus dem Landesinneren.

Strack-Zimmermann hält größere Proteste durchaus in Russland für möglich, wenn die Menschen in den Großstädten merken, dass viele Waren fehlen und sich das Leben spürbar verändert. „Auch die Russen in den urbanen Regionen wollen reisen und Geld für westlichen „Luxus„ ausgeben“, sagte sie im Gespräch mit dem RND. Die unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen, aber auch die psychologische Wirkung der Sanktionen dürften daher nicht unterschätzt werden.

Sanktionen können gegenteiligen Effekt erzeugen

Politikwissenschaftler weisen aber darauf hin, dass Regimes, die ihren Machterhalt auf internationale Isolation und repressive Unterdrückung der Zivilbevölkerung aufbauen, recht immun gegen Sanktionen anderer Länder sind. Sanktionen könnten sogar den gegenteiligen Effekt haben und die Bevölkerung noch enger zusammenschweißen. „Wir können nicht erwarten, dass wir mit Sanktionen Akteure wie Putin verändern“, macht der Experte für Internationale Beziehungen, Johannes Varwick, gegenüber dem RND klar. Dass es langfristig Druck aus der Bevölkerung gegen Putin und seine Regierung gebe, hält er eher für unwahrscheinlich. „Die russische Regierung kann meiner Einschätzung nach ihren Kurs trotz aller Sanktionen durchhalten“, so der Experte und erklärt: „Sie hat einen stabilen Machtapparat, der auf Unterdrückung basiert und jeden Widerstand im Keim erstickt.“

Doch es gibt noch die reichen und mächtigen Oligarchen in Russland, die eng mit der Politik verbandelt sind und deren Vermögen im Ausland eingefroren wurde. Jachten beschlagnahmt, Konten gesperrt, Reiseverbote verhängt – wie lange lassen sie sich die Sanktionen noch gefallen? Bisher konnten die Sanktionen des Westens Putin nicht zum Einlenken bewegen, doch er instrumentalisiert sie nun für seine Kriegsführung. Er verbreitet das Narrativ, die Sanktionen des Westens seien vergleichbar mit einem militärischen Eingreifen und würden einer Kriegserklärung entsprechen.

Dies wirft ein ganz neues Licht auf das Verständnis von Wirtschaftssanktionen: Bisher hatte der Westen Sanktionen als eine Alternative zu einem militärischen Eingreifen gesehen, gewissermaßen als „bessere“ Waffe, die niemanden tötet. Nun müssen westliche Staaten damit rechnen, dass Putin neue Sanktionen als Vorwand missbrauchen könnte. „Er könnte die Sanktionen als westliche Eskalation darstellen, die eine nukleare Antwort verlangt“, meint Politikwissenschaftler Varwick und bewertet die Situation als „brandgefährlich“.

Doch der Westen hat kein anderes Mittel als Wirtschaftssanktionen, um Russland irgendetwas entgegenzusetzen. Denn die einzige echte Alternative, einen Nato-Eingriff, haben die Bündnispartner stets vehement abgelehnt. Schließlich ist die Ukraine kein Mitglied der Nato. Sanktionen bleiben somit die einzige Möglichkeit für den Westen, obwohl ihre kurzfristige Wirkung auf Putin äußerst gering sein dürfte. Ein Hoffnungsschimmer bleibt: Vielleicht haben die einflussreichen Oligarchen bald genug von Putins Kriegstreiberei auf ihre Kosten.

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