Steffen Baumgart im Interview„Köln hat mehr verdient als Abstiegskampf“

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Steffen Baumgart, Trainer des 1. FC Köln, gibt am Geißbockheim dem Kölner Stadt-Anzeiger ein Interview.

Kölns Trainer Steffen Baumgart beim Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger

Der 1. FC Köln startet am Samstag in das neue Jahr. Trainer Steffen Baumgart spricht in Teil 1 des Interviews über die gefährliche sportliche Situation, den Kader und die Zukunft von Jonas Hector.

Steffen Baumgart, Cheftrainer des Bundesligisten 1. FC Köln, sieht seine Mannschaft zwar im Abstiegskampf, doch den Klassenerhalt hält er für „absolut lösbar“. Dies sagt der 51-Jährige im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Samstag-Ausgabe). Der Coach kündigt an, noch lange am Geißbockheim arbeiten zu wollen. Baumgart will zudem mithelfen, den Traditionsklub wieder nach vorne zu bringen: „Denn dieser Standort hat mehr verdient als Abstiegskampf.“

Beim 1. FC Köln sei in Zukunft vielmehr „alles möglich“. Die Lage mit Tabellenposition 13 dürfe man zwar auf „keinen Fall unterschätzen“, aber Baumgart zeigte sich absolut zuversichtlich: „Wir sind im Abstiegskampf, aber mit uns sind das auch zwölf andere Teams.“ Er fügte hinzu: „Wenn wir in den bisherigen Spielen der Hinrunde andere Umstände und weniger Verletzte gehabt hätten, dann hätten wir eine ähnliche Saison wie 2021/22 spielen können. Man darf auch nicht vergessen, dass wir durch den Weggang von Anthony Modeste und die Verletzung von Mark Uth auf einen Schlag 30 erzielte Tore verloren haben.“

Herr Baumgart, einige Schlüsselspieler sind zurückgekehrt, und die Leistungen in der Vorbereitung waren vielversprechend. Speist sich daraus auch die Hoffnung, dass es nach dem Negativverlauf zuletzt wieder aufwärts geht und der FC nicht allzu lange um den Klassenerhalt zittern muss?

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Steffen Baumgart: Wir wollen den Abstand nach unten so schnell wie möglich vergrößern. Wir dürfen das auf keinen Fall unterschätzen, sondern darauf achten, nicht in eine Situation zu geraten, in der plötzlich der Bauch arbeitet, der Kopf – und Räder zu drehen beginnen, die bislang noch gar nicht in Bewegung sind. Wir sind im Abstiegskampf, aber mit uns sind das auch zwölf andere Teams. Wenn ich sehe, wie meine Mannschaft arbeitet, empfinde ich das als absolut lösbar. Wenn wir in den bisherigen Spielen der Hinrunde andere Umstände und weniger Verletzte gehabt hätten, dann hätten wir eine ähnliche Saison wie 2021/22 spielen können. Man darf auch nicht vergessen, dass wir durch den Weggang von Anthony Modeste und die Verletzung von Mark Uth auf einen Schlag 30 erzielte Tore verloren haben. Deshalb bin ich nicht der Meinung, dass sich die Mannschaft verschlechtert hat. Vielmehr habe ich das Gefühl, dass einiges immer besser funktioniert. Doch das müssen wir auch wieder in die richtigen Ergebnisse umwandeln.

Diese Mannschaft wirkte aber vor der Pause ausgelaugt.

Mental war sie aus meiner Sicht auf einem hohen Niveau, sonst hätten wir Leistungen wie gegen Leverkusen oder Hoffenheim nicht abliefern können. In Freiburg hätten wir vor dem Rückstand auch mehrfach in Führung gehen können. Gegen Hertha war dann allerdings der Moment erreicht, in dem ich gemerkt habe: Jetzt sind die Jungs durch, da war die Luft raus. Doch bis dahin hatten sie gegen alle Widrigkeiten angekämpft. Wir sind eine Entwicklungsmannschaft, und Spieler entwickeln sich am besten im Training. Doch das war bei dem Pensum an Spielen und wegen der vielen Verletzungen kaum noch möglich. Auch ein Künstler erarbeitet sich ja in den Proben, was er dem Publikum zeigen will. Wenn ich aber nicht mehr probe, wird das, was ich dem Publikum präsentiere, nicht mehr besser.

Mit dem erfahrenen Davie Selke haben Sie eine neue Option im Sturmzentrum. Ist Ihr Fußball mit den vielen Flanken nicht grundsätzlich das Paradies für einen Mittelstürmer?

Als Stürmer kann man sich nicht viel mehr wünschen, als in jedem Spiel fünf Strafraumaktionen zu bekommen. Das habe ich übrigens im letzten Jahr auch zu Tony gesagt: Du bist der, der es am Ende über die Ziellinie bringt. Aber nicht er als Spieler wurde deutlich besser, er hat nur die Möglichkeiten gehabt und dann irgendwann auch seine Tore erzielt.

Wenn ich das blinde Huhn ins Kornfeld setze, findet es sogar mehr als ein Korn
Steffen Baumgart über seine neuen Sturm-Optionen

Sie haben Modeste wiederbelebt. Werden Sie das bei Selke wieder hinbekommen?

Es gibt keine Wiederholungen. Was aber passieren wird: Unsere Stürmer werden in Abschlusssituationen kommen. Und da verhält es sich wie mit dem blinden Huhn und dem Korn: Wenn ich das blinde Huhn ins Kornfeld setze, findet es sogar mehr als ein Korn. Wenn ein Stürmer vier bis fünf Aktionen im Strafraum hat, fallen Tore. Und die brauchen wir auch.

Im Sommer laufen zahlreiche Verträge beim FC aus. Wie ist der 1. FC Köln aufgestellt?

Gut, würde ich sagen. Uns werden sicher nicht acht bis zehn Spieler verlassen, zudem haben wir Verantwortliche ja auch unsere Pläne und Vorstellungen. Ich gehe davon aus, dass uns vier, fünf Spieler verlassen werden und vier, fünf neue kommen. Das halte ich für eine normale Quote.

Könnten Sie es kompensieren, wenn Jonas Hector und Ellyes Skhiri aufhörten?

Das müssten wir. Aber auf Ellyes‘ Position haben wir mit Dejan Ljubicic, Mathias Olesen, Denis Huseinbasic und Erik Martel vier junge Spieler mit großem Potenzial, die alle die Zukunft noch vor sich haben. Mit diesen Spielern wollen wir hier etwas aufbauen. Denn dieser Standort hat mehr verdient als Abstiegskampf. Dank der Altersstruktur des Teams kann hier in den nächsten drei, vier Jahren eine richtig gute Bundesligamannschaft entstehen. Mit Abgängen und Zugängen.

Wie steht es um Ellyes Skhiri?

Wir wollen ihn mit aller Macht behalten. Aber es wird schwierig, ich bin ja kein Träumer. Dass er zum Nulltarif gehen kann, zieht ja allein schon Vereine an, mit denen wir finanziell nicht mithalten können. Trotzdem können auch wir ihm eine ganze Menge bieten: die Entwicklung des Vereins und der Mannschaft, dazu die Stadt. Ich werde das alles in die Waagschale werfen. Ob es dann reicht, werden wir sehen.

Jonas Hector, Kapitän des 1. FC Köln, hat seinen Spaß im Training.

Kapitän Jonas Hector mit Freude beim Training

Und wie sieht es bei Kapitän Jonas Hector aus?

Wenn ich ihn aktuell so sehe, dann möchte ich nicht auf ihn verzichten. Jonas hat aber einen Plan, wie sein Leben aussehen soll. Und er denkt darüber nach, wie er das gestaltet. Er wägt ab, und wir geben ihm die Zeit dafür. Er arbeitet absolut als Vollprofi, und ich sage: Wenn der keine Lust mehr auf Fußball hat, dann weiß ich es nicht. Das gibt mir den Glauben, dass er weitermacht. Selbst wenn es manchmal eine Quälerei ist.

Sie können es beurteilen, Sie waren selbst Profi.

Und es war der entspannteste Job, den ich je hatte. Ich hatte so viel Zeit mit meinen Kindern und meiner Frau. Als ich Trainer wurde, war mir klar: Da beginnt der Stress, von da an hat man nie wirklich frei. Was Fußballer als Stress ansehen, ist lächerlich. Die haben Zeit für Familie, Freunde, zum Einkaufen. Als Fußballer hat man ein wunderbares Leben.

Was Fußballer als Stress ansehen, ist lächerlich
Ex-Bundesligaspieler Baumgart über das Leben als Profi

Können Sie das auch Jonas Hector sagen?

Der ist ein kluger Mensch. Der macht sich genau diese Gedanken.

Könnte es auch sein, dass Hector einige Dinge im Profifußball komplett gegen den Strich gehen?

Auch das könnte ein Grund sein. Bereits zu meiner Zeit als Spieler hat sich der Profifußball rapide verändert. Bis 2000 hat fast keiner ein Handy. Da wusste keiner, dass man beispielsweise um 23 Uhr noch an der Tankstelle war. Heute würde das sofort in den sozialen Netzwerken auftauchen und negativ kommentiert. Das ist heute wesentlich anstrengender für die Spieler. Allerdings zwingt sie auch keiner, selbst Dinge bei Instagram und Co. zu posten – was Jonas aber ohnehin nicht macht.

Gibt es Pläne, Hector nach dessen Karriereende im Verein aktiv einzubinden?

Eine Einbindung bedeutet ja: Entweder macht er einen Trainerjob, oder er sitzt im Büro. Und wie hoch das Pensum in dem Job ist, dazu kann er ja gerne seinen ehemaligen Mitspieler Thomas Kessler (Leiter Lizenzbereich, d. Red.) befragen. Der Verein wird aber ganz sicher darüber nachdenken, wie man einen so verdienten Spieler wie Jonas einbinden kann – wenn er das denn überhaupt will.


Lesen Sie hier Teil 2 des Interviews, in dem Steffen Baumgart über seine Zukunft beim 1. FC Köln, einen möglichen neuen Standort in Marsdorf und die Strahlkraft des Bundesligisten spricht.

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