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Kartellamt zu 50+1Der deutsche Profifußball steht vor der Zerreißprobe

Lesezeit 6 Minuten
Fans des SC Freiburg protestieren im Wolfsburger Stadion gegen Werksvereine und Investorenklubs.

Fans des SC Freiburg protestieren im Wolfsburger Stadion gegen Werksvereine und Investorenklubs. 

Das Bundeskartellamt fordert von der DFL Nachbesserungen bei der 50+1-Regel, Bayer Leverkusen erwägt rechtliche Schritte.

Die Deutsche Fußball Liga steht wieder einmal vor einer Zerreißprobe: Bei der Prüfung der 50+1-Regel im deutschen Fußball hat das Bundeskartellamt die DFL zu Nachbesserungen aufgefordert – das betrifft vor allem Bayer 04 Leverkusen und den VfL Wolfsburg mit ihren Ausnahmegenehmigungen. Aber auch deren Bundesliga-Konkurrent RB Leipzig und Zweitligist Hannover 96 sind im Fokus.

Das Kartellamt kam bei der „vorläufigen kartellrechtlichen Bewertung“ am Montag zu dem Schluss, dass der Fußball in drei Bereichen nachjustieren muss. Ein Ende des mittlerweile sieben Jahre laufenden Verfahrens ist aber in Sicht. Grundsätzlich habe die Bonner Behörde keine grundlegenden Bedenken gegen 50+1, heißt es in deren Zwischenbescheid. Man sei aber der Ansicht, dass die DFL „konkrete Maßnahmen vornehmen sollte, um in Zukunft eine rechtssichere Anwendung der Regel sicherzustellen“.

Mit Blick auf die Ausnahmeklubs Bayer 04 Leverkusen und VfL Wolfsburg, die Mitgliederproblematik bei RB Leipzig sowie hinsichtlich der Auseinandersetzung um klubinterne Weisungen (Hannover 96 und Martin Kind) sollte die DFL neue Regelungen schaffen. Immerhin räumte das Amt ein, dass wegen der „wirtschaftlichen und sportlichen Bedeutung“ ein „längerer Übergangszeitraum“ für die Umsetzung gerechtfertigt sei. Experten gehen von einem Zeitraum zwischen drei und fünf Jahren aus.

Was die 50+1-Regel besagt – und was sich ändert

Im Kern besagt die 50+1-Regel, dass der Mutterverein immer die Stimmen-Mehrheit bei einer in eine Kapitalgesellschaft ausgegliederten Profiabteilung halten muss. So will die DFL den Einfluss von Investoren beschränken – anders als es in den anderen großen europäischen Fußballligen gehandhabt wird. In Bezug auf die beiden Klubs, die im deutschen Profifußball von der Regel ausgenommen wurden, Leverkusen und Wolfsburg, sagte Kartellamtspräsident Andreas Mundt: „Die DFL muss bei der vorgeschlagenen Änderung der Bestandsschutzregeln für die Förderklubs nachbessern, denn die europäische Rechtsprechung legt hier jetzt einen strengen Standard an.“

2021 gab es in dieser Hinsicht bereits einen Kompromissvorschlag, der auch vom Kartellamt befürwortet wurde: Bei einem zu hohen Verlustausgleich durch ihre Mutterkonzerne sollten die Klubs aus Wolfsburg und Leverkusen eine Art Luxussteuer bezahlen müssen. Zudem sollte ein Gremienposten für Vereinsvertreter geschaffen werden. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) 2023 stellten sich allerdings neue Herausforderungen, sodass dieser Kompromiss nie umgesetzt wurde.

Für meinen FC ist das eine gute Nachricht.
FC-Vorstandskandidat Jörg Alvermann

Bayer 04 Leverkusen reagierte auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ auf die neuen Entwicklungen mit einer Stellungnahme: „Die heute veröffentlichte, rechtlich unverbindliche Stellungnahme des Bundeskartellamts bedeutet einen bemerkenswerten Kurswechsel in der Frage der Rechtmäßigkeit der seit 25 Jahren bestehenden Ausnahme von der 50+1-Regel. Diese neue Einschätzung halten wir weder inhaltlich noch im Ergebnis für überzeugend. Gemeinsam mit der DFL und allen relevanten Akteuren werden wir die Sach- und Rechtslage sorgfältig prüfen und behalten uns dabei sämtliche rechtliche Optionen vor.“

Intern geht man bei Bayer 04 davon aus, dass sich der Prozess innerhalb der DFL über Jahre ziehen wird – mit offenem Ausgang. „Die 50+1-Regel ist elementarer Bestandteil des deutschen Fußballs. Das DFL-Präsidium wird sich weiter für den Schutz und den Fortbestand der Regel einsetzen“, ließ sich DFL-Präsidiumssprecher Hans-Joachim Watzke zitieren: „Klar ist: Der Ligaverband DFL e.V. wird Lösungen finden müssen, um die Regelung abzusichern und zu stärken.“

1. FC Köln: Fans waren schon lange gegen den Umgang mit der Regel

Jörg Alvermann (53), Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Sportrecht im Deutschen Anwaltsverein und Kandidat auf ein Vorstandsamt beim 1. FC Köln, sagt: „Die Bewertung des Bundeskartellamts ist eindeutig: Auf Dauer ist der Bestandsschutz für die Werksklubs kartellrechtlich nicht mehr zu rechtfertigen. Heißt: Auch hier müssen die Kapitalgesellschaften unter das Dach eines Muttervereins. Einen solchen Verein gibt es ja in beiden Fällen auch – allerdings müsste er zukünftig die Mehrheit der Stimmrechte in der Kapitalgesellschaft bekommen.“

Fans des 1. FC Köln wehren sich gegen den bisherigen Umgang mit der 50+1-Regel.

Fans des 1. FC Köln wehren sich gegen den bisherigen Umgang mit der 50+1-Regel.

1999 wurde die Bayer 04 Leverkusen Fußball GmbH gegründet. Alleiniger Gesellschafter ist die Bayer AG. Möglich wurde das durch die sogenannte „Lex Leverkusen“. Die DFL genehmigte die Ausnahme von der 50+1-Regelung, da die Bayer AG den Fußballsport des Muttervereins Turn- und Sportverein Bayer 04 Leverkusen e. V. mehr als 20 Jahre ununterbrochen und erheblich gefördert habe. Diese Ausnahmeregelung wurde dann auch auf den VfL Wolfsburg und VW angewandt.

Die Bayer AG hält ihre Anteile an der Bayer 04 Leverkusen Fußball GmbH zu sechs Prozent selbst sowie zu 94 Prozent über die Erste K-W-A Beteiligungsgesellschaft mbH (ein 100-prozentiges Tochterunternehmen) und verzichtet auf die Veröffentlichung der Jahresabschlüsse der Bayer 04 Leverkusen Fußball GmbH. Mit dieser Tochtergesellschaft wurde ein Gewinnabführungsvertrag geschlossen, der auch besagt, dass die Bilanzen bei Verlust ausgeglichen werden.

„Für meinen FC ist das eine gute Nachricht. Wir haben in Köln eine starke Mehrheit für 50+1 und gegen Investoren. Die Umsetzung der rechtlichen Vorgaben wird ein Stück weit für mehr Wettbewerbsgleichheit sorgen. Allerdings sollten wir die bisherigen Ausnahmen nicht als Ausreden verstehen. Die sportlichen und wirtschaftlichen Probleme des FC waren in der Vergangenheit weit überwiegend selbstverschuldet“, betont Alvermann.

Kartellamtspräsident Mundt sprach indirekt auch die Fälle RB Leipzig und Hannover 96 an: „Maßgeblich wird erstens sein, dass die DFL bei allen Vereinen der Bundesliga und 2. Bundesliga gleichermaßen für offenen Zugang zur Mitgliedschaft und damit für die Mitbestimmung der Fans sorgt. Zweitens sollte die DFL sicherstellen, dass die Wertungen der 50+1-Regel auch bei ihren eigenen Abstimmungen beachtet werden.“

RB Leipzig wird von vielen deutschen Fans kritisch gesehen. Denn die RasenBallsport Leipzig GmbH, an der die Red Bull GmbH zu 99 Prozent und der e.V. zu einem Prozent beteiligt sind, übernahm im Dezember 2014 die Lizenzspielerabteilung. Der eingetragene Verein hat die Stimmenmehrheit zur Wahrung der 50+1-Regel. Bei RB gibt es nur 23 stimmberechtigte Mitglieder. Wer Mitglied werden kann, bestimmt der Verein.

Beim Zweitligisten Hannover 96 herrscht seit Jahren ein Machtkampf zwischen dem Verein und der Kapitalseite. In dessen Mittelpunkt steht der langjährige Präsident und Geschäftsführer des ausgegliederten Profifußball-Bereichs, Martin Kind (81). So wies die Vereinsführung den Unternehmer an, gegen den Einstieg eines Investors bei der DFL zu stimmen.

Sonderfall Hannover, wo Martin Kind den Verein zu dominieren versucht

Wie Kind tatsächlich bei der DFL-Mitgliederversammlung im Dezember 2023 entschied, hat er bislang nicht verraten. Das Ergebnis und seine Meinung zu diesem Thema ließen aber darauf schließen, dass er sich der Weisung widersetzt habe.

Alvermann: „Jetzt sind die DFL und die Klubs gefordert: Es müssen klare Standards in den Satzungen der DFL und der Klubs geschaffen werden. Dies muss man noch in diesem Jahr angehen. Sind die betroffenen Klubs nicht bereit, ihre Strukturen anzupassen, kommt es zum Schwur: Die DFL-Klubs können Satzungsverschärfungen (also Wegfall Ausnahmen, offenes Stimmverhalten, offene Mitgliedschaft) mit Zweidrittelmehrheit beschließen. Hier wird sich zeigen, wie ernst es den einzelnen Vereinen mit 50+1 ist.“ (mit dpa, sid)