Alexander ZverevDas lange Warten auf den großen Triumph

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Alexander Zverev bei der Siegerehrung nach dem US-Open-Finale

  • Die Niederlage von Alexander Zverev im US-Open-Finale offenbart die Schwäche im Spiel von Deutschlands bestem Tennisspieler.
  • Gegen Dominic Thiem stand Zverev mehrfach vor dem Sieg. Er scheiterte jedoch – wie schon oft zuvor – mehr an sich selbst an am Gegner.
  • In der kommenden Woche beginnen die French Open. In Paris zählt Zverev allerdings nicht zu den großen Favoriten.

Köln – Das ist zu viel für ihn. Als Alexander Zverev am vergangenen Sonntag bei der Siegerehrung im Anschluss an das US-Open-Finale vor das Mikrofon tritt und nach den ersten Gratulationen an seinen siegreichen Kontrahenten Dominic Thiem zu dem Teil der Rede übergeht, in dem üblicherweise der Familie für die Unterstützung gedankt wird, bricht es aus Deutschlands bestem Tennisspieler heraus.

Sekundenlang muss Zverev seine Ansprache unterbrechen, um dann mit tränenerstickter Stimme doch noch seiner Stimmungslage Ausdruck zu verleihen. „Es sind einige wichtige Leute, die heute fehlen“, sagt Zverev. „Ich möchte meinen Eltern danken“. Seine Stimme versagt. Mutter Irina Zvereva und Vater Alexander Michailowitsch Swerew waren im Vorfeld der US Open an Covid-19 erkrankt und hatten die Reise nach New York nicht antreten können. „Ich bin sicher, sie sind zuhause und bestimmt auch so stolz auf mich.“

Bitteres Finale für Alexander Zverev

In Zverevs Karriere spielt die Familie eine derart prägende Rolle wie bei kaum einem anderen Tennisprofi. Sein Vater Michail, ehemaliger sowjetischer Davis-Cup-Spieler, seine Mutter Irina, eine der besten russischen Tennisspielerinnen ihrer Zeit, und Bruder Mischa, ebenfalls Profi, sind eigentlich immer da. In dem wohl bittersten Moment seiner Karriere fehlen sie. Innerhalb des rund vier Stunden andauernden Finals gibt es drei Momente, in denen es danach aussieht, als würde Zverev am Ende die Siegesrede halten – nach 2:0-Satzführung, nach 5:3-Führung im fünften Satz und im entscheidenden Tiebreak, in dem sich Gegner Thiem vor Erschöpfung kaum auf den Beinen halten kann. Es kommt anders. Alexander Zverev muss seinem Kontrahenten gratulieren und beschließt seine Rede mit den Worten: „Ich hoffe, eines Tages kann ich eine Trophäe nach Hause bringen.“

Dieses Ziel rückt nun wieder in einige Entfernung. Zwar beginnen in einer Woche die French Open, Zverev gehört dort allerdings nicht zum Kreis der Favoriten.  In Paris kehrt Rafael Nadal, Zweiter der Weltrangliste, auf die Tour zurück und strebt den 13. French-Open-Triumph seiner Karriere an. Novak Djokovic, Weltranglisten-Erster, reist nach dem Eklat um seine Disqualifikation im Achtelfinale der US Open ausgeruht nach Paris.

Triumph in Paris wäre eine Sensation

Und Dominic Thiem, in den vergangenen beiden Jahren jeweils ins Finale eingezogen, tritt mit dem Selbstvertrauen des Sieges in New York an. Und Zverev? Der 23-Jährige stand in den vergangenen beiden Jahren immerhin im Viertelfinale der French Open, scheiterte dort jedoch 2018 an Thiem und 2019 an Djokovic – jeweils deutlich in drei Sätzen. In diesem Jahr verzichtet Zverev nach den kräftezehrenden US Open auf das Vorbereitungsturnier am Hamburger Rothenbaum, ein Triumph in Paris wäre eine Sensation.

Dabei ist es der große Wurf, auf den Zverev mit seiner Familie seit seiner Kindheit hinarbeitet. „Wir leben Tennis. Wir atmen Tennis, den ganzen Tag lang“, sagte Mutter Irina über ihr Familienleben. Schon Bruder Mischa sollte es einmal in die Weltspitze schaffen. Mit Härte und Disziplin wollte Vater Michail seinen ältesten Sohn auf eine ruhmreiche Karriere vorbereiten – zunächst mit Erfolg:2004 war er Dritter der Junioren-Weltrangliste, 2005 gab er sein Debüt auf der Profitour, 2006 schlug er den damaligen Weltranglisten-Ersten Juan Carlos Ferrero in Peking, 2008 erreichte er die dritte Runde in Wimbledon.

Tennisverrückte Familie

In entscheidenden Momenten versagten ihm aber oft die Nerven. Den Erwartungen seiner Eltern und der Öffentlichkeit hielt zunächst sein Geist und kurze Zeit später auch sein Körper nicht mehr stand. Nach zahlreichen Verletzungen war er mit Mitte 20 kurz davor, seine Karriere zu beenden. Die Hoffnung seines Vaters, aus seinem Sohn einen Topstar zu machen, zerschlug sich.

Just in dieser Zeit kam Alexander, zehn Jahre jünger, in ein Alter, in dem die Weichen für eine Tenniskarriere gestellt werden. Schon früh hatte Mischa seinen Bruder mit auf den Tennisplatz genommen. Ob aus einem hoffnungsvollen Talent ein Profi wird, entscheidet sich aber maßgeblich im Teenager-Alter. Vater Michail wählte andere Methoden, lernte, dass zu viel Druck auch schädlich sein kann und behandelte Alexander sanfter.

Das lange Warten auf Erfolge bei großen Turnieren

Auffällig ist, dass Alexander vor allem in den Anfangsjahren seiner Karriere häufiger Probleme mit seinem Temperament hatte. Alexander schaffte dennoch in rasanter Geschwindigkeit den Sprung in die Weltspitze, hat alle Topspieler geschlagen. Doch schon in der Jugend hieß es bei Gegnern, dass er sich schon irgendwann aufregt – und dann auch für weniger talentierte Spieler schlagbar wird.

Dieser Charakterzug und dessen negative Begleiterscheinungen haben dafür gesorgt, dass Zverev vergleichsweise lange darauf warten musste, in ein Halbfinale bei einem Grand-Slam-Turnier einzuziehen. Oft schied er früh aus – oder verbrachte schon in den ersten Runden viel mehr Zeit auf dem Platz als die Turnierfavoriten und litt dann im weiteren Verlauf unter dem Kräfteverschleiß.

2019 wurde ein Jahr zum Vergessen

Der Sieg beim ATP-Finale 2018 in London, dem bislang größten Erfolg in Zverevs Karriere, sollte der Durchbruch werden. Es kam anders. Statt des Angriffs auf die großen Drei folgte ein Jahr zum Vergessen – mit dem Tiefpunkt beim ATP-Turnier Cincinatti, als er in der ersten Runde gegen den Qualifikanten Miomir Kecmanovic unfassbare 20 Doppelfehler in drei Sätzen produzierte und ausschied.

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Im Januar dieses Jahres folgte dann der Neustart. Der Einzug ins Halbfinale der Australian Open war ein weiterer Schritt in der Karriere des Alexander Zverev. Es folgte aufgrund der Corona-Pandemie eine halbjährige Wettkampfpause, in der er mehrfach für negative Schlagzeilen sorgte – zunächst, weil er bei der umstrittenen, von Novak Djokovic organisierten Adria-Tour auftrat und sämtliche Hygieneregeln missachtete, sich dann  als geläutert präsentierte, kurze Zeit später aber in einem Instagram-Video bei einer Party des Designers Philipp Plein zu sehen war und erneut den Eindruck erweckte, als gebe es keine Pandemie.

Mit der Wiederaufnahme des Spielbetriebs in New York folgte dann mit dem Einzug ins Finale der US Open der nächste Schritt. Weil die Dominatoren der Szene verletzungsbedingt (Federer), pandemiebedingt (Nadal) oder eklatbedingt (Djokovic) keine Rolle spielten, bestand die große Chance, diesen zu überspringen. Es war auch nicht in erster Linie Dominic Thiem, der ihm im Weg stand. Im entscheidenden Moment, dem Tiebreak des fünften Satzes, scheiterte Zverev erneut an sich selbst, produzierte Doppelfehler und unterlag gegen einen Spieler, der mit seinen Kräften am Ende war. Die Enttäuschung darüber ist ungleich größer.

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