Bayer 04 nach Sieg gegen BayernDemut ist der neue Werkself-Slogan

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Leverkusens Torwart Lukas Hradecky (l) und Bayerns Serge Gnabry in Aktion.

Leverkusens Torwart Lukas Hradecky (l) und Bayerns Serge Gnabry in Aktion.

Bayer 04 Leverkusen gewinnt gegen den FC Bayern und will auf dem Teppich bleiben. Ein neues Ziel hat die Werkself aber dennoch.

Zähne, Zähne und nochmal Zähne waren am Sonntagabend im Bauch der BayArena zu sehen. Da wurde bei den Leverkusener Spielern und Verantwortlichen so richtig um die Wette gelächelt. Klar, ein Sieg gegen den oft übermächtig erscheinenden FC Bayern München kommt schließlich nicht alle Jahre vor. Was die Fans von Bayer 04 nach diesem Feiertag aber zusätzlich positiv stimmen darf: Es wurde zwar viel gelächelt, von Übermut war aber rein gar nichts zu hören. Im Gegenteil: Demut ist der neue Werkself-Slogan – trotz sieben Spielen am Stück ohne Niederlage.

Lukas Hradecky gab nach dem 2:1 gegen den Rekordmeister den Klub-Tenor vor: „Wir dürfen jetzt nicht über den Wolken schweben, sondern müssen weiter demütig arbeiten.“ Denn genau so hat sich Leverkusen eben aus der Krise befreit. Der Bayer-Torhüter kann sogar exakt den Zeitpunkt festmachen, an dem sich alles zum Positiven geändert hat: „Uns hat vor allem Monaco gutgetan, als wir das Spiel gedreht haben. Das war die Initialzündung, jetzt werfen wir uns richtig in die Zweikämpfe. Das ist die Basis, so muss es bleiben.“

Von dieser Basis, gepaart mit spielerischer Klasse waren dann auch die Bayern beeindruckt. Unisono gab das Starensemble von der Isar zu Protokoll, dass es als verdienter Verlierer den Platz verlassen habe. Dieses 2:1 war dabei auch ein Sieg des Trainers. Julian Nagelsmann gilt als Taktiker mit Ideenreichtum. Doch das Duell der Coaches gewann am Sonntag klar Xabi Alonso.

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Der Bayer-Trainer hatte sich gegen seinen Ex-Klub für eine überraschende Variante in der Dreierkette entschieden. Jonathan Tah musste auf die Bank, dafür gab Mittelfeldspieler Robert Andrich den Ausputzer. „Nach meinem Mittagsschlaf hat er mir geschrieben: Rob, Du spielst heute Libero“, erzählte Andrich über seinen   Austausch mit Alonso kurz vor der Partie. Es war ein Schachzug, dem die Münchner wenig entgegenzusetzen hatten. „Das war hervorragend von Xabi“, lobte dann auch folgerichtig Sportgeschäftsführer Simon Rolfes.

Exequiel Palacios mit Bestleistung

Andrich und seine Nebenmänner Odilon Kossounou und Edmond Tapsoba räumten in der Luft und auf dem nassen Rasen (fast) alles rigoros ab. Dass Kossounou den Ball beim 0:1 abfälschte, sah Hradecky keineswegs als Problem an: „Ich werde meinen Verteidigern nie verbieten, dass sie alles für die Mannschaft reinwerfen und Schüsse blocken.“

Nun hätte man annehmen können, dass Andrich dann im Zentrum eine nicht zu füllende Lücke hinterlassen würde. Dem war aber nicht so, aus zweierlei Gründen. Erstens hatte sich Exequiel Palacios seine bisher wohl beste Partie im Bayer-Trikot für diesen großen Abend gegen die Bayern aufgehoben. Zweitens zeigte Kerem Demirbay seinen Kritikern, dass er im Stande ist, mit seinen technischen Fertigkeiten im eigenen Ballbesitz Druck des Gegners zu absorbieren. So gelang es den laufwilligen und zweikampfstarken Leverkusenern den Favoriten – bis auf die Schlussphase – weit weg vom eigenen Tor zu halten.

Das Spiel gedreht hatten sie im zweiten Durchgang dank Video-Assistent Sören Storks, der Hauptschiedsrichter Tobias Stieler zwei Mal dabei half, sich zu korrigieren.Dass Stieler dabei zwei Mal dem wendigen Bayer-Angreifer Amine Adli eine Schwalbe unterstellt hatte, wollte Hradecky hernach aber nicht gegen ihn verwenden. „Der Schiedsrichter muss sich eigentlich nicht entschuldigen, ich muss auch ihn loben“, sagte der Keeper, der in der Schlussphase den Sieg mit tollen Paraden festhielt. „Vielleicht stand er nicht so gut bei den Szenen und hat das Foul jeweils nicht gesehen. Er hat sich aber zwei Mal korrigiert. Das zeigt auch Größe.“

Die Werkself hat sich mit diesem Erfolg die Latte, an der sie im restlichen Verlauf der Saison gemessen werden wird, sehr hoch gelegt. Vor allem, da sie ja noch am Donnerstag unter höchster Anspannung bei Ferencváros Budapest (2:0) den Einzug ins Europa-League-Viertelfinale dingfest gemacht hatte. „Ich war positiv überrascht, dass wir imstande waren, solch eine Leistung nach einer Europapokalwoche abzuliefern“, betonte Hradecky. „Darauf bin ich sehr stolz. Diese Intensität und Leidenschaft habe ich diese Saison so noch nicht gesehen. Das war unsere beste Saisonleistung.“

Rolfes bekam deshalb das Gewinnergrinsen kaum aus dem Gesicht, beschwor aber ebenfalls, auf dem Teppich zu bleiben. „Von der Entwicklung her kommen wir dahin, wo wir hinwollen. Die Saison ist aber noch lang, wir wollen Stück für Stück besser werden. Das gilt auch nach so einem Sieg gegen Bayern“, sagte er.

Bei aller selbst verordneten Demut, glauben die Bayer-Akteure in einer über weite Strecken verkorksten Saison nun wieder an sich - und haben sich auch ein neues Ziel gesteckt: Platz sechs ist schließlich nur noch drei Punkte entfernt. Hradecky: „Hoffentlich kommt die Länderspielpause jetzt nicht zu einem schlechten Zeitpunkt, aber wenn wir so weitermachen, sollte die Europa-League-Qualifikation realistisch sein.“

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