Porträt des Bayer-04-TrainersXabi Alonso - zwischen Hype und Hoffnung

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Zurück in seiner Heimat im baskischen San Sebastián: Xabi Alonso.

Zurück in seiner Heimat im baskischen San Sebastián: Bayer-04-Trainer Xabi Alonso.

Xabi Alonso gilt als nächster Star-Trainer. Was ihn ausmacht und wie er mit seinen Spielern umgeht.

Leichte Hocke, volle Körperspannung, Hände auf die Oberschenkel gepresst, dann brüllt er: „Push, push, push!“ Xabi Alonso lebt Fußball mit jeder Faser seines Körpers. Aus dem Verein heißt es, nach einer Trainingseinheit sei der Coach von Bayer 04 Leverkusen mindestens eine halbe Stunde nicht wirklich ansprechbar, da er so unter Strom stehe. Diesen Eindruck unterstreicht der Spanier in den ersten Trainingswochen der neuen Saison. Alonso weiß: Er kann in dieser Spielzeit den vielleicht wichtigsten Schritt seiner Karriere nach der Karriere machen. Und er unternimmt alles dafür, später nicht mit Reue auf diese Zeit zurückblicken zu müssen.

Die Leverkusener Verantwortlichen sind sich ohnehin bereits sicher, dass der Weg Alonsos vorbestimmt ist. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, er werde definitiv mal in einem Atemzug mit Trainergrößen wie Pep Guardiola und Jürgen Klopp genannt werden. Die große Frage: Wie lange wird der Trainer dann noch auf der Werkself-Bank sitzen? Sein Vertrag läuft im kommenden Juni aus. Eine Vertragsverlängerung ist natürlich der Wunsch des Klubs, für Alonso macht sie aber wenig Sinn. Sie wäre eher als Geste der Dankbarkeit gegenüber des Vereins zu verstehen, der dann bei einem Wechsel womöglich eine festgeschriebene Ablösesumme kassieren würde. Dass der 41-Jährige über 2024 hinaus bei Bayer 04 bleibt, glaubt niemand so wirklich. Und wenn er doch bleiben sollte, hätte das aller Voraussicht nach einen bitteren Beigeschmack: Denn dann wäre der Verbleib wohl das Resultat einer sehr mauen Spielzeit.

Derzeit haben sich beide Seiten auf eine klare Sprachregelung geeinigt: Kaderplanung und Saisonstart hätten Priorität, danach werde man sich über eine mögliche, weitere Zusammenarbeit austauschen. Fakt ist, dass vor allem die Leverkusener Königstranfers in diesem Sommer ihr Kommen in die Farbenstadt zu großen Teilen vom Trainer abhängig gemacht haben. Egal, ob Granit Xhaka, Jonas Hofmann oder Alejandro Grimaldo - alle schauen zu Alonso auf, dem ehemaligen Spieler, der das Mittelfeld beim FC Liverpool, Real Madrid oder dem FC Bayern München dominiert hat. Aber sie blicken eben auch zu dem jungen Trainer auf, bei dem nie weniger als 100 Prozent Bereitschaft und Konzentration reichen - so sagt es Hofmann.

Nachlässigkeiten nicht geduldet

Zu spüren bekamen das im Trainingslager im österreichischen Saalfelden unter anderem Timothy Fosu-Mensah und Jeremie Frimpong, denen vom Coach in zwei Szenen während der Trainingseinheiten deutlich nahegelegt wurde, ihre Körpersprache zu verbessern. Alonso pflegt generell einen sehr respektvollen Umgang mit seinen Spielern, nimmt sich immer wieder Zeit für intensive Einzelgespräche. Nachlässigkeiten in jeglicher Form duldet er aber nicht. Dann wird sein sprachlicher Englisch-Spanisch-Deutsch-Mix, mit dem er das Training leitet, rauer und die Gesten bestimmender.

Um den Spielern auf die Sprünge zu helfen, was er in jeder Sekunde der 90 Minuten sehen will, ist Alonso jedes Mittel recht. Wenn es nötig ist, weil die Anzahl der Akteure in einer Trainingsform ungerade ist, wechselt er sich auch gerne selbst ein. Verteidiger Odilon Kossounou ist durch diese Eindrücke davon überzeugt, dass kein Spieler im Kader die Passqualität von Alonso habe. Wer die scharf und präzise geschlagenen Diagonalbälle in Österreich gesehen hat, ist gezwungen, dem zuzustimmen - obwohl im Kader Spieler wie Florian Wirtz oder Granit Xhaka stehen. Diese Gabe ist sicher einer der Bausteine, der Alonso eine große Glaubwürdigkeit verschafft. Nach dem Motto: Der Mann weiß, wovon er redet.

Nach den Eindrücken der Vorsaison ist das Hauptziel „eine Mentalität zu bauen“ - wie es Alonso nennt. Dass er eine fußballerisch außergewöhnlich talentierte Mannschaft beisammen hat, ist ihm bewusst. Er weiß aber vor allem auch, dass dem Team in der wichtigsten Phase der vergangenen Saison etwas Entscheidendes gefehlt hat. Die AS Rom zog gegen Leverkusen ins Europa-League-Finale nicht etwa ein, weil sie besser war, nein, sie war einfach nur abgezockter.

14-Spiele-Serie ohne Niederlage

Was viele bei all den Lobhudeleien vergessen: Leverkusen ist die erste Erstliga-Station für Alonso als Trainer. Sein sicher ganz eindrucksvoller, aber bisher einziger Erfolg ist eine 14-Spiele-Serie ohne Niederlage in der Rückrunde, die Bayer 04 ins Europapokal-Halbfinale brachte und in der Liga nach oben spülte. Dennoch: Am letzten Spieltag brauchte die Werkself die Unterstützung der abgestiegenen Hertha, weil man selbst bei Abstiegskandidat VfL Bochum mit 0:3 unter die Räder geriet. Aus eigener Kraft hat man die Europa  League nicht erreicht.

Diese faktische Relativierung interessiert die Fachwelt in Spanien aber eher nicht, dort reicht der Name Xabi Alonso aus, um ihn nach diesem 14-Spiele-Lauf zum Top-Kandidaten auf die Nachfolge von Carlo Ancelotti bei Real Madrid zu ernennen. Die italienische Legende wird 2024 Trainer der brasilianischen Nationalmannschaft.

Als Zeichen dafür, wie ernst dieses vermeintliche Interesse von einem der größten Klubs der Welt genommen wird, kann die Begleitung mehrerer spanischer Journalisten ins Trainingslager dienen. Ein TV-Team und ein Redakteur der Sportzeitung „Marca“ verfolgten Alonso auf Schritt und Tritt, befragten ihn natürlich auch nach Real, was er aber mit einem charmanten Lächeln und einer Nicht-Aussage erwiderte.

Alonso vermittelt jederzeit den Eindruck, er habe vor allem eine Sache im Fußballgeschäft gelernt: Es zählt nur die Gegenwart. Die Zukunft interessiert ihn nicht, ihn interessiert nur der nächste Zweikampf, der nächste Pass und das nächste Tor.

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