Robert Andrich ist seiner Leaderrolle bei Bayer Leverkusen in dieser Saison bisher nicht gerecht geworden. Es wird Zeit, zu liefern.
Leader oder Mitläufer?Andrich ist bei Bayer 04 mehr gefordert denn je

Leverkusens Robert Andrich am Ball in der Champions League beim FC Kopenhagen.
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Vor etwas mehr als drei Wochen stand Robert Andrich im Bauch des Weserstadions und sagte zwei Sätze, die tief blicken ließen: „Wir haben zu viele Leute, die sich mit anderen Sachen oder nur mit sich selbst beschäftigen. Ich weiß nicht, ob ich das bei Bayer jemals erlebt habe.“ Eine katastrophale Momentaufnahme der Situation der Leverkusener nach dem 3:3 nach 3:1-Führung in Überzahl in Bremen und einem verpatzten Saisonstart.
Einen Trainerwechsel und knapp einen Monat später hat sich die Gemengelage zwar allem Anschein nach etwas gebessert, sie ist aber weit davon entfernt, als gut bezeichnet werden zu können. Bayer 04 ist mitten im Umbruch und einer, der ihn maßgeblich mitgestalten muss, ist Robert Andrich.
Ex-Coach Erik ten Hag hatte den 31-Jährigen in der Vorbereitung zum Kapitän gemacht, bezeichnete ihn als „starke Leaderfigur“. Den Nachweis blieb er allerdings sowohl unter ten Hag als auch unter Nachfolger Kasper Hjulmand bisher über weite Strecken schuldig. Beim mauen 1:1 gegen Borussia Mönchengladbach am Sonntag saß Andrich auf der Tribüne – selbstverschuldet. Beim Debüt von Hjulmand gegen Eintracht Frankfurt (3:1) hatte er zunächst eine Gelbe Karte nach unnötigem taktischem Foul im gegnerischen Strafraum gesehen. Dann war er völlig übermotiviert in einen Zweikampf nahe der Mittellinie gegangen – Gelb-Rot und Sperre fürs nächste Bundesligaspiel.
Neue Chance als Haltgeber
Beim Auftakt in die Champions League am vergangenen Donnerstag beim FC Kopenhagen (2:2) stand er hingegen wieder in der Startelf. Auch in dieser Partie konnte er seiner Mannschaft aus zentraler Position aber nicht den Halt und die Führung geben, die sie gebraucht hätte. Am Samstag beim FC St.Pauli (15.30 Uhr, Dazn und Sky) bekommt Andrich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die nächste Chance dazu. Denn im zentralen Mittelfeld stehen Hjulmand bis zum kommenden Jahr nur noch drei der vier etatmäßigen Profis für diese Position zur Verfügung. Exequiel Palacios fällt nach einer Adduktoren-OP lange aus. Andrichs Konkurrenten um die beiden Positionen auf der Sechs sind Equi Fernández und Aleix García. Erstgenannter kam erst am letzten Tag des Transferfensters Anfang September, muss sich – wie so viele andere Zugänge – erst noch in Deutschland, der Bundesliga und bei Bayer einfinden. Garcías Leistungen bleiben schwankend. Hjulmand ist also auf einen Andrich in Topform angewiesen.
Dabei hatte der ehemalige dänische Nationaltrainer den gebürtigen Potsdamer gar nicht als klaren Kapitän bestätigt. Hjulmand verfolgt einen anderen Plan: „Wir werden eine starke Gruppe von Kapitänen bilden. Führung ist für mich auch ein Teamsport.“ Zuletzt trug auch Alejandro Grimaldo die Spielführerbinde. Dass Andrich in jedem Fall viel Spielzeit erhalten wird, gilt aber als sehr sicher. Schließlich ist er nach dem Abgang von Piero Hincapié auch einer der ersten Kandidaten als Ersatz für die derzeit gesetzte Dreierkette aus Jarell Quansah, Loic Badé und Edmond Tapsoba. Axel Tape kann ebenfalls als Innenverteidiger oder Sechser agieren, doch Hjulmand setzte den 18-Jährigen zuletzt als rechten Schienenspieler ein.
Für Andrich ist eine funktionierende Bayer-Mannschaft, in der er selbst als prägende Figur in Erscheinung tritt, in dieser Saison besonders wichtig. Schließlich will er im kommenden Sommer bei der Weltmeisterschaft in den USA, Mexiko und Kanada dabei sein. Sein Status in der DFB-Elf ist akut gefährdet. Ende 2023 hatte Bundestrainer Julian Nagelsmann den aggressiven und passsicheren Mittelfeldmotor aus der Leverkusener Meistersaison in die Nationalelf eingebaut. 14 von 15 Spielen – inklusive der Heim-EM 2024 und der Nations League Gruppenphase – stand Andrich daraufhin in der DFB-Startelf.
2025 verlor er aber das Vertrauen des Bundestrainers, auch weil er unter Xabi Alonso im Verein kaum noch zu Spielzeit kam. In der Nations League kam er bei den Finals in vier Spielen nur 14 Minuten zum Einsatz. In den vergangenen vier DFB-Spielen saß er jeweils die komplette Spielzeit auf der Bank – obwohl es gar nicht gut lief und Nagelsmann durchwechseln musste. Ob Andrich nach seinen Leistungen in dieser Spielzeit überhaupt noch für die anstehenden Länderspiele im Oktober nominiert wird, ist fraglich. Er kann es in den verbleibenden drei Spielen mit Bayer 04 vor der Länderspielphase selbst beeinflussen. Andrich ist gefordert, seiner Leaderrolle, in der er sich auch selbst sieht, auf und neben dem Platz gerecht zu werden.