„Die Fifa muss die Vergaberichtlinien ändern“Hitzlsperger über Katar und Homosexualität im Fußball

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Thomas Hitzlsperger schaut während eines Interviews nachdenklich.

Thomas Hitzlsperger sieht die Vergabe der WM an Katar kritisch.

Der frühere Fußball-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger spricht im Interview über Homosexualität im Fußball, die Angst vor einer Reise nach Katar und Korruption bei der Fifa.

Thomas Hitzlsperger wurde 2007 deutscher Fußballmeister mit dem VfB Stuttgart, spielte 52-mal für Deutschland und outete sich nach seiner Profikarriere als schwul. Heute ist der 40-jährige DFB-Botschafter für Vielfalt und TV-Experte für die ARD. Seine Dokumentation „Katar – warum nur?“ sorgte für viel Aufsehen.

Herr Hitzlsperger, werden Sie in Katar sein?

Thomas Hitzlsperger: Ich werde nicht dort sein, war aber im Oktober für fünf Tage da, als ich für die ARD-Doku gearbeitet habe. Dass ich beim Turnier nicht in Doha bin, hat sendetechnische Gründe, weil ich im Studio sein werde.

Viele Fans haben große Bedenken, diese WM zu besuchen, vor allem Homosexuelle. Teilen Sie diese Bedenken?

Die teile ich, obwohl es zwischenzeitlich mal eine Sicherheitsgarantie des Innenministers gab. Mir war deshalb wichtig, dorthin zu fahren. Auch wenn man nur fünf Tage zu Besuch ist, kann man einen guten Eindruck bekommen, wie die Menschen dort ticken. Ich hatte persönlich zu keiner Zeit Angst, dass mir etwas passieren könnte. Aber ich mache mir auch nichts vor: Mir ist bewusst, dass die Menschenrechtslage nicht dieselbe ist wie bei uns – und dass Homosexuelle dort große Schwierigkeiten haben. Die Situation ist nicht gut, um es vorsichtig zu formulieren. Aber ich habe auch Stimmen gehört, die gesagt haben: Wenn hier zwei Männer Händchen halten, werden sie daran erinnert, dass dies in der Kultur nicht erwünscht ist, sie werden aber nicht sofort eingesperrt.

Kann die WM wirklich eine positive Entwicklung auf diesem Gebiet befördern?

Wir müssen uns ja zuerst fragen, warum wir über die Menschenrechtslage in Katar gerade so intensiv diskutieren, obwohl es doch viele Nationen gibt, in denen diese nicht eingehalten werden? Weil sich dieses Land dazu entschlossen hat, eine WM auszurichten. Aber als sie 2010 den Zuschlag bekommen haben, waren sie darauf gar nicht vorbereitet. Sie mussten binnen zwölf Jahren eine Stadt groß aufziehen und eine Menge Stadien bauen, um der Welt zu zeigen, dass sie es auch können. Damit haben sie sich zwangsläufig unter Druck gesetzt, den sie an die Arbeitsmigranten weitergegeben haben. So ist es zu vielen Menschenrechtsverletzungen und Todesopfern gekommen.

Wie viel Fußballfest wird Katar zulassen?

Sie werden alles versuchen, tolle Bilder zu produzieren. Es wird alles auf Hochglanz poliert sein, weil dafür auch die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen. Katar hat sich für rund 200 Milliarden Euro das Recht gekauft, Bilder zu produzieren, die nicht die Lebenswirklichkeit widerspiegeln.

Wie wichtig ist Protest auf dieser Bühne, den beispielsweise die Dänen mit ihren schwarzen Trikots vortragen?

Für die Verantwortlichen in Katar ist es extrem unangenehm, dass gerade aus Europa so viel Kritik kommt. Ich hoffe nur, dass die unterdrückten und diskriminierten Menschen auch nach der WM noch Aufmerksamkeit erhalten werden. Nur zeigt die Vergangenheit im Fußball, dass das eigentlich nie passiert ist.

Zehn Nationen, auch DFB-Kapitän Manuel Neuer, laufen mit der selbst kreierten „One-Love“-Binde auf. Was halten Sie davon?

Ich verstehe den Gedanken: Man wollte sich unter den beteiligten Nationen auf eine gemeinsame Botschaft verständigen und nicht in einen Wettstreit treten, wer die am meisten Aufsehen erregende Aktion für den Protest vorbringt. Es handelt sich zwar um ein Statement, aber es ist keine Provokation wie eine Regenbogenbinde. Wir merken daran, wie politisch alles ist – und wie sehr das auch die Verbände nervt, die eigentlich was Gutes machen wollen.

Auch in Deutschland hat sich nach Ihnen kein prominenter Fußballer zu seiner Homosexualität bekannt. Müssen wir da nicht die moralische Messlatte niedriger legen?

Wir können nicht DFL und DFB kritisieren, dass sich keiner outet. In beiden Institutionen wird viel unternommen, um die Kultur zu verändern. Es wird sich für Vielfalt und gegen Diskriminierung in einer Ausprägung eingesetzt, die ich vor Jahren nicht für möglich gehalten hätte. Aber die Entscheidung treffen die einzelnen Menschen selbst. Das ist persönlich ein sehr großer Schritt, zu dem sich in Europas Topligen keiner durchringen konnte. Ich sage auch immer: Es ist für die Menschen nach wie vor auch abseits des Fußballs eine Schwierigkeit.

Warum sind die Frauen im Fußball da so viel weiter als die Männer?

Das kann ich nicht so gut erklären, es ist aber sehr erfreulich, dass der Frauenfußball in diesem Bereich scheinbar keine Probleme hat.

Die WM 2018 ging nach Russland, nun das Turnier in Katar. Wie kann verhindert werden, dass sich der Fußball an den Meistbietenden verkauft?

Das hat er bereits. Damals war das Fifa-Exekutivkomitee mit einem sehr kleinen Kreis zuständig. Das System war so aufgebaut, dass man die betreffenden Herren mit ganz einfachen Mitteln überzeugen konnte, die Stimme einem Land zu geben, wo eine WM aus Sicht der Fußballfans nicht hingehört. Weil es für die Exekutivmitglieder reizvoll war, durch finanzielle Zuwendungen ihre Lebenssituation zu verbessern. Das ist einfach so. Wenn wir auf das Foto mit den an der Abstimmung beteiligten Leuten schauen, dann müssen wir sagen: Da sind Verbrecher dabei gewesen!

Was folgt daraus?

Die Fifa muss die Vergaberichtlinien ändern. Und zwar so, dass Korruption ausgeschlossen werden kann.

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