DokumentationBlick in die homophobe Welt des Fußballs

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Das Schicksal von Justin Fashanu, einst Torjäger von Nottingham Forrest, wird in der Doku „Das letzte Tabu“ erzählt.

Das Schicksal von Justin Fashanu, einst Torjäger von Nottingham Forrest, wird in der Doku "Das letzte Tabu" erzählt.

Die aufrüttelnde Dokumentation „Das letzte Tabu“ erzählt von der Angst schwuler Fußballprofis, sich zu outen.

Dies ist eine Geschichte von Druck und Unterdrückung der eigenen Gefühle, von der Angst, alles zu verlieren sowie vom Versteckspiel vor der Gesellschaft und der eigenen Identität. Dass das alles so weiterhin offenbar nötig ist   in der Gegenwart, heute, 2024, ist zunehmend unglaublich. Es geht um Homosexualität im männlichen Profifußball, eines von vielen Themen, das in dieser Branche ignoriert wird, weil es angeblich nicht sein kann. Es geht, plakativ und mit einem Filmtitel ausgedrückt, um „Das letzte Tabu“. So hat die Kölner Produktionsfirma Broadview ihre neue Dokumentation genannt, die jetzt bei Amazon Prime anläuft, und die im Juni auch im ZDF zu sehen sein wird.

Die Wut der Homophoben

Zu Wort kommen in „Das letzte Tabu“ einige der wenigen schwulen Profis oder Ex-Profis, die den Mut hatten, sich zu öffnen, sich offen zu ihrer Homosexualität zu bekennen. Das Normalste auf der Welt, lässt sich denken, doch das ist es nicht. Es gibt weltweit 500 000 aktive Fußballprofis, sieben von ihnen hatten bisher den Mut, sich als schwul zu outen. Es gibt eine Mauer, die vor diesen Fußballern steht, die sie schützt vor dem Eifer der Homophoben auf der anderen Seite, vor den unterbelichteten Fans, die schwule Fußballer nur deshalb beschimpfen, weil sie schwul sind. Schwul sein passt im antiquierten Weltbild dieser Schwulenhasser nicht in die als hart gedachte männliche Fußball-Welt.

Weich seien schwule Fußballer, feminin, schnell den Tränen nah, zimperlich, sich anstellend wie ein Mädchen, nicht aggressiv auf dem Platz und damit insgesamt weniger wettbewerbsfähig. Diese Stimmen sind zu hören von den Protagonisten der Doku, wenn sie zu erklären versuchen, warum Homosexuelle in der Welt des Fußballs von Heteros nicht akzeptiert werden. Doch wie damit umgehen, wie sich dennoch behaupten? Ein Coming-Out, um sich zu befreien, die Selbstverleugnung aufgeben?

Es gibt einfach keine Willkommenskultur für Schwule im Fußball
Tatjana Eggeling, Kulturwissenschaftlerin

Schwierig, sagt die Kulturwissenschaftlerin Tatjana Eggeling: „Du weißt ja nicht, wie dein Team reagiert. Ob der Verein hinter dir steht. Es gibt einfach keine Willkommenskultur für Schwule im Fußball.“ Es gehe um ganz viel Geld in diesem Business, da sei es nicht karrierefördernd, „wenn du schwul bist“. Der wichtigste Grund, seine sexuelle Orientierung für sich zu behalten, ist allerdings die Angst, alles zu verlieren, nicht mehr dabei sein zu können, ausgeschlossen, stigmatisiert zu werden.

Leitbild dieser einfühlsamen, bewegenden und sehr sehenswerten Doku ist der englische Spieler Justin Fashanu. Der Torjäger wechselte 1981 von Norwich City zu Nottingham Forrest, wo er auf einen üblen Diktator-Trainer namens Brian Clough traf. Der kontrollierte auch das Privatleben seiner Spieler, dabei wurde ihm zugetragen, dass sich Fashanu in Schwulen-Bars der Stadt zeigt. Fortan mobbte Clough seinen Spieler auf das Übelste, beleidigte und demütigte ihn vor dem Team, bezeichnete ihn als „verdammte Schwuchtel“, was Auswirkungen auf Fashanus Leistungen hatte.

Coming-Out am 22. Oktober 1990

Es folgten viele Vereinswechsel, das Versteckspiel ging weiter, Fashanu hielt das nicht mehr aus und erzählte der „Sun“ seine Geschichte. Die druckte am 22. Oktober 1990, Fashanu war damals 29 Jahre alt, auf ihrer ersten Seite in riesigen Lettern den Satz: „Ich bin schwul“. Sein Bruder John, ebenfalls Profi, bot Justin jene 80 000 Pfund, die er für sein Outing von der „Sun“ erhielt, wenn er sein Coming-Out unterlasse. Er tat es doch, sein Bruder wandte sich von ihm ab, die fußballaffine Gesellschaft ebenfalls, immer wieder musste sich Justin Fashanu für seine Entscheidung rechtfertigen.

Die Geschichte von Justin Fashanu endet in einer Tragödie. Inzwischen in den USA als Trainer arbeitend, will ihn ein junger Kerl, 17 Jahre alt, erpressen. Fashanu flieht, seelisch zutiefst verwundet, nach London, wo er am 2. Mai 1998 in einer Garage tot aufgefunden wurde. Er hatte sich erhängt. Später wurde ein Abschiedsbrief gefunden, der Inhalt klingt erschütternd: „Schwul und eine Person des öffentlichen Lebens zu sein ist hart.“ Der Sex mit dem jungen Mann sei einvernehmlich gewesen, aber am nächsten Tag habe er ihn erpresst, er werde von Vergewaltigung sprechen, er habe Geld verlangt, das Fashanu nicht zahlen wollte. „Wenn das so ist, höre ich euch sagen, warum bin ich dann weggerannt? Nun, nicht immer ist die Justiz gerecht. Ich fühlte, dass ich wegen meiner Homosexualität kein faires Verfahren bekommen würde“, schreibt Fashanu noch.

Justin Fashanu als Tribünengast.

Justin Fashanu als Tribünengast.

„Das letzte Tabu“ stellt auch Amal Fashanu vor, Justins Nichte, die Tochter von Justins homophobem Bruder John. Sie ist Journalistin und eine Aktivistin, die sich für die Normalisierung von Schwulsein im Profifußball einsetzt. Ihre Erkenntnis: Die Gesellschaft sei insgesamt viel weiter als der Mikrokosmos Fußball.

Solidarität mit Collin Martin

Was tun in einer solchen Situation? Das Thema normalisieren und enttabuisieren ist eine Möglichkeit. Darin sieht Thomas Hitzlsperger in Vorträgen eine seiner Aufgaben, ein ehemaliger deutscher Nationalspieler, der sich nach seiner Karriere outete. Die Doku erzählt auch das, was Collin Martin erlebte, ein sich offen schwul bekennender US-Profi. Sein Team aus San Diego musste sich gegen Phoenix durchsetzen, um eine Chance auf den Aufstieg in die höchste Spielkasse zu haben. Doch im Spiel wird Martin homophob beleidigt. Er meldet das dem Schiedsrichter, der daraufhin Martin die Rote Karte zeigt, er hat das Wort „schwul“ wohl auf sich bezogen. Die Entscheidung wird nicht zurückgenommen, der gegnerische Trainer ist nicht bereit, den Beleidiger auszuwechseln. San Diegos Spieler verlassen aus Protest geschlossen das Spielfeld. Damit wurden sie aller Aufstiegschancen beraubt, doch sie wollten ein Zeichen für ihren Mitspieler setzen.

2020 wird Justin Fashanu in die englische Hall of Fame des Fußballs aufgenommen. Amal Fashanu sagt dazu: „Das würde Justin sehr glücklich machen. Weil er als talentierter Fußballer wahrgenommen wird. Nicht als schwuler Fußballer.“ Insgesamt aber, bei dem Verhältnis sieben zu 500 000, sei noch sehr viel Arbeit zu leisten, um dieses Tabu zu enttabuisieren, findet Amal Fashanu. Finden alle Protagonisten dieser wertvollen, aufrüttelnden Doku.

„Das letzte Tabu“, Amazon Prime.

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