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RadsportQuereinsteiger Lipowitz vor Tour-Debüt - „Kann mich quälen“

Lesezeit 4 Minuten
Vom Biathlon in den Radsport: Senkrechtstarter Florian Lipowitz.

Vom Biathlon in den Radsport: Senkrechtstarter Florian Lipowitz.

Der frühere Biathlet Lipowitz ist der Senkrechtstarter im deutschen Radsport. Nun misst er sich bei der Tour mit den Besten. Wie weit ist er von der Weltspitze entfernt? Oder schon mittendrin?

Florian Lipowitz geht es vorrangig nicht um Ruhm. Dem zurückhaltenden Senkrechtstarter des deutschen Radsports ist der Trubel um seine Person fast sogar etwas unangenehm. „Ich bin froh, wenn ich ganz normal mein Leben leben kann, ohne groß in der Öffentlichkeit zu stehen“, sagt der 24 Jahre alte Rad-Quereinsteiger der Deutschen Presse-Agentur.Doch dem zunehmenden Wirbel um seine Person kann sich der stille Schwabe, der in Tirol lebt, kaum entziehen. Einst stand der Shootingstar auf Ski, feierte den Junioren-Meistertitel im Biathlon und strebte eine Karriere im Wintersport an. Doch es kam anders. Vor fünf Jahren wechselte er die Sportart. Danach folgte ein rasanter Aufstieg. 

Starke Dauphiné-Rundfahrt von Lipowitz

Bei der am Samstag beginnenden 112. Tour de France feiert er sein Debüt. „Ich weiß nicht, wie viel Prozent von den Medieneinnahmen bei der Tour generiert werden. Deshalb herrscht natürlich noch mal besonders viel Druck, aber natürlich freue ich mich wahnsinnig darauf“, schwärmt er. „Wenn man dazu einen Teil beitragen kann, den Radsport in Deutschland wieder ein bisschen größer zu machen, ist das natürlich eine schöne Sache. Aber im Endeffekt will ich auch nicht groß im Mittelpunkt stehen. Deshalb versuche ich, das ein bisschen auszublenden“, sagt der Jungprofi zum Hype um ihn.

Im vergangenen Jahr beeindruckte Lipowitz mit dem siebten Gesamtrang bei der Vuelta. Bei Paris-Nizza wurde er Zweiter, im Baskenland Vierter. Der Höhepunkt folgte, als er mit den Superstars Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard bei der Dauphiné-Rundfahrt beeindruckend gut mithielt und später den dritten Rang hinter den Tour-Siegern der letzten Jahre feierte.

Neben den Superstars Jonas Vingegaard (L) und Tadej Pogacar: der deutsche Senkrechtstarter Florian Lipowitz.

Neben den Superstars Jonas Vingegaard (L) und Tadej Pogacar: der deutsche Senkrechtstarter Florian Lipowitz.

„Ich wusste, dass ich gut in Form bin. Aber ich hätte niemals damit gerechnet, dass ich hier so weit vorne mitfahren kann“, sagte er später. Auch die Stars zollten Respekt. Pogacar und Vingegaard lobten Lipowitz. Auch Jan Ullrich schwärmte schon vom Talent des Jungprofis.

Wie harmonieren Lipowitz und Routinier Roglic?

Die deutsche Radsportwelt sehnt sich nach einem Rundfahrer, der als erster Profi seit Andreas Klöden 2006 mal wieder das Podium bei einer Grand Tour erreicht. Das ist mittelfristig der Plan seines Teams, aber nicht kurzfristig. Lipowitz muss sich als Edel-Helfer und Erfahrungssammler hinter Kapitän Primoz Roglic anstellen.

Doch der slowenische Routinier Roglic ist bekannt für seine Stürze. Was passiert also, wenn der hochbezahlte Star wieder zu Fall kommt und wie bei seinen drei vergangenen Frankreich-Rundfahrten und dem enttäuschenden diesjährigen Giro schon vorzeitig aufhört? „So wie man Primoz kennt, läuft meistens die zweite Grand Tour besser im Jahr als die erste. Deshalb pokere ich darauf, dass die Tour recht gut für uns verlaufen wird“, sagt Lipowitz. 

Aldag: Kann mit den „Besten der Welt mitfahren“

Für das Red-Bull-Team ist die öffentliche Kommunikation zu Lipowitz ohnehin eine Gratwanderung. Einerseits möchte die sportliche Führung den sensiblen Jungstar behutsam an das große Rampenlicht heranführen. Anderseits ist da der überraschende Podiumserfolg bei der Dauphiné. „Wir haben einen Florian Lipowitz, der mit den Besten der Welt mitfahren kann“, sagte Sportchef Rolf Aldag. Er kratze nicht an der Weltspitze, sondern sei in der Weltspitze angekommen. Zurückhaltung sieht anders aus. 

Als er einst das bekannte Tiroler Ski-Gymnasium in Stams besuchte, schien ein Start bei der Tour kaum denkbar. Doch wegen einiger Verletzungen musste er umplanen - und tauschte seine Ski gegen das Rad. Lipowitz meldete sich damals selbst bei einem seiner Entdecker, dem Red-Bull-Teamchef Ralph Denk, und fragte, was er machen müsse, um Radprofi zu werden. 

Bei einem Mittagessen lernten sie sich kennen. Dazu gibt es die Anekdote, dass er 100 Kilometer mit dem Rad zurücklegte, um zu der Verabredung zu gelangen. „Das war schon ein Ritt für ein Mittagessen. Da hat er mich schon beeindruckt, dass er wirklich will. Ein Jagdhund, der jagen will, ist eine gute Voraussetzung“, sagte Denk bei einer Medienrunde.

Denk: „Ein Herzensprojekt“

Aber der Chef will mit dem Jungprofi nichts überstürzen: „Wir sehen so viel Gutes in dem Jungen, dass wir da wirklich ganz behutsam vorangehen wollen. Das ist mir wahnsinnig wichtig, das ist ein Herzensprojekt für mich.“ 

Der Fahrstil von Lipowitz ist erfrischend: Offensive Attacken statt zähes Taktieren. Vor allem an der Durchschlagskraft will er noch arbeiten. „Manchmal fehlt mir schon noch ein bisschen der Punch. Vor allem auch, wenn ich mal eine Attacke setzen will. Ich denke, wenn ich mich überall noch mal ein, zwei Prozent verbessern kann, dann geht auf jeden Fall noch mal einiges voran“, sagt Lipowitz. 

Auch das Ermüdungslevel während einer Rundfahrt überraschte ihn. „Da gibt es nicht mehr Tage, an denen man sich super gut fühlt, aber man fühlt sich auch nicht total schlecht“, sagt er und stellt klar: „Ich kann mich schon relativ gut quälen.“ Und das ist vor allem bei der anstehenden Tour der Leiden nicht verkehrt. (dpa)