Die Krise der NationalmannschaftWarum Rudi Völler das Problem Hansi Flick nicht lösen kann

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Rudi Völler neben DFB-Präsident Bernd Neuendorf

Rudi Völler neben DFB-Präsident Bernd Neuendorf

Die Strahlkraft und Beliebtheit des deutschen Idols helfen nicht, wenn man den Bundestrainer entlassen müsste.

Als Rudi Völler Ende Januar von einer Task Force um Hans-Joachim Watzke, Matthias Sammer, Oliver Kahn und Oliver Mintzlaff als Nachfolger von Oliver Bierhoff zum Direktor der Nationalmannschaft ernannt wurde, hatte er einen klaren Plan. Als temporär aus seinem Ruhestand gerissenes Idol wollte der frühere Nationalspieler, Teamchef und Multifunktionär von Bayer 04 Leverkusen der in die Dauerkrise geratenen Nationalelf etwas von seiner offenbar unzerstörbaren Beliebtheit abgeben. Und wenn wirklich alle zusammenarbeiten und sich anstrengen wollen, dann wird die Europameisterschaft 2024 im eigenen Land auch dank ihm ein Fest.

Rudi Völler: Müssen EM bei allem Druck auch genießen

„Ein solch großes Turnier ist einfach eine riesige Chance. Nicht nur für die sportliche Infrastruktur, auch im gesellschaftlichen Kontext. Auch die EM 2024 wird ein wunderbares Turnier werden. Und wir als Veranstalter und Gastgeber müssen das bei allem Druck auch genießen und die Leute mit der Nationalmannschaft begeistern. Das müssen wir hinbekommen, daran werden wir arbeiten“, hat Völler im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ gesagt.

Seitdem hat die Nationalmannschaft fünf Spiele absolviert. Eines davon (2:0 gegen Peru) konnte sie gewinnen. Ein weiteres gerade noch unentschieden gestalten (3:3 gegen die Ukraine). Die Spiele gegen Belgien (2:3), Polen (0:1) und Kolumbien (0:2) gingen verloren, wobei die Peinlichkeit der Niederlagen eskalierte. Nachdem das fußballerische Durcheinander beim Spiel gegen die Südamerikaner am Dienstag auf Schalke ein historisches Höchstmaß erreicht hat, wünscht sich die Fußball-Nation jetzt mit großer Mehrheit einen anderen Bundestrainer.

Mehr als 70 Prozent der Deutschen sind gegen Hansi Flick

In allen Umfragen, die auf den gängigen Portalen zur Zukunft von Hansi Flick gestartet wurden, sprachen sich mehr als 70 Prozent der Teilnehmenden für eine Entlassung des Trainers aus, der mit dem FC Bayern 2020 die Champions League gewonnen hatte. Unter den Experten geht die Zahl in Richtung 100 Prozent. Sie alle sehen in Hansi Flick den Hauptschuldigen der Depression ein Jahr vor EM-Beginn und scheitern nur bei einem Erklärungsversuch, dem der Nachfolge, denn der Wunschkandidat Jürgen Klopp ist in Liverpool festbetoniert. Einen zweitbesten Kandidaten gibt es nicht. Und so fabuliert man in der Not schon vom Österreicher Oliver Glasner oder dem wegen fehlender Reife in München gescheiterten Julian Nagelsmann.

Erwartungsgemäß hat das den DFB und auch Völler nicht dazu bewogen, von der zur Schau getragenen Treue zu Flick abzurücken. Rudi Völler hat in einem seiner bekannten Wutanfälle nach dem Spiel gegen Kolumbien lieber die Spieler beschimpft. Neuendorf gibt sich sicher, im Herbst eine ganz neue Nationalmannschaft vorzufinden und Flick spricht wie immer davon, mit sich und seinen Plänen im Reinen zu sein und preist „ein großartiges Team“, das ihn umgebe.

Man muss sagen, dass wir es ein bisschen unterschätzt haben
Rudi Völler

Was alle zusammen zu vergessen scheinen: Es handelt sich hier um eine nationale Angelegenheit und ein Turnier, bei dem Milliarden Euro umgesetzt werden. Wenn Hansi Flick im September die Spiele gegen den Angstgegner Japan und die Supermacht Frankreich auch verliert, wird ihn jemand entlassen müssen. Und wenn das von den aktuell handelnden Herren keiner zustande bringt, muss es jemand anderes tun.

Nie war die Lage in der DFB-Elf so dramatisch wie jetzt

„Die Nationalmannschaft ist die wichtigste Mannschaft, die wir haben. Und die berufenen Spieler müssen in jedem Freundschaftsspiel so agieren, als wäre es ein Qualifikationsspiel“, hat Rudi Völler am 1. Februar im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ gesagt. Wenn dieser Satz auch für den Bundestrainer gelten würde, müsste Hansi Flick sofort seine Sachen packen. Die scheinbar richtungslose Beliebigkeit, mit der der ehemalige Assistent von Joachim Löw bei der wichtigsten deutschen Mannschaft Personal, Aufstellungen, Grundordnungen und Taktik wechselte, erinnerte stark an die Strategie, die ein Zweijähriger beim Spiel mit Bauklötzen verfolgt.

Rudi Völler wäre der Mann, der dem Einhalt gebieten und den DFB-Präsidenten Neuendorf aus seiner Dauerüberforderung holen müsste. Es ist aber nicht zu erwarten, dass der einst beliebteste Nationalspieler Deutschlands das tun wird. Harte Entscheidungen aufgrund schlechter Ergebnisse waren noch nie sein Steckenpferd, Völler ist ein Bauchmensch, der an die Kraft des Wünschens und der Selbstheilung glaubt. Oft genug wurden Krisen bei der Nationalmannschaft und bei Bayer 04 Leverkusen so ausgesessen. Aber nie war die Lage so dramatisch wie jetzt.

„Man muss sagen, dass wir es ein bisschen unterschätzt haben“, gab Völler am Dienstag zu und meinte die Qualität der Spieler. Der Satz kann auch für ihn und den Job des Wunderheilers im DFB gelten. „Wir müssen wieder eine Begeisterung wecken, im Umfeld, bei den Fußball-Anhängern. Da bin ich mir mit Hansi Flick einig. Am Ende geht das im Fußball zuerst mit Leistung. Und das müssen wir mit allem Elan, aller Wucht und Leidenschaft angehen, mit Fleiß und Ausdauer, um die Leute mitzureißen“, hat der DFB-Direktor nach seiner Ernennung im Februar gesagt. Dass er sich Ende Juni in einem Albtraum wiederfinden würde, in dem nichts davon funktioniert, ahnte er damals nicht.

Im Laufe seiner Karriere hat es Rudi Völler, wenn es brenzlig wurde, immer geholfen, einfach Rudi Völler zu sein. Der Mensch, der den Fußball, die Fans, die Tradition, sein Heimatland und den italienischen Espresso liebt. Diesmal wird das nicht genügen.

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