Kommentar zum Eklat bei der WMWarum habt ihr nie Puyol geküsst?

Ein Kommentar von
Lesezeit 4 Minuten
Der von Luis Rubiales erzwungene Kuss für Jennifer Hermoso hat nun auch für eine Einschätzung von Karl-Heinz Rummenigge gesorgt. Mal wieder stehen die Männer im Weltfußball im Mittelpunkt.

Der von Luis Rubiales erzwungene Kuss für Jennifer Hermoso hat nun auch für eine Einschätzung von Karl-Heinz Rummenigge gesorgt. Mal wieder stehen die Männer im Weltfußball im Mittelpunkt.

Nach dem Eklat um einen erzwungenen Kuss bei der WM wollen mal wieder Männer entscheiden, was Frauen „okay“ zu finden haben. 

„Absolut okay“ findet Karl-Heinz Rummenigge also den Kuss, den Luis Rubiales der spanischen Nationalspielerin Jennifer Hermoso aufgezwungen hat. „Wenn man Weltmeister wird, ist man emotional“, erklärte Rummenigge, der im Aufsichtsrat des FC Bayern München sitzt. Obwohl am Sonntag ein Frauen-Team Weltmeisterin geworden ist, sprechen in der Fußballwelt nun mal wieder viele Männer – und sie sprechen über Männer und darüber, was Männer dürfen oder nicht. Die laute Kritik von Frauen wird derweil übertönt.

Erst sprachen sie über den spanischen Verbandschef Rubiales und seine übergriffige Aktion, nun sprechen sie darüber, dass der Übergriff ja nun gar nicht so übergriffig gewesen sei. „Idioten gibt es überall. Wenn zwei Menschen miteinander eine unwichtige Geste der gegenseitigen Zuneigung teilen, darf man dem Mist, der da gesagt wird, keine Beachtung schenken“, befand der Spanier selbst, ehe er sich nach öffentlichem Druck dann doch entschuldigte – oder so etwas Ähnliches.

Karl-Heinz Rummenigge verteidigt erzwungenen Kuss: „Absolut okay“

„Ich muss mich entschuldigen, mir bleibt nichts anderes übrig, oder?“, erklärte Rubiales in einem vom spanischen Verband verbreiteten Video. Und auch Hermoso, die kurz nach dem Vorfall noch in der Umkleidekabine erklärt hatte: „Mir hat das nicht gefallen. Schau mich an, was soll ich tun?“ ruderte plötzlich zurück – zumindest ließ es der spanische Verband eiligst so aussehen. 

Am Montag zitierte der Verband die Spielerin jedenfalls mit anderen Worten. „Der Präsi“ und sie hätten ein prima Verhältnis, soll Hermoso demnach gesagt haben. „Es war eine ganz spontane gegenseitige Geste aufgrund der großen Freude über den Gewinn einer Weltmeisterschaft“, hieß es weiter in den Zitaten, die vom Verband an Medien verschickt wurden, und bei denen unklar bleibt, ob Hermoso sie selbst formuliert hat. Klar ist jedoch: Die neuen Zitate dienen dem Schutze Rubiales.

Leistung der Spanierinnen dient nur noch Rechtfertigung von Rubiales’ Übergriff

Doch die Statements der beiden mächtigen Männer des Weltfußballs sind genauso entlarvend, wie dass nun mal wieder eine Frau den Fehler eines Mannes gerade bügeln soll. Zum einen ist Rubiales entgegen Rummenigges Darstellung gar nicht Weltmeister geworden, sondern Hermoso. Rubiales ist nur ein Funktionär – Grund zum Überschwang hätte, wenn dann, Hermoso gehabt.

Karl-Heinz Rummenigge hat Luis Rubiales nach dem Eklat bei der Frauen-WM verteidigt. Der erzwungene Kuss des Spaniers für Jennifer Hermoso sei „absolut okay“, befand der Aufsichtsrat des FC Bayern München. (Archivbild)

Karl-Heinz Rummenigge hat Luis Rubiales nach dem Eklat bei der Frauen-WM verteidigt. Der erzwungene Kuss des Spaniers für Jennifer Hermoso sei „absolut okay“, befand der Aufsichtsrat des FC Bayern München. (Archivbild)

Doch hat die Spielerin eben nicht den Verbandsboss gepackt und ihm einen Kuss aufgezwungen, sondern andersherum. Im Mittelpunkt steht deshalb jetzt mal wieder ein Mann. Die starke sportliche Leistung der Spanierinnen dient nur noch zur Rechtfertigung seines Übergriffs.

Von Siegerehrungen – davon gab es einige – von Spaniens erfolgreicher Nationalmannschaft der Männer sind übrigens aller überbordenden Emotionen zum Trotz bisher keine erzwungenen Küsse bekannt geworden. Wieso also haben Rubiales und seine Vorgänger nie Carles Puyol auf den Mund geküsst?

Mächtige Männer: Der Fußball als „Brennglas des Patriarchats“

Wer den resoluten spanischen Innenverteidiger seinerzeit hat spielen sehen, kann sich vorstellen, warum. So werden die Machtverhältnisse im Fußball, aber auch in der Gesellschaft, weiter deutlich: „Schau mich an, was soll ich tun?“ fragte Hermoso laut „Spiegel“ am Sonntag ungläubig und drückte damit indirekt auch die Ohnmacht aus, die Frauen eigenen Schilderungen zufolge oftmals in derartigen Situationen empfinden.

Der Fußball diene hier als „Brennglas des Patriarchats“, stellte die TV-Moderatorin und ehemalige Fußballerin Lena Cassel dazu trefflich fest. Immerhin: Mit ihrer scharfen Kritik ist Cassel nicht mehr ganz so allein, wie das vor #MeToo der Fall gewesen wäre. Im Sport geht man dahingehend aber ganz besonders kleine Schritte. 

Jennifer Hermoso und ihre Teamkolleginnen verdienen Aufmerksamkeit – nicht die Männer

Männer haben, das zeigt die Reaktion von Rummenigge, leider immer noch genug Macht und genug Dreistigkeit für derartige Übergriffe – und auch dafür, sie im Nachhinein zur Harmlosigkeit umzudeuten: Was Frauen über sich ergehen lassen müssen, entscheiden offenbar immer noch Luis Rubiales und Karl-Heinz Rummenigge – und ganz offensichtlich nicht Jennifer Hermoso.

So gilt die Aufmerksamkeit trotz aller – auch von Männern – geäußerter Kritik nun wieder einmal Männern. Dabei hätten die spanischen Fußballerinnen sie verdient – und nicht Karl-Heinz Rummenigge oder Luis Rubiales. Für letzteren hätte am Sonntag eine Ohrfeige gereicht. Die wäre übrigens wirklich „absolut okay“ gewesen. Wenn man Weltmeisterin wird, ist man schließlich emotional.

KStA abonnieren