Interview mit Karsten Braasch„Boris hat unfassbar viel Ahnung“

Berühmt für seinen unkonventionellen Aufschlag, der ihm den Spitznamen „Katze“ einbrachte: Karsten Braasch
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Köln – Herr Braasch, am Montag beginnen die Australian Open. Sie sind doppelter Australian-Open-Siegerinnen-Besieger. Denken Sie jährlich an Ihre Erfolge im Melbourne gegen Serena und Venus Williams im Jahr 1998 zurück?
Karsten Braasch: Natürlich. Vor allem, weil es damals ziemlich unverhofft passiert ist und großes Interesse erzeugt hat. Alle TV-Sender haben berichtet, das australische Fernsehen sogar live, als auf dem Center Court Pause war. Ich wusste nichts davon, das wurde mir nachher erst erzählt. Aber das war eine spaßige Sache.
Karsten Braasch, geboren am 14. Juli 1967 in Marl, war Profi von 1987 bis 2005. Erfolge u.a.: World Team Cup-Sieger 1994 mit dem DTB-Team, Viertelfinale Doppel bei den French Open 1997 und 2004, sechs Doppeltitel auf der ATP-Tour, 1,49 Mio. Dolllar Karriere-Preisgeld. Beste Weltranglistenplatzierung: 38 (06/1994). Betreibt heute mit Christian Schäffkes die Akademie „Maximum Tennis und Coaching“ in Duisburg (ksta)
Das Spiel kam zustande, da Serena behauptet hatte, den 200. der Herren-Weltrangliste schlagen zu können. Sie waren die Nummer 203.
Braasch: Sie war damals natürlich noch sehr jugendlich. Da hat sie gesagt, Damen-Tennis wäre langweilig, sie würde gern bei den Herren mitspielen. So fing das an. Dann hab ich angeboten, das wir das ja direkt einmal ausprobieren können. Die Absprache war dann, dass ich mit Serena einen Satz spiele. Dass es dann so publik wurde, war Serena geschuldet. Sie hatte auf einer Pressekonferenz angekündigt, dass sie gegen einen Kerl antreten würde, dessen Namen sie nicht kannte. Es waren kaum Zuschauer da, weil wir irgendwo auf dem letzten Platz während der zweiten Turnierwoche gespielt haben, dafür aber fast fast alle Spieler. Als ich dann 4:0 gegen Serena führte, kam Venus dazu und fragte, ob sie es auch ausprobieren dürfte.
Nach dem 6:1 gegen Serena gewannen Sie auch gegen Venus, mit 6:2.
Braasch: Ja. Aber ich glaube, dass man Männer und Frauen da nicht vergleichen sollte. Die körperlichen Unterschiede sind zu groß. Obwohl sie natürlich hervorragend spielen. Aber ich trainiere ja noch Jugendliche und bin halbwegs fit, ich könnte mir vorstellen, dass ich immer noch eine Chance habe.
Gab es damals anerkennende Worte männlicher Kollegen?
Braasch: Da kamen einige. Pete Sampras hat mir im Hotel noch gratuliert und gesagt: „Gut gemacht Junge, ich hab's im Fernsehen gesehen.“ Die Mädels hat das schon ein wenig gewurmt. Als ich Venus beim nächsten Turnier getroffen habe, hat sie erstmal bewusst weggeguckt. 20 Meter später hat sie sich umgedreht und – allerdings im Spaß – gesagt: Die Sache in Australien, die ist nie passiert.
Sie galten als Exot. Ihr Markenzeichen war der verwrungene Korkenzieher-Aufschlag. Sie waren Doppel-Spezialist, dazu die Erfolge gegen die Williams-Schwestern. In der heutigen Zeit perfektes Material für eine Social-Media-Karriere. Bedauern Sie, dass sich die Spieler damals noch nicht so vermarkten konnten?
Braasch: Überhaupt nicht. Ich fand meine Zeit cool und bin nicht bei Facebook oder Twitter. Ich kann da wenig mit anfangen. Das ist mir irgendwann zu viel, man verliert seine Privatsphäre. Jede Stunde anzugeben, wo ich bin oder mein Essen zu fotografieren und ins Internet zu stellen, das wäre nicht so meine Welt gewesen. Wenn ich heute Spieler wäre, wäre ich natürlich damit groß geworden und es gibt sicherlich viele positive Aspekte. Aber ich habe noch ein Tastentelefon und rufe einfach an. Ich fühle mich so ganz wohl.
Boris Becker hingegen hat vor allem Twitter für sich entdeckt, wo er detailliert über sein Privatleben berichtet. Bekommen Sie seine Entwicklung und den Drang nach Öffentlichkeit mit?
Braasch: Dieser Drang ist ja seit Ewigkeiten vorhanden. Das war schon zu seiner aktiven Zeit so, als es den Kampf zwischen Boris und Michael Stich gab. Gefühlt möchte er sehr gern im Mittelpunkt stehen. Dass er die Öffentlichkeit an seinem Leben teilhaben lassen möchte, bekommt man auch ohne Twitter-Account mit.
Was denkt man als ehemaliger Weggefährte, wenn man Becker im Fernsehen mit einer Fliegenklatschen-Mütze im Fernsehen sieht und sich das öffentliche Bild von Verehrung in Skepsis oder Spott wandelt?
Braasch: Er macht nun mal nicht alle Dinge so schlau, wie man sie machen könnte. Es gibt einem zu denken, wenn der Held der Nation zeitweise eher bemitleidet wird. Ich finde es schade und deshalb gut, dass er als Trainer von Novak Djokovic nun etwas macht, wovon er unfassbar viel Ahnung hat. Denn das ist unbestritten. Ich glaube, es ist auch hilfreich, dass er wieder eine Aufgabe hat, die für ihn sinnvoll ist. Ich sehe Boris Becker nicht als Geschäftsmann oder als Poker-Profi, was er ja auch mal gemacht hat. Ich sehe ihn als Tennis-Spieler, in diesem Sport kann er am meisten ausrichten und helfen.
Hat Sie der Wechsel Beckers in den Trainerstab von Djokovic überrascht?
Braasch: Damit hätte ich nie gerechnet. Vor allem, dass Djokovic das macht. Weil er eigentlich genug Erfahrung hat und abgeklärt genug ist, um mit seinem Trainerstab weiterzumachen. Aber es spricht für ihn, dass er mit seiner Situation unzufrieden ist und wieder die Nummer eins der Welt werden will. Und wenn er dann nach Hilfe sucht und Becker ihm die geben kann, finde ich es für beide Seiten gut.
Kann Becker ihm helfen?
Braasch: Ich glaube nicht, dass er Djokovics Spiel komplett ändern wird. Aber Boris wusste bei vielen großen Matches, was zu machen war. Wenn er diese Erfahrung weitergibt und Novak das versucht umzusetzen, können vielleicht noch ein paar Prozent dabei herausspringen. Und das macht einen Riesenunterschied. Es geht in der Spitze ja nur um Nuancen. Und Novak weiß, was er tut.
Ist es bezeichnend für den Zustand des deutschen Herren-Tennis, dass Becker als Trainer vor einem Grand-Slam-Turnier mehr im Fokus steht als die deutschen Spieler?
Braasch: Das ist sicherlich richtig, hängt aber von vielen Faktoren zusammen. Punkt eins ist, dass bei den aufmerksamkeitserregenden Grand Slams seit Jahren keiner mehr gut gespielt hat. Die Damen spielen erfolgreicher, darum stehen sie mehr im Fokus. Es geht immer um Erfolg, Und der fehlt.
Sie sind Trainer. Woran hapert es am Nachwuchs der einstigen großen Tennis-Nation?
Braasch: Ich glaube, dass mit Ausnahme weniger Landesverbände, nicht unbedingt gut trainiert wird. Es gibt unfassbar viele private Akademien. Die Eltern bezahlen für den Leistungssport der Kinder Geld, anstatt zum Verband zu gehen. Das wird einen Grund haben. Ich glaube, dass man bei den Verbänden besser arbeiten könnte. Und wenn man dann mit den Akademien zusammen arbeitet, ist es sicherlich hilfreich. Ein Punkt ist aber auch, dass es uns in Deutschland sehr gut geht. In anderen Ländern wollen die Leute vielleicht mehr und sind leistungsbereiter, um aus ihren sozialen Verhältnissen rauszukommen.
Bei den Damen klappt die Nachwuchsförderung besser.
Braasch: Da scheint es zu funktionieren. Talente werden ein bisschen zentralisiert und Teamchefin Barbara Rittner bindet die jungen Spielerinnen früh mit ein. Das motiviert.
Würde es Sie reizen, ganz oben zu trainieren?
Braasch: Ich glaube, ich bin nicht funktionärskompatibel. Ich möchte meine eigenen Entscheidungen treffen und Dinge aus Überzeugung machen, ohne mir von anderen Leuten reinreden zu lassen. Damit kommt man im Verband nicht so gut an.
Während im Damen-Tennis mehrere Spielerinnen zu ihrer Homosexualität stehen, ist es im Herren-Tennis wie im Männerfußball noch ein Tabu. Kannten Sie homosexuelle Tennis-Profis?
Braasch: Ich weiß von keinem Spieler. Ich gehe aber auch bei Tennis-Profis davon aus, dass es homosexuelle gibt. Warum sollten wir anders sein, als der Durchschnitt der Bevölkerung? Ich finde es grandios, dass Hitzlsperger klar Stellung bezogen hat. Hoffentlich wird das Thema dadurch einfacher. Im Stadion ist es im Tennis sicherlich unproblematischer als beim Fußball. Aber ich glaube, dass man sich auch im Tennis intern einiges anhören muss und es unangenehm sein kann. Auch im Tennis gibt es einfache Leute.